zum Hauptinhalt
Die deutsche Debatte konzentriert sich bislang auf den assistierten Suizid.

© AdobeStock/ArtemisDiana | Bearbeitung: Tagesspiegel

„Mit Aspirin lässt sich kein Geld mehr verdienen“: Soll man 100-Jährige noch teuer behandeln? Unsere Community zu Streecks Vorstoß

Der Vorstoß von CDU-Politiker Hendrik Streeck, teure Therapien für Hochbetagte kritisch zu prüfen, hat in der Tagesspiegel-Community eine Debatte über Ethik, Kosten und Würde am Lebensende entfacht.

Stand:

Der Bundesdrogenbeauftragte Hendrik Streeck (CDU) hat eine heikle Debatte angestoßen: In einer TV-Sendung hinterfragte er, ob sehr alten Menschen – etwa Hundertjährigen – noch extrem kostspielige Medikamente verschrieben werden sollten. So fordert er „klarere und verbindliche Leitlinien“ in der medizinischen Selbstverwaltung, weil es Phasen im Leben gebe, „wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte“.

Streeck stützt sein Argument auch auf persönliche Erfahrungen: Er berichtete, dass bei seinem an Lungenkrebs erkrankten Vater in seinen letzten Wochen modernste Therapien verabreicht wurden – „es hat nichts gebracht“ – und das habe enorme Kosten verursacht. Die Bundesregierung distanziert sich ausdrücklich von seinem Vorschlag.


Viele Tagesspiegel-Leserinnen und -Leser reagieren mit Betroffenheit, Empörung und tiefen moralischen Fragen. Sie stellen die humanitären, wirtschaftlichen und ethischen Dimensionen dieser Debatte in den Vordergrund – und liefern vielfältige Perspektiven darauf, was eine würdige Versorgung im hohen Alter bedeuten kann. Andere wiederum befürworten die von Streeck angestoßene Debatte. Lesen Sie hier eine redaktionelle Auswahl von Stimmen und Erfahrungsberichten aus der Tagesspiegel-Community.


FvGe
Naja, nach 30 Jahren in der Krankenpflege kann ich sagen: das, was Streeck so mutig vorschlägt, ist eh schon lange Praxis. Bei sehr betagten/sehr kranken Menschen wird nur sehr selten eine Maximaltherapie durchgeführt und viele Menschen möchten das auch gar nicht mehr ab einem gewissen Zeitpunkt.

Das sind sehr individuelle Entscheidungen, die auch zu respektieren sind.

Tagesspiegel-Nutzer FvGe

Und diejenigen, die es wollen, bekommen es auch. Daran sollte nicht gerüttelt werden. Das sind sehr individuelle Entscheidungen, die auch zu respektieren sind.


Argo
Die Antwort auf diese mit Leidenschaft geführte Debatte ist auch in diesem Fall ziemlich einfach: It’s the Economy, stupid. Mit Aspirin und Paracetamol lässt sich kein Geld mehr verdienen, mit „Krebsmedikamenten“ aber sehr wohl. Just aus diesem Grund laufen, wie Herr Streeck es ja auch geschildert hat, die sündhaft teuren Infusionen oftmals bis zum, buchstäblich, letzten Atemzug. „Heilen“ lässt sich da schon lange nichts mehr, und auch nicht bessern, aber Geld verfeuern (und verdienen) umso besser.

Sie hat ihn nicht ‘gerettet’, aber dafür um seine letzten in Würde verbrachten Monate gebracht.

Tagesspiegel-Nutzer Argo

Ich habe gerade die letzten Monate eines guten Freundes begleiten dürfen. Er war „ausoperiert“ und gut zu Wege, und das Elend begann erst mit der irrwitzig teuren, aber letztendlich sinnlosen Chemotherapie. Sie hat ihn nicht „gerettet“, aber dafür um seine letzten in Würde verbrachten Monate gebracht, und das war bitter mit anzusehen. Aber ein gutes Geschäft war es allemal.

Magritte @Argo
Ich kenne das Gegenteil. Der Mann wurde noch behandelt und die Behandlung ermöglichte ihm noch ein Jahr ein würdevolles und gutes Leben in seiner Familie, kleine Reisen etc. Er starb dann ziemlich plötzlich nach ein paar Tagen im Hospiz, in dem er noch erstaunlich schnell einen Platz bekam. Wie jeder Mensch ein Individuum ist, so ist auch das Sterben individuell.



Stuggibuggibenzitown
Als Intensiv-und Notfallmedizinerin sehe ich mich tagtäglich mit dieser Problematik konfrontiert. Ich bin der Meinung, dass wir in Deutschland sehr schlecht aufgestellt sind, was das Thema end of life angeht. Patientenverfügungen, so gut wie nicht vorhanden und wenn diese 0/8/15-Vorlage aus dem Internet: Im Falle, dass eine unheilbare usw usw - ein Graus und nutzlos für jeden Akutmediziner.

Wie will ich wo sterben? Will ich beatmet, tracheotomiert werden? Soll mich ein Neurochirurg entdeckeln, in der Hoffnung, dass ich unter egal welchen Bedingungen überlebe nach einem Schädelhirntrauma? Will ich das mit 20 Jahren, 40 Jahren, 70 Jahren? Will ich auch als dauerhafter Intensivpflegefall um jeden Preis überleben? Oder will ich an der nächsten Lungenentzündung versterben (dürfen), wenn die Therapie nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat?

Der Tod gehört nunmal zum Leben dazu. ‘Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.’

