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Türöffnerinnen. Frauen wie Dania Nassief (l.) und Danya Alhamrani arbeiten hart, um sich in der Männerwelt zu behaupten.

© Mike Wolff

Frauen in Saudi-Arabien: „Wir treiben den Wandel von oben an“

Saudi-Arabien erlebt eine rasante Liberalisierung. Frauen dürfen selbstständig Unternehmen gründen und erste Kinos werden eröffnet. Ein Gespräch mit zwei Pionierinnen aus der Filmbranche.

Offiziell ist es in Saudi-Arabien Frauen erst in diesen Tagen erlaubt, ohne männlichen Vormund Unternehmen zu gründen. Sie beide führen jedoch seit über zehn Jahren „Eggdancer“, die erste und einzige von Frauen geführte Filmproduktionsfirma im Land. Wie haben Sie das gemacht?

NASSIEF: Als ich 2006 herausfand, dass wir die Firma nicht selbst würden managen dürfen, waren wir total aufgebracht. Ich habe überhaupt nicht verstanden, warum.

ALHAMRANI: Das Ministerium für Kultur und Information schrieb uns, wir bräuchten – zumindest auf dem Papier – einen männlichen Bevollmächtigten.

NASSIEF: Ich habe dann einen Termin im Ministerbüro gemacht, ich wollte einfach den Grund wissen. Der Minister hatte folgendes Problem: Wenn wir auf irgendeine Art gegen die Regeln verstoßen würden, wie würde er uns belangen können? Als Frauen? „Wie kann ich Sie denn ins Gefängnis bringen, Sie verklagen?“, fragte er. Ich habe ihm gesagt, ich bin eine studierte Frau, Sie können mich verklagen, wann immer Sie wollen. Ich bin schließlich verantwortlich für meine eigenen Handlungen. „Wirklich?“, fragte er, „also wenn das so ist, okay.“ Dann gab er uns eine Ausnahmegenehmigung.

Der Kronprinz Mohammed bin Salman hat dem Land gerade eine rasante Öffnung verordnet: Die „Vision 2030“ ist Teil eines Masterplans für die Zeit nach dem Erdöl-Zeitalter. Seitdem wurde die Religionspolizei entmachtet und arbeitende Frauen sollen in der neuen Gesellschaft eine große Rolle spielen. Nach 35 Jahren werden jetzt im März die ersten Kinos eröffnet!

ALHAMRANI: Seit Monaten sah man, wie in den Shoppingmalls Kinos gebaut wurden. Schon seit anderthalb Jahren wuchsen sie aus dem Boden und jeder wusste: Das wird ein Kino. Es brauchte nur noch bestätigt zu werden.

NASSIEF: Sogar Musikfestivals am Strand gibt es inzwischen!

Das Durchschnittsalter in Saudi-Arabien ist 27 Jahre, der Kronprinz ist selbst erst 32 Jahre alt. Spielt das eine Rolle für die Reformen?

ALHAMRANI: Sicher. Schon wir beide, Jahrgang 1974, heben dort den Altersschnitt. Die junge Regierung ist der Auslöser für alles: Salman fühlt sich mit der Mehrheit der Gesellschaft verbunden, und so kommt es zu dieser Reform.

NASSIEF: Der Wandel ist innerhalb weniger Monate überall sichtbar geworden. Ab Juni darf jede Frau Auto fahren.

Als letztes Land der Welt! Kann es sein, dass Salman die Arbeitskraft der Frauen für die Post-Öl-Gesellschaft dringend braucht?

NASSIEF: Man sieht jedenfalls schon jetzt die Effekte. Mein Mann, der für die Autoindustrie Autos verkauft, hat in den letzten Monaten viele Frauen eingestellt. Er sagt, die Arbeitsatmosphäre sei jetzt viel professioneller. Frauen arbeiten generell härter. Sie wollen sich in einem neuen Umfeld beweisen und ihre Arbeitgeber stolz machen. Das ist ein echter Wert für die Firma.

