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Sein durchdringender Blick war das Markenzeichen von Udo Kier.

© dpa/Herbert Pfarrhofer

Zum Tod von Udo Kier: Diese Augen schlugen die Zuschauer in ihren Bann

Udo Kier machte keinen Unterschied zwischen Trashkino, Filmkunst und Blockbuster. Die Würdigung des unwahrscheinlichsten Weltstars, den der deutsche Film hervorgebracht hat.

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In den sechziger Jahren lag das europäische Kino zwei Jungen mit schwerem deutschen Akzent zu Füßen, deren schlaksig-androgyne Erscheinung Männer wie Frauen ebenso in ihren Bann schlug wie diese undefinierbar grünlich-blau schillernden Augenpaare, in denen sich eine ungehemmte Neugier und Lust auf Abenteuer widerspiegelten.

Standesgemäß war es der große Luchino Visconti, der unersättliche Connaisseur aufreizender Jungenblüte, in dessen Schatten Udo Kier und Helmut Berger für einen kurzen Augenblick aufeinandertrafen.

1964 war das, Kier arbeitete in Köln am Fließband bei Ford, wusste aber bereits, dass die Welt auf ihn wartet. Er kaufte sich ein Flugticket nach London, wie er später gerne erzählte, ging in den Prominachtclub Danny La Rue – dem jungen Kier standen schon damals alle Türen offen – und erhielt schnell eine Einladung an den Tisch Viscontis. Der saß umringt von jungen Männern, darunter dem Ballettstar Rudolf Nurejew und eben Helmut Berger. Am nächsten Tag stand eine Limousine vor dem Haus von Udo Kier.

Wenn du eine kleinere Rolle hast, aber mit einem großen Regisseur zusammenarbeitest, machst du diese unvergesslich.

Udo Kier

Damit war eine fast sechzig Jahre währende Kinokarriere vorgezeichnet, könnte die Kurzfassung dieser Biografie lauten. Aber gerade die Karriere von Berger zeigt, dass magnetisches Charisma und blendendes Aussehen nicht automatisch für einen lebenslangen Platz im Rampenlicht reichen.

„Ich hatte Glück“, hat Kier in Interviews immer wieder betont. Ganz sicher besaß er keinen Karriereplan dafür, im Weltkino – neben Werner Herzog – das Gesicht (und nicht weniger: die Stimme) des deutschen Films zu werden. Wie sollte dieses verrückte Leben auch planbar gewesen sein?

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Udo Kier wurde 1944 in der Kölner Bombennacht geboren. Er wurde gewissermaßen aus dem Schutt der deutschen Geschichte in die Welt geworfen, so wie sich fast fünfzig Jahre später in Lars von Triers Serie „Hospital der Geister“ ein ausgewachsener Udo Kier aus einem Geburtskanal zwängt.

Wer verstehen will, was der deutsche Grenzgänger und das dänische Enfant terrible aneinander fanden, dass sie zehn Filme – erstmals 1987 in „Epidemic“ – zusammendrehten, muss sich nur diese noch heute unfassbare Schlussszene ansehen, in der sich groteskes Spektakel, Horror und transgressiver Humor vereinen. Lars von Trier war es auch, der Kier die wichtigste Lektion seiner Laufbahn mit auf den Weg gab: „Don’t act!“

Eine nicht nur für deutsche Verhältnisse beispiellose Karriere

Kiers Glück war mehr als bloß sein Aussehen, auch seine rheinische Nahbarkeit und sein Lais­ser-faire begünstigten eine nicht nur für deutsche Verhältnisse beispiellose Karriere. Er machte Schnappschüsse von Alain Delon, während er mit Paul Morrissey – den er zufällig im Flugzeug kennengelernt hatte – für die Warhol-Factory noch trashige Horrorfilme drehte, erst als Baron Frankenstein, dann als Dracula. Und er war mit Christoph Schlingensief auf der Berlinale, als er von einem jungen amerikanischen Regisseur namens Gus Van Sant angesprochen wurde, ob er nicht eine Rolle in seinem nächsten Film übernehmen wollte.

Mit Christoph Schlingensief drehte Udo Kier die Farce „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“.

© imago images/teamwork/Ulrich Gehner via www.imago-images.de

„My Private Idaho“ bedeutete Kiers Durchbruch in Hollywood. Er blieb Anfang der Neunziger dann gleich in Los Angeles, kaufte sich eine Ranch in Palm Springs, die er seitdem sein Zuhause nannte. Aber zu Hause war Kier in der Welt, nach Kalifornien kehrte er vor allem wegen der Sonne zurück. Und wegen seiner über hundertjährigen Riesenschildkröte Han Solo, um die sich in seiner Abwesenheit sein Lebenspartner kümmerte.

