zum Hauptinhalt
Morgenappell. Sener Özmen zeigt in seiner Fotoarbeit „Flag“ Männer am Fahnenmast. Ihre Körperhaltung ist stramm, weil sie Halskrausen tragen.

© Pilevneli Gallery, Istanbul

Vertreibung, Krieg, Widerstand: Diese Schau erzählt vom Leiden und dem Mut der Kurden

Die Ausstellung „bê welat“ vereint die Werke 13 kurdischer Künstler:innen. Sie fragen nach der Bedeutung von Heimat – und den Folgen ihres Verlustes.

Wo ist Heimat, wenn andere ihr ständig die Existenzberechtigung absprechen? Die Ausstellung „bê welat – the unexpected storytellers“ widmet sich den unterschiedlichen Dimensionen kurdischer Realitäten und Räume, die alle von „bê welat“ geprägt sind, was auf Deutsch „Heimat- und Staatenlosigkeit“ bedeutet. Kurdische Gebiete erstrecken sich über Iran, Irak und Syrien, der größte Teil liegt in der Türkei. Rechte von Kurd:innen werden bis heute beschnitten.

In der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) in Kreuzberg nähern sich 13 kurdische Künstler:innen dem Zustand der Heimat- und Staatenlosigkeit auf ganz unterschiedliche Weise. Eröffnet wird die Ausstellung mit Sener Özmens Fotoarbeit „The Flag“ von 2010. Vier Lehrer stehen beim Fahnenappell, die Fahne allerdings weht außerhalb des Bildausschnitts. Die Körperhaltung der Männer ist stramm, ihr Blick entschlossen in die Höhe gerichtet, wie es üblich ist bei einer solchen Zeremonie.

Doch die soldatische Haltung kommt nicht von innen, sie wird von außen gestützt: Die Männer tragen Halskrausen. Özmens Arbeit setzt sich spielerisch mit Assimilation und Zwang auseinander. Dafür benutzt Özmen die Realität kurdischer Personen, die als Lehrer Bedienstete des türkischen Staates sind. Fremdherrschaft zeigt sich immer auch konkret körperlich.

Der Verweis auf das Körperliche zieht sich durch die gesamte Ausstellung. So besteht eine Arbeit von Nuveen Barwari aus einer blumengemusterten Decke, wie sie in kurdischen Kontexten oft verwendet wird. Der Titel des Werks ist eine nüchterne Feststellung, die jedoch auf eine tiefgehende Tragik anspielt: „This blanket won’t keep the dead warm“. Ein Foto zeigt Körper kurdischer Menschen, die in ebensolche Decken gewickelt wurden, nachdem sie bei einem türkischen Angriff auf das kurdische Rojava getötet wurden.

Die Blumen-Decke im Ausstellungsraum ist nach einer militärischen Technik gefaltet, wie sie die USA für gefallene Soldaten verwendet. Damit stellt sie die Frage nach der Verantwortung der USA, aber auch insgesamt nach der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die gewaltvollen Erfahrungen von Kurd:innen.

Mehrsprachigkeit und Sprachlosigkeit

Zu den Highlights der Ausstellung gehört die multimediale Installation „Personae“ von Havin Al-Sindy. In einem Video sind Köpfe und Gesichter zweier Menschen mit Lehm überzogen. Mit ihren Händen formen die Personen diese Lehmmasken des Gegenübers, unter den Masken hört man es schwer atmen. Dieses Formen und Geformtwerden hat etwas sehr Intimes, zugleich aber auch etwas Gewaltvolles – es ist ein äußerlicher Eingriff in den privatesten Raum.

[„bê welat – the unexpected storytellers“, bis zum 15. August in der nGbK, Oranienstraße 25 (Kreuzberg), Eintritt frei.]

Al-Sindy spielt in ihrer Arbeit auf die Herausforderungen von Mehrsprachigkeit und Sprachlosigkeit an, die gerade für das Kurdische, das lange eine verbotene Sprache war, bedeutend sind. Die Installation erzählt darüberhinaus aber auch etwas über zwischenmenschliche Beziehungen allgemein, als Spiel von Nähe, Distanz und Veränderung, das in Manipulation umschlagen kann. Damit rückt Al-Sindy die Menschlichkeit in den Fokus und verweist eindrücklich darauf, dass jede kurdische Realität eben in erster Linie eine menschliche ist.

Kurdische Buchstaben wurden in der Türkei verboten

Diese Erfahrungen werden von sehr unterschiedlichen Positionen aus gemacht, lokal vor Ort oder in der Diaspora. Welche Gemeinsamkeiten haben diese unterschiedlichen Perspektiven, welches Verständnis von Zuhause liegt ihnen zugrunde? Zwei Gemälde von Zelal Özkan und ein großformatiges Gemälde von Elif Küçük werden als Antwort einander gegenübergestellt.

Die Ausstellung erzählt von Vertreibung, Krieg, kolonialen Zuständen, aber auch von Widerstandskraft. Dass Widerstand auch mit Humor funktionieren kann, zeigt „qwx-show ur linga“ von Miro Kaygalak. Kaygalak versammelt Portraits, auf denen Menschen mit ausgestreckter Zunge abgebildet sind. Eine rebellische Pose als Reaktion auf die Verleumdung der kurdischen Sprache.

Jahrzehntelang waren die Buchstaben „qwx“, die in der kurdischen Sprache verwendet werden, in der Türkei verboten, und immer noch wird ihre Verwendung höchst ungern gesehen. Das Zunge-Rausstrecken wird zu einem Akt der Selbstermächtigung – und zu einem Zeichen der Kraft und der Möglichkeit, trotz Heimat- und Sprachlosigkeit eigene Geschichten zu erzählen.

Zur Startseite