Verkaufen Frauen mehr Autos als Männer?

NASSIEF: Genau das tun sie! Frauen sind entschlossener. Und weil die Männer jetzt die Konkurrenz spüren, strengen auch sie sich mehr an. Die ganze Industrie boomt.

Merken Sie Unterschiede in Ihrer eigenen Branche?

ALHAMRANI: In der Filmindustrie soll nun eine Filmförderung aufgelegt werden, die wir bislang nie hatten. Bisher gab es nur kleine, private Filmfestivals, nun sollen große Festivals staatlich gefördert werden. Wir haben auch schon in der Vergangenheit für Saudi TV gearbeitet, aber das war bislang alles sehr altmodisch. Jetzt wollen sie die Fernsehsender reformieren und Filme nicht mehr aus dem Ausland einkaufen, das wäre auch für uns eine Möglichkeit, unsere Filme zu zeigen.

Sie haben gerade den Dokumentarfilm „Silent Revolution“ über saudische Frauen fertiggestellt: die erste saudische Frau, die den Mount Everest bestieg, kommt vor, eine Profi-Läuferin, eine Frau, die in die Shoura gewählt wurde ...

NASSIEF: Im November haben wir den Trailer in Riad gezeigt. Das fühlte sich total surreal an, als wären wir gar nicht in Saudi-Arabien.

ALHAMRANI: Die Leute sind durch Youtube so sehr an kurze Inhalte gewöhnt, dass sie schon den Trailer für den ganzen Film gehalten haben. Nachher haben uns Leute zu unserem tollen Film gratuliert, und wir mussten klarstellen, dass das bloß der Trailer war (lacht).

Die Frauen in Ihrem Film sind alle Akademikerinnen aus privilegierter Familie, die als Anwältin, Politikerin oder Unternehmerin arbeiten. Da geht es um Selbstverwirklichung. In der westlichen Welt hat die Arbeit von Frauen viel an Grandezza verloren: Hier sind die Themen eher Ungleichbehandlung und schlechte Bezahlung.

ALHAMRANI: Sie haben recht. Das liegt daran, dass die ersten Berufe, die Frauen ausüben durften, natürlich „akzeptabel“ sein mussten. Deshalb betraten sie das Feld als Ärztin, Rechtsanwältin oder Schulleiterin. Frauen, die in Supermärkten oder Geschäften arbeiten, hatten wir bis gerade eben überhaupt nicht. Wir haben oben angefangen – und es ist erst 50 Jahre später bis unten durchgesickert. Jetzt erst sieht man Frauen in Geschäften arbeiten. Kellnerinnen gibt es immer noch nicht. Wir treiben den Wandel von oben an.

Geschlechtertrennung stört mich nicht

Türöffnerinnen. Frauen wie Dania Nassief (l.) und Danya Alhamrani arbeiten hart, um sich in der Männerwelt zu behaupten.
Türöffnerinnen. Frauen wie Dania Nassief (l.) und Danya Alhamrani arbeiten hart, um sich in der Männerwelt zu behaupten.

© Mike Wolff

Wie lief es bei Ihnen persönlich?

ALHAMRANI: Seit ich vier Jahre alt war, wollte ich nur Filme machen, mein Vater war besessen vom Fotografieren. Als Älteste von sechs Kindern war das Filmedrehen für mich im Grunde eine Möglichkeit, meine Geschwister herumzukommandieren (lacht). Wir haben Stummfilme hergestellt und Pappschilder in die Kamera gehalten. Mein Vater hat das gefördert, indem er mir die jeweils aktuellsten Kameras besorgte: Super8, Betamax, Video. Weil er Geschäfte mit Japan machte, kam er immer mit der neuesten Technologie zurück. Mit 13 Jahren habe ich zum ersten Mal kundgetan, dass ich Regisseurin werden will.

Und?

