
© picture alliance/akg-images
Lehren aus der Geschichte: Wie enden Kriege?
Forschende aus der Geschichts- und Politikwissenschaft, der Konfliktforschung und den Regionalstudien über Kriege und Konflikte in Vergangenheit und Gegenwart.
Stand:
Wir haben nachgefragt: Was lässt sich aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen?
Immer am Verhandlungstisch?
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit kann zum Verständnis der Gegenwart beitragen. Aber die Geschichte stellt keine Handlungsanweisungen bereit. Geschichte wird jedoch häufig als Argument benutzt, und eine der wichtigsten Aufgaben der Geschichtswissenschaft ist es, den Umgang mit Geschichte in Politik und Öffentlichkeit kritisch zu begleiten. Das gilt auch für die Geschichte von Krieg und Frieden.
Für viele dienen vor allem die beiden Weltkriege als Beleg dafür, dass Krieg um jeden Preis zu vermeiden, der Frieden um jeden Preis zu bewahren sei: nie wieder Krieg! Andere lenken die Aufmerksamkeit eher auf die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, das Appeasement der westlichen Mächte gegenüber Adolf Hitler, und ziehen daraus die Lehre, dass zum Krieg entschlossene Diktatoren durch ständige Verhandlungsbereitschaft und immer neues Einlenken letztlich nicht aufzuhalten sind: nie wieder München!
Welcher Seite man zuneigt, hängt davon ab, ob man die Gefährlichkeit aktueller Bedrohungen ähnlich einstuft wie die des nationalsozialistischen Regimes, aber auch davon, welchen Wert man letztlich an die erste Stelle setzt, wenn man denn priorisieren muss: die Freiheit oder den Frieden. Sicher unzutreffend ist jedoch eine andere vermeintliche Lehre aus der Geschichte, die heute kursiert: Kriege endeten früher oder später immer am Verhandlungstisch, deshalb solle man auf weitere Waffenlieferungen an die Ukraine verzichten und das Gespräch mit Putin suchen.
Der Zweite Weltkrieg ist nicht durch Verhandlungen beendet worden, sondern durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und Japans. Auf dieses Ziel hatten sich die Alliierten auf der Konferenz von Casablanca 1943 festgelegt. Auch der Vietnamkrieg ist auf diese Weise beendet worden.
Und auch der Erste Weltkrieg ist nicht durch wirkliche Verhandlungen beendet worden: Dem Waffenstillstand an der Westfront, der am 11. November 1918 in Kraft trat, gingen keine Verhandlungen voraus. Seine Bedingungen wurden der deutschen Delegation diktiert. Sie liefen auf eine Kapitulation hinaus und machten eine Wiederaufnahme des Krieges durch Deutschland faktisch unmöglich, denn sie sahen den umgehenden Rückzug der deutschen Truppen aus allen besetzten Ländern und aus Elsass-Lothringen vor, sowie die französische Besetzung der linksrheinischen Gebiete des Reiches und die Übergabe einer großen Menge von Waffen und Kriegsgerät, aber nicht die Aufhebung der britischen Seeblockade.
Die im Januar 1919 beginnende Pariser Friedenskonferenz fand unter Ausschluss der Besiegten statt. Mit der deutschen Delegation wurde nicht gesprochen. Ihr wurde im Mai der Friedensvertrag vorgelegt. Einwände der deutschen Seite führten nur zu geringen Änderungen. Im Juni wurde der Vertrag in Versailles unter deutschem Protest unterzeichnet, nachdem die Sieger mit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gedroht hatten.
Vieles spricht dafür, dass Putin auf ein Kriegsende nach diesem Muster hinarbeitet, nicht auf Verhandlungen mit der Ukraine auf Augenhöhe. Und solange er dies tut, sollte sich der Westen nicht der Illusion hingeben, es könne zu einem wirklichen Verhandlungsfrieden kommen.
