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Scholz, Macron und Biden auf dem G20-Gipfel

© Reuters/G20 Media Center

Die Strategie des Westens geht auf: Einen wie Putin bekämpft man nicht mit Wut im Bauch

Auch nach dem Raketeneinschlag in Polen bleibt die westliche Allianz besonnen. Das ist löblich. Es braucht keinen Gegenschlag, sondern Geschlossenheit, Geduld und Großzügigkeit.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Sie sind leise geworden, die Stimmen der Vernunft. Jedenfalls drangen sie kaum durch, als am Dienstagabend hypererregt auf die Eilmeldung reagiert wurde, dass im polnischen Ort Przewodow zwei Menschen durch eine Rakete getötet wurden.

Prompt dröhnte es in den Sozialen Netzwerken: Russland greift Nato-Land an! Bündnisfall! Der Dritte Weltkrieg rückt näher!

Kriegsangst, wer hat sie nicht? Dennoch beunruhigt die Bereitschaft eines Teils der Öffentlichkeit, den ehernen Grundsatz der Sicherheitspolitik – erst wissen, dann meinen und zum Schluss erst handeln – von hinten lesen zu wollen.

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Sie zeugt nicht nur von hochgradiger Nervosität, sondern auch von Aktionismus. Plötzlich steht erneut die Frage im Raum, ob die Strategie stimmt. Sind die Gefahren tatsächlich kalkulierbar?

Die Regierenden der westlichen Allianz blieben dagegen auf löbliche Weise besonnen. Das Krisenmanagement, das wegen des G-20-Gipfels spontan in Bali stattfand, funktionierte.

Das ist auch US-Präsident Joe Biden zu verdanken, der die These von einem absichtlichen russischen Angriff schnell zurückwies.

Gibt es noch Verständigungsmöglichkeiten mit Putin?

Biden ist zurück auf dem internationalen Parkett. Von seinem Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping ging ein Signal des Kooperationswillens aus, die Ergebnisse der amerikanischen Zwischenwahlen haben ihn gestärkt, bei den Republikanern ist ein Machtkampf ausgebrochen.

Derweil lässt Biden durch seinen Geheimdienstchef ausloten, ob es noch Verständigungsmöglichkeiten mit Wladimir Putin gibt. In Ankara traf sich Bill Burns, ehemals Botschafter in Moskau, mit seinem russischen Pendant Sergej Naryschkin. Auch über eine Verlängerung des Getreideexportabkommens könnte neu verhandelt werden. Das lässt hoffen.

Zu langsam, zu wenig: Das wird dem Westen bei seiner Unterstützung der Ukraine oft vorgeworfen. Dabei sind es die drei Gs – Geschlossenheit, Geduld, Großzügigkeit –, die bei geringer Eskalationswahrscheinlichkeit den größten Erfolg versprechen.

Mühsam, aber stetig werden Putins Truppen zurückgedrängt, seine Teilmobilisierung floppte, China, Indien und mehrere Schwellen- und Entwicklungsländern distanzieren sich von ihm, führende Köpfe aus Mittelschicht und Wissenschaft verlassen das Land. Dafür gibt’s ein Wort: Tristesse.

Der Westen dagegen präsentiert sich geeint, ohne dem Aggressor die Ausrede zu erlauben, sich mit ihm im Krieg zu befinden. Keine Flugverbotszone, keine Lieferung von Raketen mit großer Reichweite, keine unmittelbaren Vergeltungsaktionen für russischen Terror.

Dabei ballen sich die Fäuste vor Zorn. Immer intensiver greift Russland zivile Einrichtungen und Ziele der Infrastruktur an. Wäre es da nicht angebracht, etwa durch Cyberoperationen, Gegenschläge auf russische Städte zu unternehmen?

Vor solchen Gedankenspielen sei gewarnt. Einen wie Putin bekämpft man nicht als wütender Tiger, sondern als gerissene Boa.

Aktuell heißt das: Die Kapazitäten der Luftabwehr müssen erweitert werden. Außerdem bedarf es einer umfangreichen Winterhilfe. Das dritte G steht schließlich für Großzügigkeit. Und das vierte für Gastfreundschaft. Denn die Zahl der Flüchtlinge bleibt leider hoch.

In Polen sind zwei Menschen gestorben. Auch sie sind Opfer der russischen Aggression. Das nicht zu vergessen und trotzdem an der bisherigen Strategie festzuhalten, gebieten Moral und Vernunft.

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