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Ein palästinensischer Demonstrant entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel protestiert gegen die israelischen Militärroperationen im Westjordanland.

© Beabeitung: TSP | dpa

Nahostkonflikt : Hat die Zweistaatenlösung überhaupt noch eine Chance?

Israel hat eine rechts-religiöse Regierung, Palästinenserpräsident Abbas fehlt die Legitimation: Ist ein eigener Palästinenserstaat noch realistisch? Drei Experten analysieren.

Es gibt keine Friedensverhandlungen mehr, Israel geht militärisch hart gegen die Palästinenser vor. Gibt es noch eine Chance für die Zweistaatenlösung, an der auch die Bundesregierung festhält?

Die Zweistaatenlösung ist nur theoretisch umzusetzen

Theoretisch ließe sich eine Zweistaatenregelung immer noch umsetzen. Aber die Hürden sind hoch: Die aktuelle israelische Regierung strebt eine jüdische Vorherrschaft im gesamten Gebiet und eine dauerhafte Kontrolle des Westjordanlands an. Die Siedlungspolitik möchte sie weiter forcieren.

Die palästinensische Autonomiebehörde hält zwar am Zweistaatenansatz fest. Sie hat aber keinen Zugriff mehr auf den Gazastreifen, und es mangelt ihr an Unterstützung in der eigenen Bevölkerung. Auch hat sie in den vergangenen Monaten die Kontrolle in den Städten des nördlichen Westjordanlands verloren. Sie wäre kaum mehr in der Lage, Kompromisse einzugehen – wenn es denn ein Verhandlungsangebot gäbe –, geschweige denn, ein Abkommen umzusetzen.

Zudem haben sich die Bevölkerungen immer mehr von einer Zweistaatenregelung abgewandt: Nur noch ein Drittel unterstützt sie. Eine überwältigende Mehrheit beider Bevölkerungsgruppen (93 Prozent) sieht sich hingegen als rechtmäßige Eigentümerin des gesamten Landes. Zu erwarten ist damit eine Verfestigung der Einstaatenrealität mit ungleichen Rechten für seine zwei Bevölkerungen. Zugleich ist das Risiko einer bewaffneten Eskalation äußerst hoch. 


Wir reden von einem Gespenst

Die Zweistaatenlösung ist nicht tot. Sie ist ein Gespenst: ein Wesen, das nicht mehr lebt, sich aber weigert, zu verschwinden. Der Grund, warum zwei Staaten nicht zustande kommen können, ist nicht die Zahl der Siedler, sondern die der Palästinenser in dem Gebiet, das in zwei Staaten geteilt wird.

Die Palästinenser sind die Mehrheit, aber selbst die „großzügigsten“ Zweistaatenangebote geben ihnen die Souveränität nur über 22 Prozent des Landes. Ein solcher fauler Kompromiss kann keinen Frieden bringen. Außerdem leben in diesem Gebiet etwa 700.000 jüdische Siedler, von denen die große Mehrheit die Gebiete nicht verlassen würde.

Unterdessen fördert die israelische Regierung längst die Einstaatenpolitik; und die aktuelle Koalition macht keinen Hehl aus ihrer Agenda. Das ist auch der Hauptgrund, warum die Macht des Obersten Gerichtshofs — der trotz seiner fragwürdigen Interpretation internationalen Rechts bisher schlimmere Verbrechen an den Palästinensern verhindert hat—mit den neuen „Reformen“ gebrochen werden soll.

Der Tod der Zweistaatenlösung zerstört also auch die internen demokratischen Institutionen des Landes: Das Westjordanland wird nicht, wie von einigen vorhergesagt, an Israel angegliedert – Israel wird vielmehr, was die politische Praxis und den Umgang mit den Palästinensern angeht, an das Westjordanland angegliedert. Dabei gibt es Alternativen zur Zweistaatenpolitik in Form von föderativen Konstellationen. Die israelische Linke und die internationale Gemeinschaft haben es aber versäumt, diese lebensfähig zu machen. Wenn wir uns weiterhin an das Zweistaatengespenst klammern, wird das Szenario, das sich jetzt in Israel abspielt, unumkehrbar werden.


Europa sollte die politische Vision erhalten

Seit Jahren trägt die EU das Mantra der Zweistaatenlösung vor sich her – und stellt stets frustriert fest, dass es vor Ort immer weniger Menschen interessiert. In Israel mag kaum noch jemand das politische Risiko eingehen.

Auf palästinensischer Seite stellt sich die Frage, wer überhaupt verhandeln könnte. Im Gazastreifen herrscht die Terrororganisation Hamas, welche die Vernichtung Israels anstrebt. In der Westbank regiert der 87-jährige Mahmud Abbas seit 2009 ohne demokratische Legitimierung.

Dennoch sollte Europa die politische Vision einer vor Ort zu verhandelnden Zweistaatenlösung erhalten. Hoffnung gibt das Abraham-Abkommen zwischen Israel sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Die wichtigste Initiative seit Jahrzehnten verspricht mehr Stabilität für die Region.

Europa sollte die Chance nutzen und gemeinsam mit den arabischen Staaten daran arbeiten, zunächst die wirtschaftliche Situation in den palästinensischen Gebieten zu verbessern, um Hass und Terror den Nährboden zu entziehen. So kann die Grundlage für einen neuen Friedensprozess gelegt werden.  

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