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Leela Varghese und Emma Hough Hobbs mit dem Teddy für den besten Spielfilm.

© imago/Future Image/IMAGO/Brigitte Dummer

Teddy Awards der Berlinale: Weltraumprinzessin trifft Plüschsau

Den Teddy Award für den besten queeren Berlinale-Spielfilm bekam der Animationsfilm „Lesbian Space Princess“, Rosa von Praunheim gewann den Doku-Teddy und Todd Haynes hielt in der Volksbühne eine bewegende Rede.

Stand:

Bange Schrecksekunde: Wo ist Rosa von Praunheim? Gerade hat die US-amerikanische Regisseurin Mary Bronstein verkündet, dass sein Film „Die satanische Sau“ den Teddy Award für den besten Dokumentarfilm gewonnen hat, doch im voll besetzen Saal der Volksbühne macht niemand Anstalten, den Preis entgegenzunehmen. Moderatorin Britta Steffenhagen ist kurz ratlos, schaut dann aber nach links und sieht, dass Rosa von Praunheim im Backstage-Bereich steht.

Lächelnd und wie immer mit Hütchen kommt der 82-jährige Berliner auf die Bühne. Unter dem Arm trägt er ein dickes Plüschschwein, das er als die titelgebende Sau vorstellt. Damit ist es auch ein weiteres Alter Ego, geht es in seinem neuen Film doch um ihn selbst, verkörpert von Armin Dallapiccolla, der sich darin als Armin Peter von Mehl vorstellt.

Rosa von Praunheim mit Teddy und Plüschsau in der Volksbühne.

© dpa/Christophe Gateau

„Die satanische Sau“ ist eine wilde Collage aus Archivmaterial, Spielszenen und aktuellen Dokumentaraufnahmen. Die Filme und Skandale von Praunheims werden ebenso thematisiert wie die Homofeindlichkeit der Kirche, die Trauer eines Nachbarn und Sex nach dem Tod. Die Mutter des Regisseurs und Gott kommen ebenfalls vor.

In seiner Dankesrede erzählt von Praunheim, dass das Panorama das Werk zunächst abgelehnt hatte, es dann aber in letzter Minute doch noch ins Programm nahm. Dasselbe sei ihm 1969 schon einmal mit „Sisters of the Revolution“ bei einem Festival in Mannheim passiert, wo er prompt seinen ersten Preis gewann.

Entstanden sei „Die satanische Sau“ ohne Unterstützung eines Fernsehsenders, was ihm viel Freiheit beschert habe. Und so ruft von Praunheim seinen Kolleg*innen zu: „Wartet nicht auf großes oder kleines Geld. Macht euer Ding einfach ohne Geld – und vielleicht gewinnt ihr einen Preis“. Für seinen Teddy-Gewinner könnte es sogar noch höher hinausgehen, qualifiziert die Auszeichnung in der Doku/Essay-Kategorie doch seit diesem Jahr für die Oscar-Auswahl. Wer weiß: Vielleicht hat Hollywood ja ein Herz für den anarchischen DIY-Geist der teuflischen Sau ...

Die dreiköpfige Teddy-Jury hat es offensichtlich – und zeigt sich auch beim Spielfilm-Preis offen für Ungewöhnliches, fällt ihre Wahl doch auf den Animationsfilm „Lesbian Space Princess“ von Emma Hough Hobbs und Leela Varghese. In ihrem knallbunten, witzigen Werk voller popkultureller Referenzen geht eine Weltraumprinzessin auf eine intergalaktische Reise, um ihre Ex aus den Fängen sogenannter Straight White Maliens zu retten, die als weiße Rechtecke dargestellt werden.

Das australische Regieduo zeigt sich auf der Bühne aufrichtig verblüfft, dass es für eine Komödie einen so prestigeträchtigen Preis bekommt. Als sich Emma Hough Hobbs etwas gesammelt hat, sagt sie, dass der Film auf dem gestohlenen Land der Kaurna in Adelaide Plains entstanden ist. „Unsere Ureinwohner wurden in ihrem eigenen Land vertrieben. Eine moderne Parallele dazu findet derzeit in Gaza und der Westbank statt, verübt durch den Staat Israel.“ Sie bekommt lauten Applaus aus dem Publikum und ergänzt, dass dies mit Unterstützung der Regierungen von Australien, Deutschland, den USA und vieler weiterer Länder geschehe.

Als sie mit einem abgewandelten Maya-Angelou-Zitat schließt – niemand ist frei, bis wir alle frei sind –, weckt das Erinnerungen an die Teddy-Verleihung im vergangenen Jahr. Dort war der Satz bei einer Solidaritätsbekundung mit Palästina seitens der Jury ebenfalls zu hören gewesen. Das Thema spielt jedoch diesmal weiter keine Rolle in der um eine Stunde auf 90 Minuten verkürzten Preisverleihung.

Es gibt nur zwei Showacts – Sängerin Mariybu, die für die erkrankte Rapperin Ebow einspringt, und Jade Pearl Baker –, keine Seilakrobatik und auch keine Reden von Politiker*innen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, eigentlich Teddy-Stammgast, blieb der Volksbühne gleich ganz fern – was wohl auch an der Bundestagswahl liegen mag.

Todd Haynes mit dem Special Teddy.

© imago/Future Image/IMAGO/Brigitte Dummer

Die Reduzierung tut der Veranstaltung ausgesprochen gut, lenkt sie die Aufmerksamkeit doch auf die Filmemacher*innen. Und es ist mit Todd Haynes denn auch ein Regisseur, der die bewegendste Rede des Abends hält. Der New-Queer-Cinema-Pionier und Leiter der diesjährigen Berlinale-Jury bekommt erst den Special Teddy und anschließend minutenlang stehende Ovationen.

Als er sich bedankt, stellt er zunächst die Bedeutung Rainer Werner Fassbinders für sein Schaffen heraus, um dann einen Bogen zu seinem ersten Spielfilm „Poison“ zu schlagen, der 1991 den Spielfilm-Teddy gewann und eine Reaktion auf die Aids-Epidemie war. Haynes erinnert daran, wie die Community sich damals vereinte und kämpfte, wodurch sie den Umgang mit der Krankheit entscheidend verbesserte. „Wir haben damals gelernt: Wir können die Welt verändern, wenn wir zusammenkommen.“ Dasselbe gelte es nun angesichts des brutalen Angriffs rechter Kräfte in immer mehr Ländern wieder zu tun.

Der 64-Jährige spricht frei, ruhig und kraftvoll. Zwei Tage vor der Bundestagswahl wirken seine Worte gerade in ihrem Bezug auf die queere Geschichte wie eine große Ermutigung, nicht zu verzagen. Dass ihm der Teddy, wie er sagt, gerade jetzt mehr denn je bedeute, glaubt man Haynes sofort. Auch er hat wohl ein wenig Community-Kraft geschöpft, an diesem kalten Februarabend, der mit einer ausgelassenen Party endet.

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