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Beitrag von James Richards, vorne eine Arbeit mit Lucas Foletto Celinski, „Novel Pleasures“ und hinten ein Gemeinschaftswerk mit Tolia Astakhishvili, „Our Friends in the Audience“.

© Jacopo La Forgia

Vier Sieger, eine Ausstellung: Neues Verfahren beim Preis der Nationalgalerie – alle gewinnen

Sie heißen Hanne Lippard, Dan Lie, James Richards und Pan Daijing. Ein Blick auf die Gewinner und ein kleiner Abriss der Preisgeschichte.

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Berlin sollte Kunstmetropole sein, die Nationalgalerie enger mit der zeitgenössischen Kunst verbunden werden und ein bisschen Glamour, analog zum Londoner Turner Prize, wünschte man sich natürlich auch.

Bei der Erstausgabe des Preises der Nationalgalerie, im Herbst 2000, traten Ólafur Elíasson, Katharina Grosse, Christian Jankowski und Dirk Skreber gegeneinander an. Alle hatten bereits eine internationale Karriere begonnen, heute sind sie Superstars. Ausgerechnet von Dirk Skreber hört man heute am wenigsten – der hatte damals gewonnen.

Obwohl der Preis also schon immer Sprungbett für alle auf der Shortlist war, konnte damals nur eine oder einer gewinnen. Das hat sich jetzt geändert. Nun wird der Preis der Nationalgalerie an vier gleichberechtigte Positionen vergeben.

Eine Laudatio für alle

Jankowskis Beitrag zur Erstausgabe im Jahr 2000 hieß „Herzlichen Glückwunsch“. Er beauftragte professionelle Redenschreiber damit, eine Laudatio für jeden der Nominierten zu verfassen. Diese hellsichtige Videoarbeit ist nun als Reminiszenz an die Historie des Preises in der Ausstellung der diesjährigen Gewinner zu sehen. Skreber gewann damals mit einem Gemälde, bekam seine 100.000 Mark Preisgeld als Scheck direkt in die Hand gedrückt, badete anschließend in der Menge und alle gemeinsam im Wein. So eine Zeit war das.

Preis der Nationalgalerie 2024, Von links: James Richards, Hanne Lippard, Dan Lie, Pan Daijing haben gleichberechtigt gewonnen.

© Victor Luque, Felix Brüggemann, Camila Svenson, Dzhovani

In den Folgejahren gab es spektakuläre Auftritte. John Bock etwa, der sich durch ein Fenster der Kleihueshalle stürzte und auf einen Kahn im Kanal fallen ließ. Als 2015 Anne Imhof, die später bei der Venedig-Biennale mit dem Golden Löwen ausgezeichnet wurde, gewann, schwappte Buttermilch in einem Betonbecken. Imhof kam mit einer Gruppe an Performern, die Ära der ichbezogenen Einzelperformances neigte sich bereits dem Ende zu.

Diskussionen um die Selektion

In den 24 Jahren ihres Bestehens hat die von den Freunden der Nationalgalerie ins Leben gerufene Auszeichnungen so manche Wandlung vollzogen. Aus 100.000 Mark wurden 50.000 Euro Preisgeld, später gab es für den Gewinner statt Geld eine Einzelausstellung. 2017 wurden zum ersten Mal vier Frauen nominiert, keine von ihnen aus Deutschland, wie man betonte.

Die Vier kritisierten, dass es in der Kommunikation mehr um Identitätsmerkmale gegangen sei als um ihre Kunst. Auch äußerten sie Unzufriedenheit mit der Selektion einer Einzelnen, zumal es zu der Zeit nicht mal Ausstellungshonorare für die Nominierten gab. Schon 2019 teilten sich beim britischen Vorbild, dem Turner Prize, erstmals die vier Nominierten den Preis. Gewinnen und verlieren ist in der Kunst schon länger nicht mehr angesagt. 

Der Preis der Nationalgalerie setzt nun dauerhaft ein Zeichen für „mehr Kollektivität in der Kunst“, wie einer der beiden Direktor des Hamburger Bahnhofs, Till Fellrath, sagt. Ab diesem Jahr gewinnen stets vier Personen, die von einem internationalen Gremium aus einer Longlist ausgewählt werden. Dieses Mal heißen sie James Richards, Hanne Lippard, Dan Lie und Pan Daijing. Es gibt nur noch eine gemeinsame Ausstellung und die Auftragswerke aller vier werden für die Sammlung des Hamburger Bahnhofs angekauft (nicht mehr nur die Arbeit des Gewinners).

Ob das Budget zwischen den Vieren aufgeteilt werden muss, ließ Fellrath beim Pressegespräch offen. Er erklärt nur, dass ja die Kosten der Einzelausstellung wegfielen und neben dem Verein der Freunde der Nationalgalerie und BMW ein weiterer Förderer hinzugekommen sei. Den Künstlern gefällt es. Allen scheint ein Stein vom Herzen zu fallen, dass sie nicht gegeneinander antreten müssen.

Hören, Riechen, Spüren

Es ist ein spannender Jahrgang, auch wenn die Ausgewählten nur einen Ausschnitt des aktuellen Kunstgeschehens repräsentieren. Alle Wohnhaft in Berlin, alle international gut mit Institutionen vernetzt, die meisten bereits mit einschlägigen Preise wie Ars Viva oder Villa Aurora-Stipendium ausgezeichnet.

Preis der Nationalgalerie. Dan Lies Installation „The Reek“ im Hamburger Bahnhof ist ein Ökosystem aus Pflanzen, Pilzen, Bakterien und Insekten.

