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Giorgia Meloni, Italiens neue Ministerpräsidentin

© imago/Luigi Strulli

Berlin und Rom nach der Wahl: Zwei nahe Verwandte und doch fremd

Italien hat seit wenigen Wochen die rechteste Regierung seit achtzig Jahren. Was heißt das für die deutsch-italienischen Beziehungen? Ein Gastkommentar

Ein Kommentar von Michelangelo Freyrie

Es ist oft schwieriger, sich unter Ähnlichen zu verständigen als unter Fremden. Deutschland und Italien zum Beispiel sind sich näher als andere EU-Mitgliedsstaaten, im Guten und Schlechten. Sowohl Roms als auch Berlins Wirtschaftsmodell basiert auf einer Mischung aus starkem Außenhandel und geringen Investitionen im Binnenmarkt.

Nach der Annexion der Krim waren beide Länder Befürworter eines begrenzten Dialogs mit Russland. Beide sind parlamentarische Demokratien, Befürworter einer engen transatlantischen Partnerschaft und wurden sogar lange von wechselnden großen Koalitionen regiert.  

Mit der Vereidigung von Giorgia Meloni als Premierministerin (sie selbst bevorzugt die männliche Form „Premierminister“) könnte sich das ändern. Die deutsche Medienlandschaft und führende Entscheidungsträger haben Meloni klar als Neofaschistin gebrandmarkt, und für die Ampel wird es besonders schwer sein, einen vertrauensvollen Umgang mit einer reaktionär-konservativen Regierung zu finden.   

Italien Selbstwertgefühl leidet an der Achse Paris-Berlin

Man muss jedoch auch feststellen, dass die Brüche zwischen den beiden Ländern viel weiter zurückreichen als zur letzten Wahl Man muss jedoch auch feststellen, dass die Brüche zwischen den beiden Ländern viel weiter zurückreichen als zur letzten Wahl.  

© European Public policy Conference 2022

Aus verständlichen Gründen (u.a. die ständigen Regierungswechsel oder die populistischen Äußerungen von Berlusconi und Salvini) wirkt Rom keineswegs als verlässliche Partnerin – obwohl Italien eine führende Rolle in der europäischen Verteidigungspolitik hat und volkswirtschaftlich von Gewicht ist

Aber auch auf der anderen Seite der Alpen sind viele italienische Entscheidungsträger argwöhnisch, unabhängig von ihrer politischen Couleur. Trotz seiner innenpolitischen Instabilität, so das Mantra, gehöre Italien an den „Erwachsenentisch“.

Historischer Händedruck: Im November 2021 unterzeichneten Frankreichs Präsident Emanuel Macron und der damalige Premier Italiens Mario Draghi, den Quirinalvertrag. Die Absicht dahinter ist eine verstärkte Zusammenarbeit beider Länder.
Historischer Händedruck: Im November 2021 unterzeichneten Frankreichs Präsident Emanuel Macron und der damalige Premier Italiens Mario Draghi, den Quirinalvertrag. Die Absicht dahinter ist eine verstärkte Zusammenarbeit beider Länder.

© imago/Ansa/Filippo Attili

Italiens Selbstwertgefühl in der Außenpolitik litt immer unter der deutsch-französischen Sonderbeziehung, am „Europa di Serie A“, dem Europa der Erstligisten, wie es sogar der sozialdemokratische Vorsitzende Enrico Letta nannte.

Deutsche Alleingänge in der Energiepolitik lieferten Meloni Futter

Ein „Dreieck“ zwischen Rom und den beiden Führungsstaaten Westeuropas hätte aus italienischer Sicht die Funktion, ein Gegengewicht gegen die französische Vormachtstellung zu setzen. So argumentieren nicht nur die italienischen Rechten. Aus diesem Grund wurden zum Beispiel französische Investitionen in italienischen Unternehmen und Banken 2019 vom Sicherheitsausschuss des Parlaments untersucht.

