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Rot-Rot-Grün? Das wird so schnell nicht, meint Christoph Seils.

© dpa

Koalitionsoptionen: Die rot-rot-grüne Illusion

Die Sozialdemokraten quälen sich in die große Koalition unter Führung der Union, aber eigentlich träumen sie noch immer von einer rot-rot-grünen Regierung und einem SPD-Kanzler. Bis dahin es ist allerdings noch ein ziemlich weiter Weg - vier Jahre werden da kaum reichen.

Vier Wochen nach der Wahl haben sich die Sozialdemokraten also endlich der Einsicht in die Notwendigkeiten der Realpolitik gefügt. Am Mittwoch beginnen die Koalitionsverhandlungen unter Führung der Christdemokratin Angela Merkel. Noch quält die Genossen der Phantomschmerz , weil sie mit den Steuererhöhungen ein zentrales Wahlversprechen opfern mussten. Aber immerhin bekommt die SPD dafür den Mindestlohn und voraussichtlich sechs Ministerien. Das kann man angesichts eines wenig berauschenden Wahlergebnisses einen fairen Kompromiss nennen.

Die Parteilinke wurde zudem mit der Aussicht auf eine rot-rot-grüne Zukunft geködert. Das Tabu soll fallen. Nie wieder wird die SPD mit der Absage an ein Bündnis mit der Linkspartei in einen Wahlkampf ziehen. Denn nach Lage der Dinge ist Rot-Rot-Grün auf absehbare Zeit die einzige Machtoption der Sozialdemokraten, in der sie die politische Führungsrolle in Deutschland und das Kanzleramt beanspruchen können.

Spätestens 2017 soll es wieder einen SPD-Kanzler in Deutschland geben. Möglicherweise sogar schon früher. Die rot-rot-grüne Karte können die Sozialdemokraten in den kommenden vier Jahren gegen CDU und CSU jederzeit spielen. Schließlich verfügt die SPD zusammen mit Linkspartei und Grüne im gerade neu gewählten Bundestag über 320 Mandate und damit über neun Mandate mehr als CDU und CSU.

Eine rechnerische Mehrheit ist noch lange keine gesellschaftliche

Der Traum von einer linken Mehrheit lebt, zumindest im Kreise sozialdemokratischer Funktionäre. Dabei verkennen die linken Rechenkünstler eines: Im Parlament ließe sich unter Umständen eine Mehrheit jenseits von CDU und CSU zusammenbasteln, weil bei der Bundestagswahl sowohl die FDP als auch die AfD an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert waren. Nur ist eben eine rechnerische Mehrheit noch lange keine gesellschaftliche. Die Stimmenmehrheit von SPD, Linken und Grünen im Bundestag ist ein Zufallsprodukt. Und gerade linke Politiker, denen es nicht nur um die Macht geht, sondern darum, die Gesellschaft zu verändern, sollten doch vor allem eines von ihrem marxistischen Philosoph Antonio Gramsci gelernt haben: Für linke Parteien reicht es nicht, die Frage nach der politischen Macht und nach rechnerischen Mehrheiten zu stellen, sondern vor allem auch die nach der gesellschaftlichen und kulturellen Hegemonie.

Auf diese Frage gibt es seit dem 22. September allerdings eine eindeutige Antwort. Die Deutschen haben bei der Bundestagswahl ziemlich eindeutig manifestiert, sie wollen nicht von einer rot-rot-grünen Koalition regiert werden. Sie haben mehrheitlich bürgerliche, konservative und eurokritische Parteien gewählt. Rechnet man die Ergebnisse von CDU, CSU, FDP, AfD und Freien Wählern zusammen, kommt das bürgerliche Lager zusammen auf 52 Prozent der Wählerstimmen. Dagegen liegt die politische Linke knapp zehn Prozentpunkte zurück. Und hätte sich Rot-Rot-Grün bei der Bundestagswahl als Machtalternative gegen Schwarz-Gelb zur Wahl gestellt, wäre der Abstand vermutlich noch deutlich größer ausgefallen.