Tagesspiegel-Nutzerin Stuggibuggibenzitown

Wo ist hier meine Grenze, wie selbstständig ich leben können will? Was ist wenn ich schwerst dement bin? Wann will ich hier stopp sagen? Keine Antibiose mehr! Keine Op mehr! Sondern ein ärztlich und pflegerisch gut und würdevoll begleiteter Sterbeprozess, sobald dieser eintreten könnte durch Infektion/Trauma. Alle müssen sich hier mehr auseinandersetzen mit dem Thema mit Unterstützung von Ärzten, Ethikern usw. Der Tod gehört nunmal zum Leben dazu. “Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.” (Aus Memento, Mascha Kaleko)

x-Nemesis-x
Leben ist eine sehr feine Sache, aber nicht um jeden Preis! Die Frage muss und darf erlaubt sein, ob das Wohl des Patienten im Vordergrund steht, oder doch eher monetetäre Interessen der Krankenhäuser und Pflegeheime, die nicht selten noch im absoluten Endstadium „alles aufbieten“! Statistisch gesehen sind die letzten 6 Monate im Leben eines Menschen die teuersten.

Es darf in meinen Augen nur um Lebensqualität gehen.

Tagesspiegel-Nutzer x-Nemesis-x

Es darf in meinen Augen nur um Lebensqualität gehen, nicht, dem unausweichlichen Tod noch einige Wochen oder Monate „abzutrotzen“. Zu diesem komplexen Thema gehört für mich persönlich auch, selbst darüber entscheiden zu dürfen, ob und wann für mich das Leben nicht mehr lebenswert ist und ich dieses mein Leben würdevoll beenden möchte!


Lillybiene
Da unsere Gesellschaft, die Gerichte Sterbehilfe nicht zulassen, wird sich leider daran so schnell nichts ändern. Meine Schwester ist vor 14 Jahren an ALS erkrankt. Vor 14 Jahren stand sie bereits wegen psychischer Probleme unter amtlicher Betreuung. Im Verlaufe ihrer Krankheit hat sie sich leider, weil schlecht beraten, eine Trachealkanüle zur Beatmung legen lassen.

Eine Patientenverfügung hat sie leider auch nicht. Mittlerweile liegt sie seit 12 Jahren vollständig gelähmt und sprachlos, künstlich ernährt, in der Beatmungspflege. Ihre Betreuerin lehnt es ab, ihr das Sterben zu ermöglichen, was bei dieser Krankheit straffrei möglich wäre. Trachealkanüle entfernen, Medikamente gegen Angst und Schmerzen geben, der Körper übernimmt das Sterben dann allein.

In aussichtslosen Fällen, bei denen der Patient keine Lebensqualität mehr hat, sollte man über Sterbehilfe nachdenken dürfen.

Tagesspiegel-Nutzerin Lillybiene

Auch beim Betreuungsgericht bin ich mit dem Wunsch, ihr das Sterben zu ermöglichen, abgeblitzt. Also wird es ihr Schicksal sein, noch weitere, wie viele Jahre, weiß niemand, ihren Zustand zu ertragen. Die Pflegestation freut sich Monat für Monat über einen sehr hohen Betrag von der Krankenkasse für eine Patientin, die zwar sauber gehalten wird, jedoch ansonsten „pflegeleicht“ ist.

In solchen aussichtslosen Fällen, bei denen der Patient keine Lebensqualität mehr hat, sollte man über Sterbehilfe nachdenken dürfen. Wissen Sie, Krebs ist auch eine schlimme Krankheit, jedoch kann man Hoffnung haben. Es gibt Operationen, Medikamente und Lebenszeit. Bei ALS gibt es das alles nicht.


Während Superreiche an der Unsterblichkeit forschen, sollen Normalbürger langsam den Löffel abgeben.

Tagesspiegel-Nutzer MichaelAusBerlin

MichaelAusBerlin
Interessant: während die Superreichen an der Unsterblichkeit forschen, deren Ergebnisse bestimmt nicht jedem zugute kommen werden, wird schonmal darüber nachgedacht, dass die alten Normalbürger doch mal langsam den Löffel abgeben sollen, weil es sich nicht mehr rechnet.


OuyangXiu
Herr Streek hat recht. Meine Mutter bekam in ihren letzten Lebensmonaten einer unheilbaren Krebserkrankung noch ein Medikament, das 18.000 Euro im Monat kostete, und das das Leben allenfalls um kurze Zeit verlängert hat.

Die Zeit im Pflegeheim hätte ich ihr gern erspart.

Tagesspiegel-Nutzer OuyangXiu

Aber als es nicht mehr ging, musste sie zur Kurzzeitpflege in ein übles Pflegeheim, ehe ein Hospizplatz frei wurde. Die Zeit im Pflegeheim hätte ich ihr gern erspart, früher ins Hospiz mit seiner tollen Schmerztherapie wäre besser gewesen. Da ist das Geld der Allgemeinheit besser angelegt.



KlausBrause
Die Grenze des Sagbaren muss halt immer weiter hinausgeschoben werden. Nicht mehr lange und es werden Stimmen kommen, die fordern, dass ärztliche Versorgung nur noch für aktive Beschäftigte kostenfrei möglich sein soll.

Eine Schachtel Aspirin im Jahr. Mehr jibbet nich.

Tagesspiegel-Nutzer KlausBrause

Die deutsche Wirtschaft kann es sich auf Dauer nicht leisten, dass sich unproduktive Nichtstuer aus den sog. Lohnnebenkosten einen schönen Lenz machen. Nichts da – eine Schachtel Aspirin im Jahr. Mehr jibbet nich. Dann ist auch das Problem mit den nicht mehr finanzierbaren Renten relativ schnell erledigt.


Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })