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Filmstill aus Simone Zauggs Video „Home Less“: In der Rolle eines Obdachlosen lässt sich die Künstlerin von einem Graffiti-Künstler mit dem Schriftzug „Home Less“ übersprühen.

© Urban Reflections by Simone Zaugg, 2025/©Simone Zaugg, 2025 (VG Bild-Kunst, Bonn 2025),

Urbane Reflexionen in der Zitadelle Spandau: Wo der Regierende mit dem Künstler kickt

Eine Obdachlose mit Graffiti am eigenen Leib und ein Fußball in Gold: Die beiden Künstler Simone Zaugg und Pfelder zeigen überraschende Arbeiten im Zentrum Aktuelle Kunst.

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Die Situation ist bizarr: Ein Obdachloser lässt sich nieder auf einem ausrangierten Sofa im Freien, dahinter erhebt sich eine mit Graffitis übersäte Hauswand. Offensichtlich haben hier Street-Art-Künstler ihr Revier. Und so dauert es auch nicht lange, bis einer vorbeikommt und den Schläfer mit dem Schriftzug „Home“ übersprüht und dem etwas kleineren Wort „Less“. Wenig später wickelt sich der Obdachlose aus dem Schlafsack, sammelt seine Flaschen Bier wieder ein und geht.  

In seiner Lakonie könnte es ein Beckett-Stück sein. Doch die Schweizer Künstlerin Simone Zaugg, die hier den Obdachlosen gibt und mit einem echten Sprayer zusammenspielt, der deshalb aus gutem Grund sein Gesicht nicht zeigt, meint es verdammt konkret. Es geht ihr nicht um Geworfenheit in die Welt und existenzphilosophische Fragen, sondern das Leben in der Stadt. „Urban Reflections“ nennt sie deshalb ihre Ausstellung im Zentrum Aktuelle Kunst (ZAK) in der Zitadelle Spandau.

Der Künstler Pfelder (li.) spielt in seiner Installation „gold“ in der Zitadelle Spandau mit dem Kollegen Left Winter Fußball.

© Pfelder (VG Bild-Kunst, Bonn 2025), Foto: Urte Evert

Ihr Video „Home Less“ fügt sich ein in eine Reihe von Interventionen, die an Situationen im öffentlichen Straßenraum erinnern. Rot-weiße Barken stehen herum, ein ramponierter Mülleimer der BSR hängt an einem der Pfeiler im Ausstellungssaal, und auch die Tüte mit Pfandflaschen des Obdachlosen findet sich wieder.

Eine Hommage an das Leben da draußen

Simone Zaugg hat eine Hommage an das Leben da draußen geschaffen mit Baustellen, Stillleben aus abgeladenem Sperrmüll und Inseln der Begegnung wie etwa jenes Arrangement aus stehen gebliebenen Flaschen und einer Tasche, aus der Musik dudelt. Jugendliche aus dem gigantischen Wohnblock könnten sie zurückgelassen haben, der als Tapete die hintere Wand bedeckt.

Das Engagement der Künstlerin rührt an, die in die Rolle des Obdachlosen schlüpft und in einem weiteren Film wie eine Parcours-Sportlerin durch einen offenen Straßengraben mit Rohren jagt. Der Härte da draußen gewinnt sie durch ihren performativen Überlebenskampf eine überraschend poetische Seite ab. Über die Szene mit dem Obdachlosen, der übersprüht wird, legt sich gnädig die abendliche Dämmerung.

Die Kamera hat bei „Home Less“ Simone Zauggs Partner geführt, der Künstler Pfelder. Beide betonen, nur im Leben, nicht in der Kunst Partner zu sein, dafür sich aber gegenseitig als beste Assistenten zur Seite zu stehen. Ihre Doppelausstellung in der Zitadelle Spandau könnte da zu Verwirrung führen, denn parallel zu Simone Zaugg zeigt Pfelder seine Rauminstallation „gold“ im Ausstellungssaal gleich daneben. Sie widmet sich ebenfalls einem urbanen Phänomen: dem Ballsport-Käfig.

Der Berliner Künstler hat tatsächlich einen solchen Käfig in den Raum gebaut, nur in seinen Maßen angepasst. Wer hier kickt, muss um die beiden Pfeiler mittendrin herumdribbeln und sehr viel kleinere Tore treffen. Natürlich stellt diese Installation eine Metapher dar, zumal der bereit liegende goldene Fußball. Die Bandenwerbung, die Pfelder mit aller Ernsthaftigkeit bei Spandauer Unternehmen akquiriert hat, geben eine Ahnung wofür.

Der Fußballkäfig im ZAK gerät zum Schauplatz privater Förderinitiativen. Seitdem der letzte Kultursenator Joe Chialo angesichts der drastischen Kürzungen den Kulturinstitutionen empfahl, mithilfe von Sponsoren ihren Haushalt zu sichern, fühlt sich die Kunstszene in die freie Wildbahn entlassen. Die Kultur könnte zum Spielball ökonomischer Interessen werden.

Als sich der Senat zu seiner letzten großen Gesprächsrunde in der Zitadelle traf und auch bei der Installation „gold“ vorbeischaute, nutze Pfelder die Gelegenheit, um dem Regierenden Bürgermeister seine Meinung dazu zu sagen. Gekickt haben sie dann trotzdem noch.

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