Der Wunsch nach einem warmen Frieden und die kalte Realität
Jahrzehntelang hat sich die Friedensforschung dafür eingesetzt, Frieden nicht bloß als kühle Abwesenheit physischer Gewalt zu verstehen, sondern als Zustand lebendiger, sozialer Gerechtigkeit. Inspiriert durch kritische Friedensforschende gewann auch die Idee eines „Everyday Peace“ als normative Zielmarke an Bedeutung – eines organischen zwischenmenschlichen Friedens, der aus alltäglichen Handlungen der Zivilgesellschaft erwächst und nicht nur auf den Machtteilungsarrangements oder Gnadenakten von politischen Entscheidungstragenden und Eliten beruht.
Diese visionären Ansätze für positiven Frieden befinden sich nun auf dem Prüfstand der Realität. Angesichts der Intensität weltweiter Gewaltkonflikte wirken maximalistische Friedenskonzepte geradezu utopisch.
Ob Gaza, Kongo, Ukraine oder Sudan: 80 Jahre nach den deutschen Vernichtungskriegen in Europa leben wir noch immer in einer Welt, in der vielerorts bereits eine humanitäre Waffenruhe oder das Wahren des Kriegsvölkerrechts ein Triumph wären. Der Ruf, die Waffen mögen schweigen, übertönt vor diesem Hintergrund zunehmend das Streben nach langwierigen Bemühungen um nachhaltige Versöhnung und einen warmen Frieden. Die Friedensforschung steht vor der Herausforderung, eine Balance zwischen diesen Polen zu finden.
Denn so nachvollziehbar der Wunsch nach unmittelbarer Gewaltvermeidung ist, so risikobehaftet sind kurzfristige Lösungen für tiefverwurzelte Gewaltdynamiken. Sie drohen, strukturelle Ungerechtigkeiten zu zementieren, systemische Unterdrückung zu normalisieren und damit – ungewollt – auch menschenverachtende Formen von Widerstand zu befördern. Gerade die brutalen Massaker des 7. Oktobers haben deutlich gemacht, dass oberflächliches Konfliktmanagement tiefliegende Konflikte um Selbstbestimmung nicht nachhaltig lösen kann.
Frieden zum Verkauf
Ich weiß nicht“, soll der französische Premierminister Georges Clemenceau 1919 während der Pariser Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg gesagt haben, „ob der Krieg ein Zwischenspiel im Frieden oder der Frieden ein Zwischenspiel im Krieg ist.“ Vielleicht war das sarkastisch gemeint, aber hundert Jahre später klingen seine Worte sehr ernsthaft. Um Frieden zu schließen, muss es einen Krieg gegeben haben mit mindestens zwei Parteien, mit einem Anfang und einem Ende. Die Anfänge beider Weltkriege (1914 - 18, 1939 - 1945) wurden zumindest formell durch eine ganze Reihe von Kriegserklärungen gekennzeichnet.
Doch seitdem sind formale Erklärungen und die Frage, was Krieg ist (und was Frieden), oftmals unklar. Die Vereinigten Staaten zum Beispiel haben seit 1942 offiziell keinen Krieg mehr erklärt, obwohl die Nation seitdem mehr als 240 „militärische Operationen“ durchgeführt hat. Die Gründe für diese Verschiebung sind zum Teil verfassungsrechtlicher Natur: US-Präsidenten können alleinverantwortlich keinen Krieg erklären – das kann nur der Kongress. Allerdings kann der Präsident als Oberbefehlshaber militärische Operationen anordnen.
Seltsamerweise kann man auch Friedensverhandlungen führen, ohne dass zuvor ein Krieg erklärt wurde. Die Konflikte in Korea, Vietnam und im Kosovo endeten alle mit einem Abkommen, obwohl es keine Kriegserklärung gab. Derzeit sprechen wir über Friedensverhandlungen in der Ukraine, obwohl Russland seinem Einmarsch im Jahr 2022 keine Kriegserklärung vorangestellt hat. Krieg ist in diesen Szenarien ein Zustand und ein Ort („der Krieg in der Ukraine“). Israel zum Beispiel erklärte 2023, sich im „Kriegszustand“ zu befinden, aber in Doha und anderswo wimmelt es nur so von Friedensunterhändlern.
