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Zum Tod von Sebastião Salgado: Zeuge einer verletzlichen Welt
Fotograf, Klimaschützer, Abenteurer: Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado dokumentierte das Leid des Krieges, aber auch die Schönheit des Planeten. Nun ist er mit 81 Jahren gestorben.
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Er hat den Fotojournalismus zur Kunst erhoben. Seine meisterhaften Schwarz-Weiß-Bilder konnten einem den Atem rauben. Vor Schmerz, wenn er die Massaker der Hutu an den Tutsi in Ruanda fotografierte oder halb verhungerte Kinder in den Armen ihrer Eltern. Der Atem stockte einem aber auch vor Schönheit, als der Fotograf Sebastião Salgado später unberührte Wälder, majestätische Canyons und geheimnisvolle Eisberge vor die Linse nahm.
In manchen seiner Bilder überlappen sich Elend und die Schönheit auf eine Weise, die schockierend sein kann. Dabei war Salgado ein Mitfühlender. „Warum sollen nur die Orte, mit denen unser Gewissen im Reinen ist, schön sein. Es gibt keinen Grund, die schwierigen Dinge hässlich darzustellen“, sagte er dem „Tagesspiegel“ am Rande einer Berliner Ausstellung 2015.
Vom Grauen zur Schönheit
Der brasilianische Fotograf, vielfach geehrt, 2019 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, ging viele Jahre lang dorthin, wo die Welt am unzugänglichsten, gefährlichsten und trostlosesten ist, wo es keine Straßen gibt, keine Häuser und oft auch keinen Funken Hoffnung. Er fotografierte Krieg, Ausbeutung und das Leid, das Menschen sich gegenseitig antun. Daran wäre er beinahe zerbrochen.

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Erschöpft wandte er sich in seinen 60ern von der harten Sozialfotografie ab: stattdessen suchte er nun unberührte Natur, die Tiere, die dort leben und Menschen, die mit der modernen Zivilisation bisher kaum in Berührung gekommen waren. So entstanden faszinierende Landschafts- und Porträtaufnahmen, immer in dramatischem Schwarz-Weiß.
Sorge um den Planeten
Fast die Hälfte der Erde befinde sich noch in ihrem Urzustand, sagte Sebastião Salgado 2015 als er sein riesiges Fotoprojekt „Genesis“ in Berlin ausstellte. Er fand es notwendig, die Menschen an diese paradiesischen Zustände zu erinnern. Acht Jahre nahm er sich für „Genesis“ Zeit, allein fünfeinhalb Jahre war er unterwegs, reiste mit Flugzeugen, Eselskarren und Fesselballons in die entlegensten Gegenden der Welt. „Genesis“ war seine Hommage an den Planeten. Eine Verbeugung vor der Schönheit der Welt. „Ich habe große Hoffnung für die Erde. Für die Menschheit sehe ich keine Chance“, sagte er damals.
Sebastião Ribeiro Salgado Júnior wurde 1944 in einem kleinen Ort namens Conceição do Capim im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais geboren. In einer Gegend, in der viele im Bergbau schuften oder auf Kaffeeplantagen – und andere damit Geld verdienten. Diese Erfahrung prägte sein Denken.
Salgado ist ausgebildeter Ökonom. Wegen seines Engagements gegen die Militärdiktatur in Brasilien musste er 1969 nach Paris emigrieren. In den 1970er Jahren betreute er als Ökonom Entwicklungshilfeprojekte in Afrika. Mit 26 bekam er das erste Mal einen Fotoapparat in die Hand und brachte sich das Handwerk selbst bei. 1973 gab er seinen ursprünglichen Beruf auf, um sich ganz der Fotografie zu widmen.
Unglaubliche Zustände in der Goldmine
Salgado richtete seine Kamera auf viele der am meisten ausgegrenzten Gemeinschaften der Welt. Etwa auf Goldgräber in der Serra Pelada, im Herzen des brasilianischen Amazonasgebiets. Hier dokumentierte er die extrem harte körperliche Arbeit von Menschen, die tonnenweise Erde mit bloßen Händen in Eimer und Säcke abbauen, um sie auf Goldnuggets abzusuchen. Seine epischen Aufnahmen dieser schuftenden Menschenmassen, hunderttausende zogen dorthin, wurden zu Symbolbildern für Ausbeutung und Gier.

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Salgados Ausstellungen gingen um die Welt. Seine fotografische Dokumentation über das Ende des Industriezeitalters wie bei „Workers“ und zur globalen Migration („Migrations“) machten ihn berühmt. Mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado arbeitet der Fotograf eng zusammen, sie ist Kuratorin seiner Ausstellungen und Herausgeberin seiner monumentalen Bildbände.
Mit ihr gründet er 1998 die gemeinnützige Organisation „Instituto Terra“ in Brasilien. Sie war es auch, die auf die Idee kam, die Rinderfarm in Minas Gerais, auf der Salgado aufgewachsen war, zu renaturieren. Sie forsteten den durch die Bewirtschaftung zerstörten Regenwald wieder auf, machten das Land zum Naturschutzgebiet. „Wir dachten, wir könnten den Boden nicht retten – aber mit jedem Baum, den wir pflanzten, kam das Leben zurück“, sagte Salgado über sein Herzensprojekt.
2014 porträtierte ihn Wim Wenders in dem Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ als großen, emphatischen Abenteurer. Er zeigt einen Fotografen, der nach den Erlebnissen in Ruanda an der Brutalität der Menschen verzweifelt. „Ich habe unendlich viele Dramen und Tragödien gesehen. Nun hatte ich den Wunsch, den Planeten zu sehen, wie er vor einer Million Jahren gewesen ist“, so Salgado im Interview. Sein großes Projekt zum Amazonasgebiet war eines seiner letzten.
Mit 81 Jahren ist Sebastião Salgado an diesem Freitag in Paris verstorben. Er starb an Leukämie, wie seine Familie der spanischen Nachrichtenagentur Efe mitteilte. Die Krankheit war eine der vielen Spätfolgen einer Malariaerkrankung, die er vor Jahrzehnten erlitten hatte. Am Samstag wollte Salgado in Reims an der Einweihung von Kirchenfenstern teilnehmen, die von einem seiner Söhne gestaltet worden waren, berichtet die brasilianische Zeitung Folha de S. Paulo.
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