© Jacopo La Forgia

Wollte man einen inhaltlichen roten Faden finden, wäre es der Fokus auf den Körper als Schnittstelle zur Welt. Alle arbeiten multimedial, sprechen viele Sinne an, oft spielt Sound eine Rolle. So nutzt die schon lange in Berlin lebende Britin Hanne Lippard ihre Stimme, die Performance- und Klangkünstlerin Pan Dijjing kreiert eine besondere Beziehung zum Raum. Der Videokünstler James Richards setzt in seinen Video- und Bildercollagen auf die Zusammenarbeit mit anderen. Bei Dan Lie geht es um die Kooperation mit nicht-menschlichen Organismen, mit Pflanzen, Pilzen, Bakterien, die schon viel länger den Planeten bevölkern als der Mensch.

Die Kooperation fördern heißt nicht, dass die Künstler eine aufeinander abgestimmte Ausstellung konzipieren oder einem gemeinsamen Thema arbeiten. Ihre Beiträge sind Solitäre. Sie lassen sich allesamt nicht leicht mit Worten beschreiben, weil sie genau das ansteuern, wofür Sprache und Intellekt nicht mehr reichen.

James Richards öffnet in seinem Beitrag für die Ausstellung eine Welt schwulen Begehrens. Man sieht eine flache Pappfigurengruppe beim erotischen Spiel. In seinem grau-schwarzen Video-Diptychon, „The Speed of Mercy“, zoomt er an historisches Graffiti und an Aufnahmen von Restaurierungsprozessen von Kunstwerken im Hamburger Bahnhof heran, bis sich im Extrem-Close-up Landschaften, Krater und Gesichter herausschälen. Richards befeuert die Synapsen mit Reizen, um so das Denken auszuschalten „Wenn etwas passiert, lass es zu“ heißt eine seiner früheren Arbeiten.

Preis der Nationalgalerie. Hanne Lippard nutzt in ihrer Installation „Look for Words“ ihre eigene Stimme.

© Jacopo La Forgia

Hanne Lippards Installation „Look for Words“ besteht aus einem minimalistischen Setup aus mehreren Lautsprechern auf einem silbirg-spiegelndem Grund. Lippard spricht Sätze, Worte, Silben, Laute, die sie durch Intonation und Rhythmus zerpflückt, zerhackt, dehnt, unendlich oft wiederholt. Es ergibt sich eine zwanzigminütige Klangperformance, vor der man wie hypnotisiert sitzen bleibt, weil auch hier die vertrauten Systeme der Dekodierung versagen. Immer wenn man einem Satz auf der Spur zu sein glaubt, löst er sich auf, zerfallen Worte zu Silben und Lauten und stürzen sich ins nächste Abenteuer.

Preis der Nationalgalerie. Pan Daijings Soundlandschaft im Hamburger Bahnhof macht Vergessen, wo man eigentlich ist.

© Jacopo La Forgia

Pan Daijing, geboren und aufgewachsen im Südwesten Chinas, geht vom jeweiligen Raum aus, der ihr zur Verfügung steht, verwandelt ihn mit Musik, Klang, Video, Installation und Choreografien in ein neues, sinnliches Erlebnis. Man landet in einer dunklen, rot schimmernden Landschaft, die durch große geometrische, mit Teppich bezogene Einbauten strukturiert ist.

Hier und da schimmert ein Licht, Deckenpanele sind geöffnet, Videoarbeiten installiert, Wind weht, das Licht variiert kaum merklich. Ein enger Korridor führt zu eine großen Videoarbeit. Vom ursprünglichen Ausstellungsraum erkennt man bei ihr überhaupt nichts mehr, obwohl manche Details explizit in Szene gesetzt sind. So entsteht Intimität. Pan Daijing weiß genau, welche Zutaten sie dafür braucht.

Dan Lies Installation kündigt sich durch einen Geruch an, bevor man überhaupt etwas sieht. Die Installation aus gekreuzt liegenden morschen Baumstämmen und von der Decke hängenden welken Blumen, erinnert im ersten Moment an die Reste einer feierlichen Beerdigung. Aber eigentlich tobt hier das Leben. Pilze wachsen, in feuchter Erde sprießt es, Bakterien und Insekten sind am Werk. Es erschließt sich ein Kreislauf aus Werden und Vergehen. Die Künstlichkeit der Umgebung, die man sonst im Museum bemängelt, passt hier ausnahmsweise wunderbar. Der Mensch ist in dem ausgestellten Prozess außen vor – und genau mit dieser Rolle sollen sich Besucher auseinandersetzen.

Alle Nominierten haben bereits internationale Karrieren begonnen, sind bei Musikfestivals und in Theatern ebenso vertreten wie in der Tate Modern in London, im Pariser Palais de Tokyo oder in anderen europäischen Kunsthäusern. Trotzdem ist auch für sie das Überleben als Künstler ein permanenter Kampf. Viele in der Kunstszene fühlen sich ausgebrannt und leer, heißt es in einem Interview, das für den Ausstellungskatalog mit allen Gewinnern geführt wurde.

Wer nicht überall dabei ist, schafft es nicht. Wer dabei ist, überfordert sich. Zwar reduziert sich der Druck etwas, wenn man nicht in einer Nominiertenschau konkurrieren muss. Ganz grundsätzlich bleibt die Frage, wie Solidarität im Kunstbetrieb künftig aussehen kann, aber offen stehen.

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