Man kann einen Krieg auch ohne ein Friedensabkommen beenden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs unterzeichneten die Parteien keinen Friedensvertrag. Warum? Weil es ab 1949 zwei deutsche Staaten gab, und Experten lange Zeit darüber diskutierten, ob und wo das Deutsche Reich rechtlich gesehen weiterhin existierte. Erschwerend kam hinzu, dass keiner der beiden deutschen Staaten das Recht, einen Friedensvertrag mit den Alliierten zu schließen, an den anderen abtreten wollte.
Wirklich geregelt wurde die Angelegenheit erst mehr als vierzig Jahre später im Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der die für einen Friedensvertrag typischen Fragen klärte, vor allem die künftigen Grenzen des wiedervereinigten Deutschlands.
Seitdem sind für die meisten Europäer – vor allem für Westeuropäer – Kriege und Friedensschlüsse entweder etwas sehr Historisches oder etwas sehr Entferntes. Historisch gesehen ist dies eine Anomalie. Unsere Vorfahren waren es gewohnt, dass Krieg und Frieden nahe beieinanderliegen. Meine Großeltern haben zwei Weltkriege miterlebt, meine Eltern einen. Ich bin die erste in meiner Familie seit vielen Generationen, die keinen bewaffneten Konflikt „vor der eigenen Haustür“ gesehen oder miterlebt hat.
Ein solcher, historischer Abstand verändert die Einstellung zu Krieg und Frieden, auch in den politischen Führungsetagen. Friedensverhandlungen nehmen heute zunehmend die Dimension eines Spektakels an; sie sind Mehrparteienveranstaltungen mit großer medialer Aufmerksamkeit, an denen viele verschiedene Akteure aus als neutral geltenden Ländern beteiligt sind.
Historisch gesehen gibt es zwar Vorläufer, aber im Zeitalter der globalen 24/7-Nachrichten und für viele Vermittler heute – sowohl für Erstunterhändler wie Trumps Gesandten für Russland und den Nahen Osten, den Immobilieninvestor Steve Witkoff, als auch für kleinere Staaten, die um internationalen Einfluss wetteifern, wie Katar und Saudi-Arabien – haben sich Friedensverhandlungen in schillernde Gelegenheiten zur Selbstdarstellung verwandelt: Events, auf denen man die eigenen Führungsqualitäten unter Beweis stellen kann, mit glanzvollem Lokalkolorit, mit Flaggen, Empfangshallen und der Zurschaustellung der Nation vor laufenden Kameras aus aller Welt, mit dem Versprechen internationaler Sichtbarkeit und, wer weiß, vielleicht sogar der Hoffnung auf einen Nobelpreis?
Friedensverhandlungen sind in der Tat zu trüben Gewässern geworden, da Überlegungen über die Natur, die Komplexität und die „Fairness“ eines Konflikts (wie auch immer definiert) zunehmend mit den individuellen Interessen Dritter konkurrieren. Georges Clemenceau war vielleicht nicht immer in der Lage, zwischen Krieg und Frieden zu unterscheiden, aber er wusste genau, dass beides kein bloßes Spektakel war.
Krieg und Frieden – damals und heute
Kriege und Friedensschlüsse sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Verabredungen über die Beendigung von Feindseligkeiten gibt es schon seit Jahrtausenden. Aber wie der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz einmal bemerkte, war das, was als Frieden bezeichnet wurde, oftmals nicht viel mehr als eine Atempause zwischen zwei Kontrahenten. Frieden, so wie wir ihn heute verstehen – als die idealerweise dauerhafte Abwesenheit von Krieg – ist eine moderne Erfindung: Friedensschlüsse in diesem Sinne setzten sich erst seit dem 17. Jahrhundert nach und nach durch; eine über Europa hinausreichende internationale Gültigkeit erhielten sie erst im 19. Jahrhundert.
Damals begannen Kriege mit einer Kriegserklärung, und so gut wie jeder Krieg endete auch mit einem Friedensschluss. Viele davon haben es in die Schulbücher geschafft: Der Wiener Kongress, Shimonoseki, Brest-Litowsk, Versailles. Seitdem geht es jedoch bergab. Die meisten Kriege beginnen nicht mehr mit einer amtlichen Erklärung, und häufig enden sie ohne eigentlichen Friedensschluss. Die Zahl der Friedensverträge hat seit dem Zweiten Weltkrieg abgenommen und um die 1980er Jahre herum einen historischen Tiefpunkt erreicht.