In Palm Springs ist Udo Kier am Sonntag im Alter von 81 Jahren gestorben. Der Satz klingt unglaublich, auch weil Kier aktuell noch im Kino zu sehen ist. „The Secret Agent“ ist seine zweite Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Regisseur Kleber Mendonça Filho.

Wenn du selbst keine Familie hast, suchst du dir eine.

Udo Kier über seine Karriere

Kier hatte gleich mehrere Karrieren, die einander bedingten und sich auch immer wieder überschnitten. Er gehörte zur Gruppe um Fassbinder, mit dem er in München eine Weile zusammengelebt hatte. Diese Mitgliedschaft schloss ihn automatisch für Arbeiten mit Werner Herzog und Wim Wenders aus, wie er später erzählte. (1997 drehten Kier und Wenders doch noch „The End of Violence“). Der Tod Fassbinders stürzte ihn in ein tiefes Loch, in den achtziger Jahren verlor er dann viele Freunde durch HIV.

In dieser schwierigen Zeit lernte er in Christoph Schlingensief einen Geistesverwandten kennen: vielleicht der einzige Regisseur, der das deutsche Kino damals vor sich selbst hätte retten können. Schlingensief und Kier, das war ein Power Couple unter Dauerstrom. Gar nicht auszudenken, in welche Richtung sich der deutsche Film damals entwickelt hätte, wäre das wiedervereinigte Deutschland für diese beiden Betriebsirren bereit gewesen.

Kier als Adolf Hitler in „Die letzte Stunde im Führerbunker“, in der Wiedervereinigungsfarce „Das deutsche Kettensägenmassaker“ über eine Gruppe westdeutscher Kannibalen auf Streifzug in den neuen Bundesländern. Oder als waffenschwingender Priester in „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“.

Vor der Kamera mit Madonna, Pamela Anderson und Bruce Willis

Kier hatte bereits zwei Karrieren hinter sich, er war längst eine schwule Ikone, als Van Sant ihn für „My Private Idaho“ besetzte. In der Rolle des deutschen Hustlers Hans hat er einen denkwürdigen Kurzauftritt. Mit einem Lampenschirm tanzend, singt er lippensynchron seine New-Wave-Kuriosität „Der Adler“ von 1985. Van Sant würdigte die schräge Hommage an Klaus Nomi mit einem Zitat des musikalischen One-Hit-Wonders Udo Kier.

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Nach „My Private Idaho“ wurde Kier in Hollywood dieser komische Deutsche, mit dem man sich gerne schmückte. Er hatte Nebenrollen in Madonnas „Erotica“-Videos, in Actionfilmen wie „Armageddon“, „Barb Wire“ (mit Pamela Anderson) und „Blade“.

Er wurde selbst zu einer Art Glücksbringer zwischen trashig und erhaben, während er weiter mit Lars von Trier, Dario Argento und David Lynch drehte. „Wenn du selbst keine Familie hast, suchst du dir eine“, hat er mal über das Leben – und die Schauspielerei – gesagt. Bei Udo Kier war das eine nicht von dem anderen zu trennen.

Kier hat nie einen Unterschied gemacht zwischen Highbrow und Lowbrow, zwischen (seinen wenigen) Hauptrollen und den zahllosen Nebenrollen in seinen gut 250 Filmen. Darin war er furchtlos und ist immer neugierig geblieben. „Wenn du eine kleinere Rolle hast, aber mit einem großen Regisseur zusammenarbeitest, machst du diese unvergesslich“, lautet die vielleicht wichtigste Erkenntnis von Kier, dieser wandelnden Enzyklopädie von Lebensweisheiten, der seine letzten Lebensjahrzehnte zwar in einer alten Bibliothek gelebt hat, aber seine Freizeit lieber im Garten verbrachte.

Sein durchdringender Blick war das Markenzeichen von Udo Kier.

© imago/teutopress/imago stock&people

Seine letzte Rolle in „The Secret Agent“ ist wieder nur ein Kurzauftritt, der den brasilianischen Oscar-Kandidaten aber überstrahlt. Der KZ-Überlebende Hans soll seine Narben wie in einer Freakshow vorführen, weil der korrupte Polizeichef ihn für einen geflüchteten Nazi hält. Er reagiert mit beißendem Spott auf die Demütigung.

Für Kier, der immer wieder Nazis und mehrfach Adolf Hitler gespielt hat (zuletzt in der Serie „The Hunters“), war diese Rolle so etwas wie ein Schlussstrich unter das ambivalente Bild des Deutschen, das er mit Selbstironie ein Leben lang verkörpert hat. Die Diabolik, die oft in seinen kühlen, stechenden Blick hineingelesen wurde, ist irgendwann zu einer Masche geworden.

„Immer das Böse spielen, ist langweilig“, hat er zum Ende seiner Karriere hin mal gesagt. Es ist ganz sicher das letzte Wort, für das Udo Kier in Erinnerung bleiben wird.

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