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Debatte

© Verena Schulz für den Tagesspiegel

Niemand muss sich Sorgen machen?: Die falschen Hoffnungsbotschaften der Politik

Ob alte Gasheizungen oder Bankenkrise: Die Bevölkerung soll sich nicht beunruhigen, die Regierung verspricht Lösungen. Das untergräbt die Idee von mündigen Bürgern.

Ein Essay von Ariane Bemmer

Wer hörte das nicht gern: dass kein Grund zur Sorge besteht. Weil alles, was da kommen könnte, geregelt ist. Niemand muss sich Sorgen machen ist ein perfektes Versprechen auf eine gute Zukunft. Niemand muss sich Sorgen machen, das sagte auch Olaf Scholz kürzlich im Bundestag. Da ging es um die zuvor gefassten Beschlüsse aus dem Koalitionsausschuss zur Wärmewende und Fragen nach kaputten Heizungsanlagen.

Es war eine (oder seine) Art, darüber hinwegzureden, dass keinesfalls alle Fragen bereits geklärt sind, die man sich als Haus- oder Wohnungsbesitzer zur Zukunft von Heizungen in Deutschland stellen könnte. Vielleicht lauern da im Detail doch noch ein paar Probleme, die jetzt bloß noch niemand im Blick hat? Nein oder egal, ist die Vorab-Antwort des Bundeskanzlers.

Das ist einerseits eine frohe Botschaft, und wann würde die besser passen als jetzt an den Ostertagen, in dieser biblischen Freudenzeit, die sich als Hoffnungsgeberin schlechthin verstehen lässt, denn sogar die Angst vor dem Tod kann man überwinden, wenn man nur ans Gute glaubt.

Doch zugleich ist die frohe Botschaft aus der Politik auch recht paternalistisch. Es hallt in ihr der elterliche Ton nach, der die aufgeregten Kinder beruhigen soll. Und da liegt das Risiko solcher Botschaften.

Bürgerinnen und Bürger sollen aber mündig und erwachsen sein

Aber Bürger sind keine Minderjährigen. Auch wenn es ihnen in ihrem komplizierten Alltag manchmal wie eine große Versuchung vorkommen mag, sich einfach nur verwalten zu lassen. Doch das wäre falsch.

Alle Macht geht vom Volke aus, sagt das Grundgesetz. Das Private ist politisch, proklamierte die Frauenbewegung, und aktuell soll die Bevölkerung durch problembewusstes Verhalten nicht weniger als die Welt retten.

Wenn das Volk aber, von Sorget-euch-nicht-Parolen sediert, keinen Zugriff mehr auf seine Geschicke anstrebt, wird das schwierig. Es sollte besser Pflicht sein, sich Sorgen zu machen.

Sorgenmachen ist auch nicht von vornherein schlecht. Nur in exzessiven Formen bedeutet es, dass man sich in Worst-Case-Szenarien verliert, bis einem ganz depressiv zumute wird. Sorgen sind meist berechtigt und darum ein Anlass, sich um Angelegenheiten zu kümmern, die einen betreffen. Und das wäre dann eine Mühe, die selbstwirksam ist und einem Sicherheit gibt.

Ein präsentes „Sorgen nicht nötig“-Thema ist die Rentenparole von Arbeitsminister Norbert Blüm aus dem Jahr 1986. „Eins ist sicher: die Rente“, hieß es da. Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Inzwischen sind alle schlauer, und wahrscheinlich stehen heute mit Blick auf ihre Altersbezüge jene am besten da, die der Alles-in-Butter-Predigt keinen Tag lang geglaubt haben, sondern sich frühzeitig um private Vorsorgemöglichkeiten kümmerten.

Und vielleicht müssten sich heute ganz generell viel weniger Menschen Sorgen darum machen, ob sie ihren Lebensstandard über die kommenden Jahre retten können, wenn es damals nicht die vielen Sicher-Parolen gegeben hätte.

Eine seltene Ausnahme von der vorherrschenden Beschwichtigungsrhetorik der Politik lieferte die Scholz-Vorgängerin im Bundeskanzleramt.

Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.

Angela Merkel als Bundeskanzlerin am 18. März 2020

Als sich Angela Merkel am 18. März 2020 in einer Fernsehansprache zur Corona-Pandemie äußerte, sagte sie: „Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als IHRE Aufgabe begreifen. Deswegen lassen Sie mich sagen: Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Natürlich ist es verständlich, dass die Politik davor zurückschreckt, die Bevölkerung zum Sich-Sorgen-machen aufzurufen. Aber manchmal wäre es ehrlicher. Und es gehört auch zum Demokratiekonzept, das eine mündige mitdenkende Bevölkerung will und braucht, und keine Schäfchen, die ruhiggestellt den Worten ihrer Oberhirten hinterhertrotten.

Und so muss man sich als Teil dieser Bevölkerung bisweilen auch Bequemlichkeit vorhalten lassen, wenn man den Sorglosigkeitsversprechen immer wieder glaubt, obwohl man längst schlauer sein könnte.

Dass sich niemand Sorgen machen müsse, sagte im September 2007 auch der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück. Da ging es um mögliche Folgen der Bankenkrise für private Aktienvermögen. Die Bankenkrise war zu dem Zeitpunkt gerade erst angelaufen. Sie hat dann im Laufe der folgenden Jahre Volkswirtschaften und auch die Vermögen von Privatleuten durchaus schwer getroffen.

Niemand muss sich Sorgen machen, sagte Olaf Scholz nahezu wortgleich schon einmal: 2017 vor dem G20-Gipfel. Er war da noch Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg, und er meinte mögliche Folgen möglicher Krawalle. Wie sich später herausstellte, wären auch in dem Fall ein paar Sorgen durchaus berechtigt gewesen, denn bekanntermaßen lag nach dem Gipfel die halbe Stadt in Trümmern.

Sorgen gehören zum Leben dazu. Man könnte mal anfangen, ihr positives Potenzial zu loben und es für fatal zu halten, dass sorgenvolle Gedanken immerzu nur verscheucht werden sollen.

Denn mit der Idee und dem Ideal von einem sorgenfreien Leben etabliert sich auch eine Vorstellung von Leben, in der Anstrengungen in eigener Sache abgelehnt werden.

In der Folge wird man bei Problemen nicht instinktiv selbst aktiv, sondern ruft stattdessen ebenso instinktiv nach jemandem, der sich kümmern soll. Hierzulande ist das dann gern der Staat, der dadurch regelrecht zu einer väterlichen Instanz wird, einem Erlöser von allen Problemen.

Umgekehrt erlässt der dann engmaschige Reglementierungen erlässt, um für Sicherheit zu sorgen. Wenn diese Spirale sich immer schneller dreht, droht auch eine immer größere Menge an Vorgaben und Verwaltungen, die der Bevölkerung zusetzen. Das sollte so nicht sein.

Je öfter die Politik also auf ihre sorgenzerstreuende Rhetorik zurückgreift, desto öfter provoziert sie die Idee von einem Nanny-Staat, und untergräbt zugleich die von den mündigen Bürgern, die sich gern und kompetent selbst kümmern können und wollen.

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