Rom und Paris beobachten außerdem die Mittelmeerpolitik des jeweils anderen misstrauisch, und die Rüstungsunternehmen beider Länder stehen oft in direktem Wettbewerb.   

Die Brüche zwischen beiden Ländern reichen viel weiter zurück als zur letzten Wahl.

Michelangelo Freyrie

Italien hat sich lange nach Rückendeckung Deutschlands gesehnt. Berlin hat das nur zum Teil erwidert. Nach Draghis Versuch, durch den „Quirinale-Vertrag“ die Beziehung zu Frankreich zu normalisieren, sollte eigentlich ein bescheidener deutsch-italienischer „Aktionsplan“ die Beziehung zwischen Rom und Berlin besser strukturieren. Was daraus jetzt wird, ist ungewiss, obwohl Deutschland bereit ist, den Vertrag zu schließen.

Deutsche Alleingänge in der China- und Gaspolitik wurden von den Rechten schon im Wahlkampf thematisiert. In der einzigen Fernsehdebatte des Wahlkampfs warf Meloni Berlin vor, wegen seiner „Kontakte mit Gazprom“ eigene Interessen zu verfolgen.  

Die Enttäuschung über Deutschland könnte der Zusammenarbeit schaden

Heute versucht die Premierministerin, sich als verantwortungsvolle Partnerin in Europa zu präsentieren. Das erste Treffen, gleich am Tag nach ihrer Vereidigung, galt dem französischen Rivalen; sie traf Emmanuel Macron in Rom. Vertreter der jetzigen Regierungsparteien haben sich immer wieder einer starken antifranzösischen Rhetorik bedient, aber Meloni weiß, dass die beiden Länder zu einer leidlichen Kooperation verdammt sind.

Es kann gut sein, dass sie die aktuellen Wirren in der deutsch-französischen Partnerschaft mit Wohlwollen sieht. Die Enttäuschung über Deutschland könnte dennoch zu groß sein, um die Partnerschaft weiter zu vertiefen.  

Das wäre fatal: In Wirtschaftsfragen, bei EU-Reformen, der Durchsetzung der Energiewende (Italien ist Vorreiterin in der Ökostromerzeugung), wenn es um die Stabilisierung Nordafrikas und die Konfrontation mit Russland geht, ist Roms Beitrag unverzichtbar – trotz und manchmal ausgerechnet wegen der politischen Instabilität Italiens.  

Italiens Institutionen sind stark, instabil ist die Politik 

Italienische Institutionen haben dank einer kompetenten Beamtenklasse gezeigt, dass die Republik auch in politischen Turbulenzen einen Beitrag zum europäischen Projekt leisten kann. Mario Draghis Karriere und Entwicklung zu einer der kompetentesten Persönlichkeiten Europas ist schließlich auch ein Produkt dieses Umfelds.

Es ist desto wichtiger, dass die Ampel konkrete Angebote zur Zusammenarbeit macht. Man muss weder Melonis ideologische Stellungnahmen legitimieren noch die antifranzösischen Sorgen der italienischen Elite teilen, um engere Beziehungen zu den italienischen Institutionen zu pflegen.

Eine wichtige Geste wäre zum Beispiel, Italien an Projekten wie der neuen europäischen Luftverteidigung zu beteiligen und den Aktionsplan zu Ende zu verhandeln. Es wäre auch ein wichtiges Signal, wenn Scholz, Macron und Meloni erneut nach Kyiv reisen und der Ukraine eine besondere Unterstützung für den ersten Kriegswinter zusichern würden.  

Berlin wird sich mehr anstrengen und auf Rom zugehen müssen, und es besteht das Risiko, dass man dabei Melonis rechtsextreme Rhetorik legitimiert. Dies aber nicht zu versuchen, hieße, auch moderate italienische Politiker und die Zivilgesellschaft Italiens endgültig zu entfremden.   

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