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„ttt“-Absage nach Sexismus-Vorwürfen: Das Versagen in der Causa Mischke ist symptomatisch für die ARD
Nach heftiger Kritik rückt die ARD von Thilo Mischke als Nachfolger für Max Moor bei Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“ ab. Der Schaden aber ist groß.

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Die intensiven Gespräche, die die ARD versprach, nachdem die Kritik an der Ernennung von Thilo Mischke zum neuen Moderator der Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“ („ttt“) sehr laut geworden war, müssen am Freitagabend enorm an Intensität gewonnen haben: Thilo Mischke wird nun doch nicht der Nachfolger von Max Moor als „ttt“-Moderator.
Die ARD verkündete am Samstag in einer gemeinsamen Erklärung mit Mischke, von dessen Moderatorentätigkeit „abzusehen“.
Die heftige Diskussion der Personalie überschatte „die für uns zentralen und relevanten Themen, die wir mit der Sendung und Marke ,ttt‘ transportieren und gemeinsam mit der Community diskutieren möchten so, dass dies nicht mehr möglich ist“, heißt es in der Erklärung. Nun gehe es darum, „weiteren Rufschaden von ,ttt‘ und Thilo Mischke abzuwenden.“
Schlingerkurs der ARD
Tatsächlich soll es laut „Süddeutscher Zeitung“ diversen ungenannten Quellen zufolge intern bei der ARD heftige Diskussionen gegeben haben: zwischen der Redaktion des Kulturmagazins, das sich in Teilen gegen Mischke als Moderator gewehrt habe, und der für die Kultur zuständigen Programmdirektion der ARD, die den Reporter durchsetzen wollte. Im Nachhinein ergibt so auch der Schlingerkurs der ARD über die Weihnachtstage Sinn.
Der von Annika Brockschmidt und Rebekka Endler betriebene Podcast „Feminist Shelf Control“ hatte kurz nach der Ernennung von Mischke in einer Folge dargestellt, was für sexistische und misogyne Äußerungen der Reporter in seiner Vergangenheit gemacht hatte. In seinen Büchern „In 80 Frauen um die Welt“ von 2010 und „Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen“ von 2013 sowie Jahre später in einem Podcast mit Caroline Rosales.
Daraufhin reagierte das Social-Media-Team von „ttt“ bei Instagram mit beschwichtigenden Äußerungen („Wir nehmen eure Kritik ernst“, „Wir sitzen das nicht aus“) und versprach eben jene intensiven Gespräche, um die Vorwürfe gegen Mischke zu prüfen. Was darauf hindeutete, wie wenig man unter anderem von den Büchern von Mischke wusste.
Allerdings hieß es nach Weihnachten seitens der ARD, dass man von Mischke überzeugt, dieser ein vielfach ausgezeichneter Journalist und enorm kompetent sei und man sich auf seine „Sicht auf Kultur“ freue. Überhaupt habe er sich kritisch mit seinem bisherigen Werk auseinandergesetzt. Kurzum: Sieg der ARD-Oberen gegen die „ttt“-Redaktion.
Proteste aus der Kultur: „ttt“ ohne uns
Ob es der inzwischen von 200 Kulturschaffenden unterschriebene offene Brief kurz nach Neujahr war, der die ARD dazu bewegt hat, von Mischke abzurücken? Namentlich gerichtet an die zuständigen Programmdirektorinnen und -direktoren der ARD, an Björn Wilhelm vom BR, Julia Krittian vom HR, Jana Brandt vom MDR, Katrin Günther vom RBB und Andrea Schafarczyk vom WDR, schlossen die Unterzeichnenden aus der Kultur eine Zusammenarbeit mit Mischke und etwaige Auftritte bei „Titel, Thesen, Temperamente“ für sich aus.
Und zwar, weil es ihrer Meinung nach keine Distanzierung Mischkes von seinen Büchern gegeben hat, sein erstes Buch „In 80 Frauen um die Welt“ entgegen seiner Behauptungen kein fiktionales Werk gewesen sei („Diese Reise hat stattgefunden, ich muss mich nicht rechtfertigen“) und er erst vergangenes Jahr noch dieses als „Vorstufe“ für seine späteren Auslandsreportagen bezeichnet habe.
