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Fluxus schwappt nach London über: Zu den Pionieren des ersten Auftritts beim „Festival of Misfits“ im Oktober 1962 in London ist auch Emmett Williams dabei, der das Publikum auffordert, bei seinem „Universal Poem“ mitzudichten, indem Stempeldrucke an der weißen Wand zum Einsatz kommen.

© imago/ZUMA/Keystone

100. Geburtstag des Fluxus-Künstlers Emmett Williams: Zwischen revoltierendem Spaß und heiligem Ernst

Statt Rabauke stiller Poet und feiner Performer: Das Potsdamer Museum Fluxus+ würdigt den lange in Berlin lebenden letzten großen Protagonisten einer flirrenden Bewegung.

Stand:

Buchstabiere das Wort Love mit dem Rauchen einer Zigarre für L, blase eine lautlose Hundepfeife für O, iss Schokolade auf allen Vieren vom Boden für V und pfeife für E ein Liedchen auf einer Bambusflöte.

26 Objekte und Aktionen transformieren in Emmett Williams’ „Alphabet Symphony“ die Lettern des Alphabets in „ein Gedicht, das vom Papier abhebt“, so der Poet und Performer, Feuilletonist und Herausgeber, Maler und Grafiker einst.

Williams’ Handlungsanweisungen waren immer anstelle konventioneller Logik der hohen Kunst des Nonsens verpflichtet und lösen die Grenzen zwischen revoltierendem Spaß und heiligem Ernst.

So geschah es auch, als der US-Amerikaner im Museum Wiesbaden einen Stein in den Konzertflügel warf und dabei eher wie ein soignierter Gentleman denn ein rüpelhafter Revoluzzer wirkte. Das war 1962 bei „Internationalen Festival für Neueste Musik“.

Emmett Williams mit Ann Noël bei seiner Vernissage in der Berliner Emerson Gallery am 27. Januar 2006.

© Emerson Gallery Berlin

Dort sorgte nicht nur Philip Corners „Piano Activities“ für Furore, sondern auch Williams’ Performance „An Opera“, deren drei Meter lange Partitur ein aufgebrachter Student in Flammen setzte.

Die Kunstwelt geriet in Aufruhr, doch Fluxus war nicht mehr aufzuhalten. Der Trupp tourte durch Kopenhagen, London oder Paris, eroberte Tokio und die USA, das Heimatland des Fluxus-Spiritus rectors George Maciunas und von Emmett Williams.

1925 in South Carolina in behütete Verhältnisse geboren, gab der talentierte „Little Willie“ schon im Kindesalter Sketche und Lieder zum Besten. Nach dem Dienst in der US-Armee und einem Literaturstudium durchstreifte er ab 1949 Europa.

Er lebte in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, traf als Mitglied des Darmstädter Zirkels für Konkrete Poesie und der Pariser Domaine Poétique Wegbegleiter wie Daniel Spoerri oder Robert Filliou, wurde zum Künstlerfreund und Miterfinder illustrer Gemeinschaftsperformances.

Nach 17 Jahren ging Williams zurück in die USA und arbeitete von 1966 bis 1970 als Chefredakteur und Herausgeber der legendären New Yorker „Something Else Press“, wo er eines der Standardwerke zur Konkreten Poesie herausgab.

Als „Sweethearts“ erschien, sein buchlanges visuelles Gedicht, schrieb dazu damals der britische Pop-Artist Richard Hamilton: „Es ist für die konkrete Poesie, … was Guernica für die moderne Kunst ist.“

Sprache war das A und O seiner Kunst. Rohmaterial für Gedichte und Gesänge, Druckgrafiken, Multiples und Ölbilder oder Performances. „Meine Methoden ähneln eher dem Komponieren, der Malerei und Bildhauerei“, so der Künstler in seiner 1991 erschienenen Autobiografie „My Life in Flux – and Vice Versa“, die zugleich eine wunderbar launige Chronik der Fluxus-Geschichte bietet.

Mit seinem geistreichen Witz drängte sich Emmett Williams – anders als seine Mitstreiter Joseph Beuys, Nam June Paik oder Wolf Vostell – nie in den Vordergrund. Er brauchte keine krachenden Gesten, sondern nahm mit seinem bescheidenen Habitus und subtiler Ironie für sich und seine Kunst ein.

Performance von Emmett Williams unter dem Titel „Thirteen Ways to Use Emmett Williams’ Skull“ im Oktober 2005 im polnischen Posen

© Emerson Gallery Berlin

1980 kam Williams zunächst mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin, das er fortan zu seiner Wahlheimat erkor. 1992 widmete ihm die Neue Nationalgalerie eine Retrospektive, und die Berlinische Galerie zeichnete ihn 1996 mit dem ersten Hannah-Höch-Preis für sein Lebenswerk aus.

Ab den 1970er Jahren hatte er Lehraufträge und Gastprofessuren an Kunsthochschulen in Kalifornien, Halifax, Hamburg und Berlin und engagierte sich bereits vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Polen, dem Geburtsland seiner Mutter.

Mit seinem verschmitzten Humor und seiner bis ins hohe Alter unbändigen Kreativität – wenige Monate vor seinem Tod im Jahre 2007 performte Williams in der Akademie der Künste anlässlich einer Hommage an Nam June Paik – konnte er noch jede Tischgesellschaft in eine Performance-Gruppe verwandeln.

Denn auch das gehörte zum Fluxus-Credo: „Fluxus-Künstler konnten stundenlang reden, gemeinsam essen und trinken – das war sehr wichtig!“, hat die Künstlerin Ann Noël, Williams’ jahrzehntelange künstlerische Partnerin und Witwe, wiederholt erzählt.

Einen famosen Eindruck dieser Verknüpfung von Kunst und Leben gab im letzten Jahr die Ausstellung „Holy Fluxus“ in St. Matthäus am Kulturforum, wo Emmett Williams’ „Little Men“ auf den „Buntglasfenstern für die Fluxus Kathedrale“ die Kirchenfenster so perfekt belebten, als wären sie nur dafür entstanden.

Anlässlich des heutigen 100. Geburtstags von Emmett Williams erinnert das Potsdamer Museum Fluxus+ an den Künstler. Es grüßen seine „Little Men“, die er ab den 1970er-Jahren immer wieder in allen erdenklichen Arten und Medien auftreten ließ, die Besuchenden freundlich von der Fassade. Außerdem werden einige seiner bekanntesten Performances erneut aufgeführt.

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