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Kultur: „Wer Kunst macht, wird so leicht kein Terrorist“

Heute hat in Berlin Christoph Schlingensiefs neues Politstück „Atta Atta“ Premiere. Ein Gespräch über Attentate und Avantgarde

Herr Schlingensief, die Volksbühne wirbt für Ihr neues Stück mit der Parole „Einfach mal richtig spinnen“. Lösen der Terrorismus und der drohende Krieg den Abwehrreflex aus, sich mit DadaStrategien den Frontbildungen zu entziehen?

Dada ist Verzweiflung, sagt Peter Sloterdijk. Bei jedem Funken Hoffnung spüre ich eine Deregulation in meinem Hirn. Ich bekomme jetzt alle möglichen Anfragen, etwas gegen den Krieg zu unterschreiben. Da bekomme ich Hautausschlag, von diesen guten Menschen, die sich ihrer Gutheit versichern oder wie Konstantin Wecker nach Bagdad fahren, um für sich selbst Werbung zu machen. Das habe ich hinter mir. Aber zu sagen, wir wollen jetzt einfach nur spinnen und bekloppt sein, ist auch zu einfach. Susan Sontag war zu Besuch bei unseren Proben. Die ist jetzt in den USA Persona non grata, weil sie Stellung bezogen hat gegen die amerikanische Regierungspolitik nach dem 11. September. Aber ich muss jetzt kein Stück gegen den Krieg machen oder für den Krieg. In der Freiheit des Machens liegt die Verantwortung, die ich als Künstler habe und die Lust. Und die lasse ich mir nicht nehmen.

Sie haben zu den Proben prominente Kunsttheoretiker eingeladen. Boris Groys, Peter Sloterdijk und Peter Weibel haben Vorträge über Kunst und Terrorismus gehalten. Ist das die nächste Stufe im Diskurs-Theater: Terrorismus-Theorien als Spielmaterial?

Diese Theorien waren für unsere Arbeit nur der Bodensatz. Theorien sind immer sehr schnell unmusikalisch. Ich suche nach Noten und Rhythmen zu diesen Themen. Da ich ja vom experimentellen Film herkomme, hat mich immer die Phase zwischen den Bildern interessiert, und die ist dunkel! Attaismus ist die Summe aller Möglichkeiten, die frühere Kunstbewegungen offengelassen haben, sagt Weibel. Genau da liegt aber auch das Dilemma. Die 68er sagen, wir haben die Autos noch angesteckt, ihr redet nur darüber. Oder ein Künstler sagt, was ihr macht, habe ich auch schon mal gemacht. Da bleibt nicht mehr viel übrig. Eigentlich müsste man eine panislamische Bewegung gründen, in der vor allem eine Grundbedingung gilt, nämlich die Burka für den Mann. Das hat noch keiner gemacht. Es gibt unter Intellektuellen ein großes Bedürfnis, sich zum Terrorismus zu artikulieren. Nur im Theater ist das bisher praktisch nicht angekommen.

Claus Peymann hat „Nathan der Weise“ inszeniert, den Klassiker über religiöse Toleranz.

Das ist Kulturbetrieb. Es geht nur darum, dass das Konto wächst und dass man Erfolge vorweisen kann. Das ist kein Stück besser als bei Politikern. Nach der Bundestagswahl bekam ich einen Anruf aus dem Kanzleramt, wo es hieß, das war aber toll, die Aktion mit dem Möllemann...

Wo Sie vor Möllemanns Firma ein Happening veranstaltet und gerufen haben: „Ich schäme mich für Möllemann. Möllemann, ich verfluche dich.“

Plötzlich fanden die das toll im Kanzleramt. Aber erst nach der Wahl. Schröder sieht auf Fotos aus, als säße er im Führerbunker. Seine Firma hat Ladehemmung und Gehirnprobleme. Der größte Erfolg dieser Regierung ist das Dosenpfand. Obwohl mir die Grünen immer noch sympathischer sind als Möllemann oder Stoiber.

In dem Buch, das aus den Probengesprächen entstanden ist, nennt Boris Groys Osama Bin Laden einen global agierenden Videokünstler. Bazon Brock meint, der Versuch aller Aktionskünstler, nämlich „so zu leben, dass sich möglichst viele Menschen erzählend darauf beziehen“, sei am 11. September gelungen. Das klingt zynisch, ein Fall von Künstler-Narzissmus, in dem alles, auch das Schrecklichste, nur als Spiegel der Künstlers vorkommt.