Sind Friedensverträge vielleicht überschätzt? Deutschland lebt seit 1945 jedenfalls ganz gut ohne ein solches Vertragswerk; umgekehrt hätte man kein Vertrauen in ein Dokument, das von Wladimir Putin oder Benjamin Netanjahu unterzeichnet wird. Im Kern geht es um Verlässlichkeit, häufig gesichert durch Einbettung in internationale Allianzen. Die Zeit der großen Erklärungen – Vorhang auf, Vorhang zu – scheint vorüber. Ohnehin werden viele Kriege gar nicht mehr als Kriege bezeichnet. Würde Tolstoi seinen großen Roman heute schreiben, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, müsste er ihn „Spezial-Operation und Waffenstillstand“ nennen.
Wie Kriege enden
Kriege können durch einen Friedensvertrag oder ein Waffenstillstandsabkommen beendet werden, sie können durch den Sieg einer der Seiten enden oder im Laufe der Zeit abebben, sodass letztlich die Gewalt dauerhaft eingestellt wird. Die beiden letzten Szenarien spiegeln das sogenannte Recht des Stärkeren mit allen damit verbundenen Problemen für die schwächeren Parteien wider. Hingegen stehen Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen auf dem Boden des Prinzips der Rechtstaatlichkeit, das Freiheits- und Gleichheitsnormen umfasst und ein wichtiger Pfeiler der liberalen Weltordnung ist.
In den vergangenen 80 Jahren zeigt sich folgendes Muster: Von 1945 bis Ende der 1970er Jahre ist der Sieg einer Konfliktpartei die häufigste Art, einen Krieg zu beenden, danach ebben Kriege zumeist ohne expliziten Friedensvertrag oder ohne explizites Waffenstillstandsabkommen oder den Sieg einer Seite ab. Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen spielen zunächst eine nachrangige Rolle, und erst nach Ende des Kalten Krieges enden mehr Kriege mit Verträgen und Abkommen als durch einseitige Siege.
Warum ist das so? Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen kommen öfter bei der Beendigung von zwischenstaatlichen als von innerstaatlichen Kriegen zum Einsatz. Zwar gibt es im gesamten Zeitraum deutlich mehr innerstaatliche als zwischenstaatliche Kriege. Jedoch hat die Rolle internationaler Akteure bei der Befriedung innerstaatlicher Konflikte von den 2000er Jahren an stark zugenommen, allen voran die Vereinten Nationen, aber auch Regionalorganisationen und Drittstaaten. Dies hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Befriedung von Konflikten durch Verträge oder Abkommen deutlich gestiegen ist.
Wagt man einen Ausblick, so ist einerseits zu erwarten, dass dieser Trend anhält, schließlich hat die Anzahl an globalen und regionalen Organisationen mit expliziten sicherheitspolitischen Kompetenzen über die vergangenen 80 Jahre deutlich zugenommen. Andererseits benötigen Organisationen, wie die Vereinten Nationen oder die Afrikanische Union, für diese Rolle die Zustimmung ihrer Mitglieder. In Zeiten zunehmenden Populismus und Nationalismus kann diese allerdings nicht als gegeben vorausgesetzt werden. Dies wiederum würde eine Abnahme von Friedensverträgen und Waffenstillstandsabkommen und ein Wiedererstarken des „Rechts des Stärkeren“ bei der Beendigung von Konflikten erwarten lassen.
Jalta 2.0
Im Frühjahr 2025 eröffnete in der Stadt Simferopol auf der völkerrechtswidrig annektierten Krym eine bizarre Ausstellung. Im Zentrum der kleinen Schau mit dem Titel „Jalta 2.0“ oder „Die Großen Drei auf neue Art“ steht ein Triptychon mit drei überlebensgroßen Porträts.
