Kultur: Wir Mauerkinder
Kollektiv und Kübelwagen: Das Deutsche Historische Museum zeigt den DDR-Alltag
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Die Stimmumg war schon merkwürdig damals, im Oktober 1989. Gerade hatte ich ein Fernstudium, Fachrichtung Museologie, am Museum für Deutsche Geschichte im Zeughaus Unter den Linden begonnen. Das Haus galt als ideologische Bastion der SED. Und plötzlich erklärten uns die alten, linientreuen Dozenten, die ein Berufsleben lang das Geschichtsbild der Einheitspartei schöngeredet hatten, dass sie in ihren Herzen eigentlich schon immer Sozialdemokraten gewesen seien. Das Studium wurde dann später an eine Berliner Fachhochschule verlegt und gründlich reformiert. Ich hatte es schon zuvor, nach wenigen Monaten, abgebrochen.
Das Museum für Deutsche Geschichte wurde mit dem Ende der DDR aufgelöst, seine Sammlungen und das Zeughaus selbst gingen an das von Helmut Kohl gegründete Deutsche Historische Museum (DHM) über. Zur Erbmasse gehörte ein umfangreicher Bestand zur DDR-Geschichte, aus offizieller Sicht zunächst, der im Sommer 1990 noch unerwarteten Zuwachs bekommen hat. Unter dem Slogan „Die DDR gehört ins Museum“ starteten die Mitarbeiter des Museums für Deutsche Geschichte kurz vor ihrer eigenen Abwicklung einen Sammlungsaufruf, der Alltagsgegenstände in die Depots brachte. Vieles, was sonst weggeworfen worden wäre, schien plötzlich museumswürdig. Neben die offizielle Lesart vom Kampf und Sieg der Partei trat die Erzählung der kleinen Dinge.
Aus diesen beiden Quellen schöpft nun die Ausstellung „Parteidiktatur und Alltag in der DDR“, die ab heute im DHM zu sehen ist. Der Ausstellungstitel ist Programm. Es geht um das wahre Leben im Falschen, das wir „normale“ DDR-Bürger geführt haben - und um das Diktum von wahr oder falsch, mit dem unsere damaligen Machthaber herrschten. Und wie sich beides vermischte, unmerklich oft. DDR-Alltagsgeschichte ist ein zugleich kompliziertes und ziemlich heißes Thema. Es hat in den letzten Jahren unter dem Stichwort „Ostalgie“ eine ganz andere Musealisierung erfahren, als sie Regine Falkenberg und Carola Jüllig, den beiden DHM-Kuratorinnen, lieb sein kann. Gemeint ist hier nicht das Gefühl von Fremdsein im eigenen Land, das viele Ostdeutsche – besonders in der Generation meiner Eltern – noch immer gefangen nimmt. Ostalgie ist kein Abschiednehmen, sondern bewusste Verharmlosung. Es sei, so Martin Sabrow im Ausstellungskatalog, „nicht das erste Mal in der Geschichte deutscher Diktaturbewältigung, dass die Selbstvergewisserung des eigenen Erfahrungsraums die Gewalt des Regimes verdrängt hätte“. Ostalgie ist, wie jede Nostalgie, eine Form des erinnernden Verdrängens.
Nur wenige Meter vom Zeughaus entfernt, vis-à-vis des Berliner Doms, zieht seit dem letzten Sommer ein Privatmuseum beachtliche Besucherströme an. Dort wird die DDR als putzige Nischengesellschaft zwischen Gartenlaube („Datsche“) und VEB-Betriebsfeier verkauft, Desinfektionsmittel-Duftinseln und Soundduschen mit sächsischem Kabarettisten-O-Ton inklusive. Weder die Macher noch das Publikum suchen dort jenseits der Klischees.
Die Ausstellung des DHM, die sein Generaldirektor Hans Ottomeyer „eine Annäherung an eine historische Bewertung“ nennt, will beides: populär sein und seriös. Populär, weil natürlich all die skurrilen Schätze zu bestaunen sind, die die Sammlung bietet: von Ulbrichts Pudelmütze bis zu den schaurig-schönen Gastgeschenken, die die Spitzen der „sozialistischen Bruderländer“ der DDR-Regierung zukommen ließen. Seriös, weil sich auch mit den handlichen Einkaufsnetzen, die jeder DDR-Bürger mit sich herumtrug, um auf plötzliche Warenangebote reagieren zu können, ein gesellschaftpolitisches Problem verbildlicht werden kann: die Doppelbelastung berufstätiger Frauen durch Arbeit und Familie. Ernsthaft auch, weil sich die ausführlichen Texttafeln um verschiedene Perspektiven bemühen. Neben historischen Erläuterungen bieten sie Erinnerungen von DDR-Bürgern und politische Witze wie diesen: „Warum steht der Mensch im Sozialismus im Mittelpunkt? Damit man ihn von allen Seiten treten kann.“
Der Herrschaftsanspruch der SED und die Alltagserfahrungen von 17 Millionen Bürgern: Geht das in einer Ausstellung zusammen? Die Kuratoren haben sich gegen eine chronologische Erzählung und für einen Parcours rund um die Oberthemen „Arbeit“ und „Wohnen“ entschieden. Es führt notgedrungen zu Vereinfachungen, wenn man die Kollektivbiografie einer Gesellschaft schreiben und mit den Liberalisierungs- und Radikalisierungsphasen von 40 Jahren DDR-Innenpolitik kurzschließen möchte. Ein psychologisch so komplexes Thema wie die Stasi erzählt Florian Henckel von Donnersmarcks Film „Das Leben der Anderen“ ohnehin anschaulicher, als es die beste Museumsinszenierung vermag.
„Parteidiktatur und Alltag in der DDR“ ist keine Ausstellung mit übergroßem Erlebnisfaktor, auch wenn es Exponate wie den Trabant-Kübelwagen der Grenztruppen zu bestaunen gibt. Sie ermuntert zum Hinschauen und Zwischen-den-Zeilen-lesen. Etwa in Wolfgang Mattheuers berühmtem Gemälde „Guten Tag“ aus dem Palast der Republik: Auftragskitsch oder subtile Kritik an den Verhältnissen? Oder beides? Und plötzlich entdeckt man im grauen DDR-Alltag Themen wie die Integration berufstätiger Mütter oder die unerträglichen Zustände bei der Altenpflege, die uns ziemlich aktuell vorkommen. 1985 warb eine Kirchengemeinde in Dresden mit einem Plakat des Ost-Berliner Untergrundkünstlers Wolfram Adalbert Scheffler für den „Weihnachtsmarkt der Möglichkeiten“. Das könnte, zieht man die Jahresendzeit-Erbauung ab, als Motto auch über dieser Ausstellung stehen.
DHM, Pei-Bau, bis 29. Juli, täglich 10 bis 18 Uhr. Der Katalog kostet 14 €
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