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Kultur: Vom Rand der Welt

„Medeas Gold“ in der Berliner Antikensammlung

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Es waren die sagenhaften Länder und Reiche am vermuteten Ende der Welt, die schon die Fantasie antiker Dichter, Historiker oder Reisender entflammt haben. Für die alten Griechen zählte das „goldreiche“ Königreich Kolchis, das heutige Georgien an der Ostküste des Schwarzen Meers, zu diesen mythischen Regionen. Der Sage nach fuhren die Argonauten nach Kolchis. Jason, ihr Anführer, verliebt sich in die Königstochter Medea und raubt mit ihrer Hilfe das Goldene Vlies, ein mit Goldstaub bedecktes Widderfell, dem magische Kräfte zugeschrieben werden. Euripides hat das Schicksal Medeas in Griechenland, das im Mord der eigenen Kinder gipfelt, in einer Tragödie gestaltet. Derzeit ist das Lehrstück über den vermeintlichen Atavismus einer Außenseiterin im Deutschen Theater zu sehen: mit einer grandiosen Nina Hoss in der Titelrolle.

Nun feiert eine ebenso grandiose Kabinettausstellung im Alten Museum die unvorstellbar reiche, durch und durch zivilisierte Seite der antiken Schwarzmeerkultur am Fuße des Kaukasus. „Medeas Gold. Neue Funde aus Georgien“ ist die erste Koproduktion der Berliner Museen mit dem Georgischen Nationalmuseum in Tiflis. Gezeigt wird spektakulärer Goldschmuck des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts, die in Vani, einem Ort im Küstenhinterland, seit den sechziger Jahren ausgegraben werden. Auf dunkelblauer Seide strahlen filigrane, oft mit fantastischen Tierdarstellungen geschmückte Ketten, Armreifen und Schläfenringe, mit denen die Kolcher ihre Toten, Männer wie Frauen, in unterirdischen Felsengräbern bestattet haben. Zu den Prunkstücken gehören zwei Diademe mit Tierkampfdarstellungen aus Gold, wie sie schon Euripides beschrieben hat. Wer so ein Stück unberechtigt trug, dem entzündete Sonnengott Helios durch einen bösen Zauber die Haare.

Ein Teil der Schätze wurde erst während der jüngsten Grabungskampagnen 2003-2005 entdeckt. Nun dürfen sie erstmals Georgien verlassen: im Rahmen einer Imagekampagne, mit der die Kaukasusrepublik ihre kulturelle Zugehörigkeit zur alten Welt unter Beweis stellen will. Georgiens Kulturminister Goirgi Gabashvili formuliert es in perfektem Deutsch so: „Wir glauben, dass wir ein Teil Europas sind. Dieser Nationalschatz zeigt unsere europäische Identität.“ Eröffnet wurde die Ausstellung vom georgischen Premierminister Zurab Noghaideli.

Auch die Forschung führt „Medeas Gold“ in unbekanntes Terrain. Wissenschaftlich bearbeitet werden die Neufunde zusammen mit dem Deutschen Archäologischen Institut. Vieles deutet darauf hin, dass die Geschichte der Schmuckproduktion in der Antike umgeschrieben werden muss. Gertrud Platz, stellvertretende Direktorin der Berliner Antikensammlung und Kuratorin der Ausstellung, gesteht, dass sie noch nie so hochwertigen frühen Goldschmuck gesehen hat. Es ist nicht nur die Materialfülle, welche die meisten griechischen Stücke im Vergleich mit zeitgleichen kolchischen zu dünnen Blechen macht. Zur Sensation werden Medeas Preziosen durch ihre Verarbeitung. Feinstens aufgelötete Minidrähte und Kügelchen formen die Mähne eines Pferdes oder den Lockenkopf seines zentimeterkleinen Reiters. Die Kunst, Goldblech wie Klöppelspitze zu perforieren, beherrschte man so perfekt erst wieder in der Spätantike. Kolchis muss alles andere als ein dunkles Königreich gewesen sein.

Altes Museum, bis 3. Juni. Katalog (143 Seiten), 19,90 €

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