zum Hauptinhalt
Die Regisseure Yuval Abraham (l.) und Basel Adra bei der Berlinale-Abschlussgala, auf der sie für „No Other Land“ den Preis für den besten Dokumentarfilm erhielten.

© dpa/Monika Skolimowska

Update

Westjordanland-Doku „No Other Land“: Berliner Hauptstadtportal löscht Antisemitismus-Zuschreibung

Der bei der Berlinale prämierte Film weise „antisemitische Tendenzen“ auf, hieß es auf Berlin.de. Nach Protest des Regisseurs verschwand der Halbsatz, jetzt gibt es auch eine Entschuldigung.

Stand:

Der Regisseur Yuval Abraham postete es auf X. Zum aktuellen Filmstart des palästinensisch-israelischen Dokumentarfilms „No Other Land“ war am Dienstag auf dem Hauptstadtportal Berlin.de bei den Beschreibungen aktueller Filme zu lesen, der von ihm, dem Israeli Abraham, und dem Palästinenser Basel Adra realisierte Film weise „antisemitische Tendenzen“ auf. Und er sei nach dem Angriff der Hamas auf Israel fertiggestellt worden, „der in dieser Dokumentation keinen Niederschlag findet“.

Abraham postete das am frühen Dienstagabend – da wurde der Film gerade in der Akademie der Künste vorgestellt, gefolgt von einem Gespräch mit den beiden Regisseuren.

Am Mittwochmorgen sind die beiden Halbsätze auf Berlin.de verschwunden. Jetzt steht dort als Beschreibung nur noch: „Palästinensisch-norwegischer Dokumentarfilm, entstanden unter der Regie von Yuval Abraham, einem Israeli, und Basel Adra, einem Palästinenser. Im Mittelpunkt steht das Leben der Palästinenser im Westjordanland und ihr Leiden unter der israelischen Besatzung. Fertiggestellt wurde der Film 2023, nach dem Angriff der Hamas auf Israel.“

Zur Erinnerung: „No Other Land“ hatte auf der Berlinale den Preis als bester Dokumentarfilm gewonnen, im Rahmen der Preisverleihung hatten sich einseitige propalästinensische Statements gehäuft (auch Abraham und Basra erwähnten den Terroranschlag vom 7. Oktober nicht). Im Anschluss gab es Antisemitismusvorwürfe gegen das Festival und die Veranstalter der Gala. Der Film selbst kritisiert die Besatzungspolitik und ständigen Zerstörungen palästinensischer Häuser im südlichen Westjordanland, er schildert auch die Sisyphusarbeit des wiederholten Wiederaufbaus zerstörter Häuser durch die Dorfbewohner. Er ist aktivistisch, israelkritisch, aber nicht antisemitisch.

Die Bulldozer kommen regelmäßig nach Masafer Yatta und zerstören palästinensische Häuser. Basel Adra, einer der Regisseure und Protagonisten des Films, dokumentiert die Zwangsräumungen.  

© Yabayay Media / Antipode Films

Realisiert wurde der Film zudem nicht nur von Abraham und Basra, deren Freundschaft und Zusammenarbeit im Zentrum von „No Other Land“ steht, sondern von einem vierköpfigen Kollektiv, zu dem auch die israelische Kamerafrau Rachel Szor und der palästinensische Fotograf Hamdan Ballal gehören. Und im Epilog des Films wird das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 durchaus benannt.

Auf Nachfrage weist Michael Ginsburg, Pressesprecher des Landes Berlin, lediglich darauf hin, dass die Filmbeschreibungen von einem externen Dienstleister stammen. Die Inhalte würden automatisiert auf Berlin.de veröffentlicht, und die für die Inhalte verantwortliche BerlinOnline GmbH habe keinen redaktionellen Zugriff auf die Texte und Bilder. Die GmbH habe den Dienstleister „nach einem Hinweis“ jedoch um Korrektur gebeten, „die gegen 22.30 Uhr erfolgt ist“. Am Mittwoch wurde kurz nach 13 Uhr noch ein Disclaimer hinzugefügt: Die Bewertung in der früheren Textversion sei „falsch und unzulässig. Sie wurde deshalb entfernt. Berlin.de bittet diesen Fehler zu entschuldigen.“

Die Pressestelle weist außerdem darauf hin, dass der Dienstleister auch andere Stadtportale versorgt. Auch dort werde automatisiert veröffentlicht. In der Tat findet sich etwa auf dem Portal www.in-muenchen.de wortgleich der ursprüngliche Text mit der Passage über „antisemitische Tendenzen“, jedenfalls bis Redaktionsschluss dieses Artikels.

Yuval Abraham schrieb in seinem Post, es schmerze ihn zu sehen, „wie nach der Ermordung eines Großteils meiner Familie im Holocaust das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung beraubt wird, um Kritiker der israelischen Besatzung im Westjordanland (das Thema unseres Films) zum Schweigen zu bringen und Gewalt gegen Palästinenser zu legitimieren“. Als linker Israeli fühle er sich in Berlin nicht mehr sicher und nicht willkommen, er werde rechtliche Schritte einleiten. Steffen Seibert, der deutsche Botschafter in Israel, schrieb auf X, der Kampf gegen den Antisemitismus sei zu wichtig, um ihn gegen die falschen Leute zu kämpfen. „,Antisemitische Tendenzen’? Die Anschuldigung ist schlicht falsch.“

Die Wahl der Worte ist entscheidend

Der Eintrag mitsamt seiner Löschung ist jedoch vor allem ein Symptom. Dafür, wie sich die erhitzte Debatte über die Gala und der Streit um den ja nachweislich zunehmenden Antisemitismus in Deutschland verselbstständigt hat.

Berlins Kultursenator und auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth dachten nach der Gala laut (und ohne Ergebnis) über Antisemitismusklauseln bei der Kulturförderung nach, vergangene Woche verabschiedete der Bundestag die Resolution „Nie wieder ist jetzt“: ein Beschluss mit Empfehlungscharakter zum besseren Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Derweil verkürzt ein anonymer Dienstleister, dessen Namen die Pressestelle vorerst nicht nennen möchte, die komplizierte Causa der Berlinale-Abschlussgala zur angeblich antisemitischen Tendenz von „No Other Land“. Da war doch irgendwie irgendwas, schreiben wir’s rein.

Der Nahostkonflikt spitzt sich durch Vereinfachungen, Ungenauigkeiten und falsche Zuschreibungen nur weiter zu. Auch dem Antisemitismus auf Demos in Deutschland wie bei anderen Anlässen lässt sich mit Vagheiten, Verkürzungen und Fehlurteilen nicht beikommen. Das genaue Hinschauen, die Wahl der Worte ist oft entscheidend. Automatisierung hin oder her, zumal das Land das Portal seit 2021 wieder selber betreibt, nach der Kündigung einer früheren Public Private Partnership: Bei solch strittigen, sensiblen Inhalten auf dem eigenen Portal müsste auch das Land Berlin vorher hinschauen. Um nicht hinterher Schadensbegrenzung betreiben zu müssen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })