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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Er liebt sie doch alle

Malte Lehming über Matthias Platzeck und die Waffen-SS.

Manchmal muss man die Gedanken einfach nur weiterdenken. Irgendwann merkt man dann, wie klug sie waren. Also: Wenn es stimmt, was Matthias Platzeck, Ex-SPD-Vorsitzender und aktuell Brandenburgs Regierungschef, im neuen „Spiegel“ pünktlich zum 20. Jahrestag des Mauerfalls schreibt, dass nämlich Deutschland heute eine Versöhnung mit den SED-Nachfolgern ebenso dringend braucht, wie sie Westdeutschland damals mit den Mitläufern und Tätern des Nationalsozialismus praktizierte, einschließlich der Mitglieder der Waffen-SS, dann, ja dann sind Globke, Filbinger, Kiesinger, Waldheim und all die anderen Ex-Nazis komplett rehabilitiert. Deren Aufstiege zur Macht wären demnach Akte tätiger Versöhnungsarbeit gewesen. Das ist, zumal für einen aktiven Sozialdemokraten, schon ein ganz besonderes Bekenntnis.

In der Logik Platzecks war dann sicher auch die Kranzniederlegung von US-Präsident Ronald Reagan und Bundeskanzler Helmut Kohl am 5. Mai 1985 in Bitburg eine große gute Geste. Wir erinnern uns: Auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg waren mindestens 43 Soldaten bestattet worden, die eindeutig der Waffen-SS angehörten, darunter ein Offizier und neun Unteroffiziere. Jürgen Habermas schrieb damals empört (und gewohnt habermäßig) über die „Entsorgung der Vergangenheit“; der Historiker Claus Leggewie warf Kohl vor, die Vergangenheit entdramatisieren zu wollen, damit „Deutschland nicht mehr in der Demuts- oder Büßerpose verharren“ müsse; und schließlich wetterte Günter Grass über Kohls „Geschichtsklitterung“ („Alle wussten, konnten wissen, hätten wissen müssen“), bis dann 21 Jahre später herauskam, dass Grass selbst der Waffen-SS angehört hatte, was für den Schriftsteller und SPD-Dauerwahlkämpfer ja doch recht peinlich war.

All diesen professionellen Puristen der deutschen Vergangenheitsbewältigungsrituale hält nun Platzeck, der große Umarmer, entgegen: „Die gelungene Demokratisierung, die Westdeutschland nach 1945 sehr zügig zu einem anerkannten Staat unter Gleichen machte, konnte überhaupt nur unter der Voraussetzung gelingen, dass ehemalige Mitläufer und, wo verantwortbar, selbst Täter des Nationalsozialismus nicht dauerhaft ausgegrenzt blieben, sondern einbezogen wurden.“ Nach dem Motto: Ihr im Westen habt Globke und Filbinger gehabt, daher möchte ich heute mit den Erben der SED-Diktatur koalieren dürfen. Sonst wär’s ja nicht gerecht.

Dabei übersieht Platzeck einen wichtigen Unterschied. Die meisten Ex-Nazis, die im Nachkriegswestdeutschland in Amt und Würden kamen, wollten keine Nazis mehr sein. Sie schworen den Hitler-Idealen ab und benannten sich auch nicht verlogen in Reform-Nazis oder „Die Rechte“ um. Stattdessen distanzierten sie sich von den Irrlehren des Nationalsozialismus. Ob aus Einsicht oder durch öffentlichen Druck ist fast nebensächlich. Was zählt, ist das Ergebnis: NS-Gedanken wurden von ihnen in der Regel weder gelehrt noch verbreitet.

Doch wer von denen, die Platzeck heute so dringend rehabilitiert und integriert sehen möchte, hat sich von der Irrlehre des Sozialismus verabschiedet, von den alten utopischen Träumen, die sich naturnotwendig in Albträume verwandelten, von jener Ideologie, die bei Marx, Engels und Lenin begann und selbst im Gulag nicht ihr Ende fand? Platzeck verweist stolz auf seinen Koalitionsvertrag mit der Linkspartei. Darin sei festgehalten: „Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben.“ Doch was heißt „Verklärung“? Die Todesschüsse an der Mauer zu preisen, ist vielleicht ein klarer Fall. Aber was wäre mit der Glorifizierung der „Diktatur des Proletariats“, die Lenin einmal als direkte Machtausübung der Massen bezeichnete, „millionenfach demokratischer als die demokratischste bürgerliche Demokratie“? Wie viele Mitglieder der Partei „Die Linke“, die „aus der SED hervorgegangen ist“ (Platzeck), distanzieren sich ehrlich und ernsthaft von solcher Art anti-demokratischem und anti-bürgerlichem Überbau?

Platzeck will in Brandenburg eine rot-rote Regierung, weil seine SPD-Genossen mit der Linkspartei „deutlich größere inhaltliche Gemeinsamkeiten feststellen, als sie mit der CDU zu erzielen gewesen wären“. Er sagt das so einfach, und so einfach ist es auch. Mit seinem Versöhnungskitsch aber soll er uns in Ruhe lassen.

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