Man mag die Motive und Interessen, die hinter dem Wählervotum stehen, für falsch halten, trotzdem ist es ein Fakt: Eine deutliche Mehrheit der Deutschen hat bei der Bundestagswahl gegen Steuererhöhungen votiert, gegen die Bürgerversicherung und gegen die Abschaffung des Betreuungsgeldes sowie gegen klassische linke Umverteilungspolitik. Auch deshalb sollten sich die Sozialdemokraten davor hüten, in den Koalitionsverhandlungen mit der Union allzu sehr die Backen aufzublasen.

Lafontaines langer Schatten

Natürlich muss die SPD sich zugleich für Koalitionen mit der Linken öffnen, das hätte sie längst tun sollen. Demokratie lebt vom Wechsel und sie lebt davon, dass sich politische Alternativen zur Wahl stellen. Im bundesdeutschen Parteiensystem gehört es zu den Aufgaben der SPD, das linke politische Lager zu führen. Die Tatsache, dass die SPD sich dieser Aufgabe seit mittlerweile zwei Jahrzehnten nicht stellt, führt dazu, dass nun schon zum zweiten Mal innerhalb von einem Jahrzehnt eine Große Koalition dieses Land regieren wird. Der Demokratie tut dies nicht gut.

Allzu schnell wird sich daran allerdings nichts ändern lassen. In zwei, drei Jahren werden die Parteien der politischen Linken nicht nachholen können, was in den letzten zwei Jahrzehnten fahrlässig versäumt wurde. Zumal vor allem das Verhältnis zwischen SPD und Linken so kompliziert ist, dass es seine Zeit dauern wird, das politische, ideologische und emotionale Knäuel zu entwirren. Schließlich schwingen, wann immer SPD und Linkspartei zusammenkommen, nicht nur 150 Jahre gemeinsame Geschichte in der deutschen Arbeiterbewegung und die Erfahrungen des Stalinismus mit, sondern auch das unselige Wirken des ehemaligen SPD- und ehemaligen Linkspartei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine.

Aus der Falle der Großen Koalition wird die SPD also trotz anderer rechnerischer Mehrheiten nicht so schnell entkommen. Ein gemeinsames rot-rot-grünes Projekt, das sich nicht in Steuererhöhungen, sozialpolitischen Wohltaten und linker Klientelpolitik erschöpft, ist nicht in Sicht. Die politischen Schnittmengen sind nur auf dem Papier groß. Müssten sich SPD, Linke und Grüne dieser Tage zusammensetzen, um eine gemeinsame Regierungspolitik zu formulieren, würden sie vermutlich ziemlich scheitern.

Die Linkspartei ist kein Übergangsphänomen

Die Linkspartei gefällt sich stattdessen immer noch in ihrer radikalen Geste und geht allen Diskussionen darüber, was eine Regierungsbeteiligung tatsächlich bedeuten und welche Kompromissfähigkeit ihr abverlangt würde, konsequent aus dem Weg. Stattdessen ist die Lust, die SPD stellvertretend für alle Mühen der Realpolitik permanent vorzuführen, ungebrochen.

Die SPD hingegen verweigert sich weiterhin der Erkenntnis, dass die Linkspartei kein Übergangsphänomen mehr ist, das sich eher früher als später selbst erledigt. Soll eine rot-rote Annäherung Realität werden, müsste die SPD nicht nur Gespräche auf Augenhöhe akzeptieren. Sie müsste zudem anerkennen, dass die Linkspartei in manchen ostdeutschen Ländern strukturell stärker ist und somit in rot-roten Bündnissen zum Beispiel in Thüringen oder Sachsen-Anhalt zu Recht das Amt des Ministerpräsidenten beansprucht.

Das sind schwere Brocken, die SPD und Linke aus dem Weg räumen müssen. Vier Jahre sind dafür eher wenig Zeit. Zudem wird es den einen oder anderen Probelauf in einem westdeutschen Landesparlament geben müssen, bevor Rot-Rot-Grün im Bund das Vertrauen der Wähler gewinnen kann. Nur wenn es ganz dumm kommt für SPD und Linke, dann warten die Grünen nicht solange, sondern entdecken doch noch ihr Herz für die Christdemokratie. Noch bevor eine linke Bundesregierung für die SPD zu einer Option wird, könnte sich Rot-Rot-Grün also als Illusion entpuppen.

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