Das Schlimme ist, dass es wirklich gelungen ist. Und das kann man analysieren. Der Zynismus liegt nicht in der Analyse. Genau an diesem Punkt geraten Carl Hegemann, der Volksbühnen-Dramaturg, und ich aneinander. Wenn mir Carl erzählt, der Einschlag des zweiten Flugzeugs ins World Trade Center hätte zwar alle Merkmale einer Kunstaktion gehabt, sei aber keine gewesen, sage ich sofort, ich mache hier eine StockhausenOper. Es geht immer um das Verhältnis zwischen Kunst und Wirklichkeit. Bei Niklas Luhmann gibt es eine Passage, die heißt: „Die andere Welt der Kunst kann nur dadurch kommunizierbar bleiben, dass man Referenzen auf unsere eingeübte Welt kappt. Und der Betrachter, der im Normalen zu Hause ist, ist raffiniert. Man muss ihm jeden Weg zurück in seinen Alltag versperren und jede Vermutung unterbinden, dass der Künstler anderes im Sinn hat, als das, was das Kunstwerk zeigt.“ Das ist die Souveränität des Künstlers, die leider nur im Raum der Kunst zur Entfaltung kommt. Der Einschlag der Flugzeuge in New York erinnert an die Wirkung der Dampflokomotive in der allerersten Kinovorführung. Die Zuschauer dachten, dass eine echte Dampflokomotive auf sie zufährt und sind aus dem Kino gerannt.

Mit dem Unterschied, dass in New York nicht nur Bilder produziert wurden, sondern Menschen starben. Gegen Baudrillards Zynismus, der alles nur noch auf einer Zeichen- und Symbolebene, als Kinobild wahrnimmt, hat Diedrich Diederichsen die trockene Formel gesetzt: „Das WTC hat es wirklich gegeben“.

Natürlich. Aber wir haben es alle nur im Fernsehen gesehen und sind trotzdem gerannt. Ich auch. In der Kunst kann man solche Reflexe vielleicht vermeiden. Wenn man in der so genannten normalen Welt einen Fehler macht, ist es immer ein Fehler. Wenn man als Künstler das Falsche tut, ist es oft genau richtig. In meiner Inszenierung taucht kein World Trade Center auf, kein Flugzeugangriff, kein Bin Laden, kein Bush. Es gibt verschiedene Kunstaktionen und mein Elternhaus mit Irm Hermann und Sepp Bierbichler als meine Eltern. Mein ewiger Kampf darum, zu Hause zu beweisen, dass ich nicht der bin, den Onkel Willy in mir sieht, nämlich den Hochverräter unseres ganzen Geschlechts, ist jetzt in eine Phase eingetreten, wo ich ihn auf die Bühne bringen muss. Wenn Hermann Nitsch haufenweise Tomaten zermatscht, spielen wir das nach. Das Gleiche machen wir mit Beuys und anderen. Man sieht Künstler auf dem Campingplatz bei der Arbeit, darauf reduziert sich die ganze Aktionskunst. Ich finde die überhöhten Erklärungen und Einordnungen lächerlich.Das Kunstwerk ist ganz einfach etwas Materielles, Geformtes an einem bestimmten Ort. Was darüber hinausgeht, sagt Groys, ist „Ideologie oder Politik oder Religion oder Hermeneutik“. Ich wohne gerne auf dem Campingplatz in meinem Wohnmobil. Am Campingplatz mag ich, dass man seine 20 Liter Scheiße alle drei Tage in so einem Plastikeimer wegbringen muss. Dabei trifft man dann den anderen, den man vorher im Pelzmantel oder in der Superskiausrüstung gesehen hat, wie er auch seine 20 Liter Scheiße zum Ausguss trägt.

Und in Ihrem Stück tragen Sie 40 Jahre Performance-Kunst zum Ausguss?

Ich spiele gerne einen, der scheinbar im Wahn mit Fett und Filz oder Blut und Gedärmen zweckfrei tätig ist. Und ich kümmere mich dabei weder um Originalitätszwang noch um Publikumswirkung. Es geht immer auch um das Beschmutzen von vorgegebenen Ordnungen. Ohne dass diese Beschmutzung etwas ändern würde. Meine Mutter würde sagen, weil der Abend ja dann doch auch etwas mit Mohamed zu tun hat, die Flecken kriege ich nie wieder aus dem Perser raus. Trotz Ata. Irm Hermann schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, um sich von diesem Dreck zu befreien. Aktionskunst und Installationen von Paul McCarthy oder Damien Hirst haben etwas mit solchen Reinigungsritualen zu tun. Hier wird etwas durch die penetrante Wiederholung abgenutzt. Auch das ist musikalisch. Historisch fängt es etwa 1920 an mit Musik von Varèse, das geht dann bis zu Penderecki und Stockhausen oder einem Schuhplattler von Otto Mühl, pure Psychomotorik. Wer den Raum der Kunst benutzen kann, wird so leicht kein Terrorist. Das ist meine feste Überzeugung. In den arabischen Staaten gibt es kein System moderner Kunst.

Haben Sie Angst vor einem drohenden Krieg?

Ich habe mir nicht umsonst ein Wohnmobil gekauft. Ein hilfloser Fluchtversuch. Wir treten alle in die Kirche der Angst ein.

Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

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