Es klingt gleichermaßen putzig wie entlarvend, wenn die ARD nun „weiteren Rufschaden“ von seiner Kultursendung „ttt“ und Thilo Mischke abwenden will. Der Schaden ist schon jetzt kaum reparabel, und die ARD hat ihn allein zu verantworten. Der Sender wollte offenbar einerseits einen Reporter verpflichten, der im Kulturbetrieb niemandem ein Begriff und hier bislang auch nicht unterwegs war.
Bei seiner Ernennung hatte Mischke mit seinem „unterkomplexen Kulturbegriff“ geworben. Und seine Eignung meinte er damit unter Beweis stellen zu müssen, Sohn eines Buchhändler-Ehepaars zu sein und deshalb Kultur verkaufen zu können.
Misogyne Prosaversuche
Andererseits schien man bei der ARD nichts von Mischkes misogynen Prosaversuchen zu wissen – oder es war den Programmoberen egal. Hauptsache ein Haudrauf, mit Mitte 40 noch vergleichsweise jung und so womöglich ein Magnet für ein jüngeres Publikum; ein Mann, der nicht nur Beiträge ansagen und moderieren, sondern womöglich investigativ Kulturgeschichten recherchieren sollte, ein zweiter Jan Böhmermann.
Die Gesellschaft und die Moral, die wir über, in den letzten 2000 Jahren Christianisierung in Europa verteilt haben, hat uns das so´n bisschen abgewöhnt, dass wir nicht mehr vergewaltigen.
Thilo Mischke in einem Podcast
Auch für Thilo Mischke ist der Schaden groß. Die ganze Republik weiß nun von seinen Büchern. Die hat er mit Ende zwanzig, Mitte dreißig geschrieben und sie lassen sich daher kaum als „Jugendsünde“ bezeichnen. Schon gar nicht im Verein mit seinen seltsamen Urmenschen-Sexualitäts- und Vergewaltigungsthesen, die er in dem Podcast mit der Autorin Caroline Rosales später von sich gegeben hat.
„Männliche Sexualität“, schwadronierte er da, basiere „vielleicht auf Vergewaltigung. Und die Gesellschaft und die Moral, die wir über, in den letzten 2000 Jahren Christianisierung in Europa verteilt haben, hat uns das so’n bisschen abgewöhnt, dass wir nicht mehr vergewaltigen.“
Ausgezeichnete Reportagen
Neben Reportagen wie „Unter fremden Decken – Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt“ (2012/2013) ist Mischke aber auch verantwortlich für sehr gute Reportagen wie „Rechts. Deutsch. Radikal“ (2020) oder solche über deutsche IS-Ein- und -Aussteiger oder über die Situation in Afghanistan nach dem Abzug der USA, allesamt mit Preisen geehrt.
Und allesamt für den Sender Pro7, der Mischke auf X ähnlich uninformiert wie die ARD gleich zur Seite sprang: „Ihn nur aus einem Buch aus der Damals-Zeit zu messen, ist ein sehr selbstgerechter Ansatz, der viel über diejenigen aussagt, die genau das machen.“
ARD will alles „journalistisch aufarbeiten“
Mischke selbst hat zu der Debatte um seine Person bislang geschwiegen. In der ARD-Erklärung heißt es, er befinde sich in einem „Prozess der Auseinandersetzung mit den Ereignissen und wird sich zu gegebener Zeit selbst zur Sache äußern“. Die ARD selbst will nun laut Programmdirektorin Christine Strobl mit ihm zusammen in den nächsten Tagen „die Thematik journalistisch aufarbeiten.“
Das sollte der Sender allerdings vor allem im eigenen Haus tun. Denn das Versagen in der Causa Mischke ist symptomatisch. Es ist repräsentativ für den verunglückten Umgang der ARD, den Öffentlich-Rechtlichen mit der Kunst und der Kultur: von der Durchformatierung und Boulevardisierung der Kulturwellen im Radio, der Streichung von Kritik und Kultursendungen bis hin zu der Hängepartie mit dem Kultursender 3Sat im Zuge der anstehenden Reformen.
Immerhin eins ist nach dem Verzicht auf Mischke entschieden worden, und man fragt sich, warum eigentlich nicht gleich so: 2025 wird „Titel, Thesen, Temperamente“ von Max Moors bisheriger Co-Moderatorin Siham El-Maimouni moderiert.
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