Das Bild im Zentrum zeigt den russischen Präsidenten Wladimir Putin, zu seiner Linken und Rechten befinden sich Abbildungen von US-Präsident Donald Trump und Chinas Staatschef Xi Jinping. Zu ihren Füßen ist eine Weltkarte positioniert. Die wenig subtile Anordnung wird ergänzt durch weitere Exponate; unter anderem eine despektierliche Karikatur, auf der Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen und Olaf Scholz zu sehen sind. Die Botschaft der Exposition ist eindeutig: Große Politik wird von großen Mächten (und nicht minder „großen Männern“) gemacht.
So war es während der Konferenz von Jalta, als Churchill, Roosevelt und Stalin im Februar 1945 die Grundzüge der europäischen Nachkriegsordnung festlegten und über die Zukunft eines ganzen Kontinents entschieden. Sie bestimmten Einflusszonen und verschoben Grenzen. Was die betroffenen Menschen in den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas davon hielten, interessierte die „Großen Drei“ hingegen weniger.
Aus russischer Sicht galt und gilt Jalta als diplomatisches Meisterstück. Doch ist die Konferenz weit mehr als ein positiver Bezugspunkt russischer Geschichtspolitik, vielmehr bietet sie Putin und seiner Entourage ein Vorbild für eine künftige Aufteilung der Welt nach ihrem Geschmack.
In Ost- und Ostmitteleuropa verhält es sich anders. Dort ist „Jalta“ seit jeher Synonym für die konkrete Bedrohung, die von einem Denken in imperialen Einflusszonen ausgeht. Nur ein Beispiel: Als im Jahr 2005 der 60. Jahrestag des Kriegsendes begangen wurde, wiesen etwa in Polen oder dem Baltikum viele mahnende Stimmen auf die Konsequenzen der in Jalta ausgehandelten Ordnung hin. In weiten Teilen Europas folgte auf das Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft eine Diktatur sowjetischen Typs.
Ein „Jalta 2.0“, wie es sich (nicht nur) die Initiatoren der Simferopoler Schau imaginieren, vermag vielleicht einen Diktatfrieden zu erzwingen. Den Preis dafür zahlen indes jene, die nicht am Verhandlungstisch sitzen. Er besteht in Unfreiheit und Unterdrückung; und das nicht nur im scheinbar so weit entfernten Osteuropa. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist es für Deutschland an der Zeit, diese Lektion endlich zu begreifen.
Verpflichtung zum Aufarbeiten von Konflikten ernstnehmen
Am 20. November 1945, also ein gutes halbes Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, begannen die Nürnberger Prozesse. In internationalen Strafverfahren sollten die Hauptverantwortlichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden.
Diese Prozesse gelten zum einen als Anstoß für die weitere Entwicklung der internationalen Strafjustiz. Zum anderen werden sie auch als Ausgangspunkt dafür angesehen, dass sich bis heute die Aufarbeitung von Gräueltaten nach Konflikt und Gewaltherrschaft – oft Transitional Justice genannt – als internationaler Standard etabliert hat.
In fast jedem Friedensabkommen finden sich Regelungen zur Wahrheitsfindung. Also Beschlüsse, dass Wissen über den jeweiligen Konflikt generiert werden und dieser gerichtlich aufgearbeitet werden soll. So sollen Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen sowie mögliche Wiedergutmachung, zum Beispiel finanzielle Kompensation oder andere Formen der Reparation beschlossen werden. Deutschland zählt Vergangenheitsarbeit und Transitional Justice als eines seiner Schwerpunktthemen der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik und nimmt in der ressortgemeinsamen Strategie Bezug auf die eigenen, vielschichtigen Erfahrungen mit Prozessen der Aufarbeitung.
Es hat den Anschein, als könnte diese normative Ausrichtung derzeit innenpolitischen Auseinandersetzungen und Versuchen politischer Profilierung geopfert werden. Aus der Geschichte lernen bedeutet in diesem Fall aber, auch heutzutage das Bekenntnis zur internationalen Strafjustiz und die Verpflichtung zur Konfliktaufarbeitung ernst zu nehmen. Das heißt auch, dass diejenigen, die für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: