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„Irgendwie zurückschlagen“ ist zwar keine Strategie, aber Joachim Löws Plan, wie auf das 0:6 in Spanien zu reagieren sei.

© Federico Gambarini/dpa

Damit die Botschaft rüberkommt: Worte sollten treffen wie der Pfeil des Apoll

Unsere Kommunikation ist häufig „irgendwie“. Damit lässt sich weder Europameister werden noch die Pandemie bekämpfen. Die Kolumne Spiegelstrich.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Eine Kolumne lebt von der Klarheit der Gedanken, darum braucht es zuerst ein Thema. Darf ich Ihnen eine kleine Schwäche verraten? Hin und wieder … heute wirbelt es im Kolumnistenkopf hin und her, bis viel zu kurz vor Redaktionsschluss. Was nur ist relevant? Erstens hat sich das Buch „Apollo’s Arrow“ von Nicholas A. Christakis dort verhakt.

Gesellschaften gehen sich selbst lähmend mit der Pandemie um

Christakis ist Mediziner und Soziologe und analysiert, wie unintelligent, sich selbst lähmend Gesellschaften mit Pandemien umgehen. Weil sie sich ablenken (womöglich mit Banalitäten wie Fußball), Offensichtliches verdrängen und Langfristiges nicht angehen. Und weil sie so kommunizieren, na ja, wie sie kommunizieren.

In meinem Kopf, zweitens, schleicht gebeugt Joachim Löw herum seit dem 0:6 in Spanien. „Irgendwie zurückschlagen“ müsse seine Mannschaft, das sagte Löw nach einem von Team und Trainer schweigend erduldeten Spiel; immerhin sagte er jetzt etwas, wenngleich dieses „irgendwie“ unwesentlich dynamischer klang als die Stille zuvor.

Seine Haare hingen um derart viele Zentimeter über die Augenbrauen hinab, dass ich mich jedes Mal, wenn Löw im Bild war, fragte, ob er diese Frisur direkt vor dem Anpfiff und noch einmal in der Halbzeit zuschneiden muss, um das Spiel, das er nicht mehr lenkt, zumindest zu sehen.

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Und wenn wir nun, nach 15 Jahren, Joachim Löw im wesentlichen über seine Stirnfransen zur Kenntnis nehmen, ist von Kompetenz und Charisma nicht viel übrig. Falls ich dereinst mit meiner Kolumne nicht nur Sané und Havertz, sondern sämtliche Menschen nicht mehr erreichte, hätte ich gern einen Freund oder eine Ehefrau an der Seite, die’s mir sagten: „Werde nicht zum Kauz. Lass uns gehen. Ja, jetzt.“

Das Wort Kontakt stammt von contingere ab: berühren

Drittens nun sitzt die Kanzlerin in meinem Kopf. „Jeder Kontakt, der nicht stattfindet, ist gut“, sagte Angela Merkel, mehrfach, und dieser Satz ist ebenfalls Quatsch. Elementare Bindungen lassen sich verantwortungsvoll pflegen, digital und sogar per Brief. Nach über einem Jahr habe ich meine Eltern getroffen, zwar mit grausam eiserner Distanz und weit geöffneten Fenstern, was bedeutete, dass die Großeltern ihren Enkel nicht auf den Schoß heben durften. Aber sie hörten diesen Enkel, sangen mit ihm, waren glücklich für Stunden – und die Tage danach.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Wir hatten das an dieser Stelle schon: Worte wirken. In der Schweiz sagte der Finanzminister Ueli Maurer, dass er die Covid-App nicht nutze, weil er mit dem Zeugs nicht zurechtkomme. Dass dieses allerärmste Land der Erde sich einen zweiten Lockdown „nicht leisten“ könne, sagte Maurer auch. Es geschah unmittelbar bevor das Virus die faktenfern tatenlose Schweiz überrollte.

Merkels Kontaktsatz allerdings ist der, der in meinem Kopf bleibt. Er legt sich gemächlich über die Botschaften vom Abstandhalten, Maskentragen, Zuhausebleiben. Die „Süddeutsche Zeitung“ wies darauf hin, dass das Wort Kontakt von contingere abstammt: berühren. Dessen Partizip Perfekt Passiv heißt contactum, weshalb sich ein Kontakt erst dadurch definiert, dass er stattfindet, stattgefunden hat.

Die AfD löst mit polarisierenden Begriffen gezielt Empörung aus

Ist das nicht semantisches Gedöns? Nicht wenn man Europameister werden will. Oder eine Regierung den Kampf gegen eine Pandemie gewinnen möchte. Die AfD lässt mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ Nazi-Nähe anklingen und löst exakt jene Empörung aus, die sie wieder und wieder erstrebt. Sie beherrscht ihr Spiel der Worte. Wer dagegen ankommen will, sollte wissen, was das Thema ist, präzise zu formulieren probieren. Und treffen wie ein Pfeil des Apoll.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.Foto: Tobias Everke

Klaus Brinkbäumer

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