ALHAMRANI: Man braucht und möchte das Wohlwollen der Familie. Also bin ich zu meinem Vater gegangen, der zunächst nichts dagegen hatte. Er hatte wohl gehofft, die Schrulle erledigt sich von selbst. Nach Umwegen habe ich dann später Film in San Diego studiert.

NASSIEF: Ich habe in England erst Medizin studiert, dann mit 19 sehr jung geheiratet. Ich konnte nicht Ärztin sein und gleichzeitig Kinder kriegen, und weil ich gut mit Zahlen bin, habe ich zu Mathematik gewechselt. Ich wollte was Leichtes neben den Kindern.

ALHAMRANI: Haha, was Leichtes! Wir sind schon seit der Schule befreundet, aber total verschieden: Ich führe Regie, Dania kümmert sich um die Organisation. Mir ist immer heiß, Dania friert ständig. Ich bin chaotisch, sie geordnet. Als wir 2006 „Eggdancer“ gründeten, war Dania gerade zum dritten Mal schwanger.

NASSIEF: Es war großartig, bei unserem ersten Projekt bin ich immer vom Set zum Stillen gerannt und umgekehrt. Vom Film wusste ich damals noch nichts

ALHAMRANI: Unser erstes gemeinsames Filmprojekt war über die Hadsch, die Reise nach Mekka.

Sie leben in der Küstenstadt Jeddah quasi nebenan.

ALHAMRANI: Es war die beste Erfahrung meines Lebens. Mir wurde schlagartig klar: Auf Schauspieler und Studios kann ich verzichten, das ganze „Action“ und „Cut“. Die Regierung stellt während der Hadsch Helikopter für Journalisten zur Verfügung, und ich hing mit meiner Kamera angegurtet aus der Maschine.

Ihr aktueller Film über weibliche Pionierinnen des Landes zeigt stolze, würdevolle Frauen.

ALHAMRANI: Und in allen Geschichten war die Idee von „sisterhood“, vom weiblichem Zusammenhalt, sehr stark. Eine Schulleiterin, die lange um eine Erlaubnis für die Schule gekämpft hatte, fand zum Beispiel plötzlich eine Gesetzeslücke. Da rief sie alle Welt an: Los, macht das jetzt auch, bevor die Lücke geschlossen wird.

NASSIEF: Und das, obwohl die Privatschulen untereinander im Wettbewerb stehen.

Vielleicht weil durch die Segregation schon immer Frauen auf ihren Zusammenhalt angewiesen sind.

ALHAMRANI: Aus einer westlichen – und vielleicht auch aus einer männlichen Perspektive – sieht es wie Segregation aus, aber für mich hat sich das nie so angefühlt. Die Trennung der Geschlechter hat mich nie gestört.

Im Westen werden in der MeToo-Debatte Frauenrollen gerade heiß diskutiert.

ALHAMRANI: Wir haben auch etwas, das unter den MeToo-Schirm passt, aber es sind nicht dieselben Themen. Existiert sexuelle Belästigung? Ja. Aber ist sie so notorisch? Nein. Es ist vollkommen neu, dass Frauen überhaupt in der Arbeitswelt auftauchen, auch die westliche Kultur des Flirtens existiert nicht. Aber wenn man mal die sexuelle Belästigung ausklammert, glaube ich, dass auch Frauen in Saudi-Arabien gegen eine gläserne Decke kämpfen. Es geht allerdings nicht um ungleiche Bezahlung – es ist schwieriger, diese Jobs überhaupt zu erreichen.

Fürchten Sie, bei einer Öffnung der Gesellschaft ähnliche Probleme zu bekommen?

NASSIEF: Auf jeden Fall. Deshalb ist im letzten September, kurz nachdem klar wurde, dass Frauen bald Auto fahren können, ein Gesetz zur sexuellen Belästigung erlassen worden, komplett mit Strafen und Gefängniszeiten. Der Paragraf ist anwendbar für Männer und Frauen.

Das Interview führte Deike Diening

Weitere Informationen im Netz unter: www.eggdancer.com

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