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Gemeinsam engagiert: Ruqaya Al-Ibrahim, Itai Böing, Geschäftsführerin Susanne Weiß vom Projekt Shalom Rollberg des Vereins Morus 14.

© Annette Kögel

Interreligiöses Projekt in Berlin-Neukölln: Juden geben Nachhilfe für Muslime

Terror und Krieg in Nahost, doch in Berlin wird Miteinander vorgelebt. Die Tagesspiegel-Aktion „Menschen helfen!“ 2024/25 bittet um Spenden zugunsten eines Nachhilfeprojektes, bei dem alle voneinander lernen.

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Spaß, das wollen doch alle Menschen im Leben, egal welcher Herkunft. Auf Hebräisch heißt Spaß „Kef“ , auf Arabisch „Marrach“. Beide Wörter stehen auf einem Sprachkärtchen in den Räumen des Vereins „Morus 14“ im Rollbergkiez in Neukölln. Die Kriege und Krisen dieser Welt zwar auch hier präsent, aber Menschen unterschiedlicher Religionen leben ein Miteinander vor. Und das ist Berlinern wie Itai Böing und Ruqaya Al-Ibrahim zu verdanken.

Die 47-Jährige, aus Syrien stammende Neuköllnerin Al-Ibrahim findet es nicht ungewöhnlich, sich beim Projekt „Shalom Rollberg“ mit jüdischen Menschen zu treffen. „In Aleppo hatte ich jüdische Nachbarn, und vor dem Krieg haben Angehörige verschiedener Religionen untereinander geheiratet, egal ob zum Beispiel Christen, Alawiten, Muslime oder Kurden.“

Bei „Shalom Rollberg“ verhelfen seit zehn Jahren vorwiegend aus Israel stammende Berliner Jüdinnen und Juden muslimischen Schülern aus dem Rollbergkiez zu besseren Bildungschancen. So nähern sich Menschen sonst eher verfeindeter Religionen durch persönliche Kontakte freundschaftlich an. „Wir glauben an die Kraft der Begegnung“, sagt Morus 14-Geschäftsführerin Susanne Weiß. „Wenn man sich kennenlernt, entdeckt man mehr Verbindendes als Trennendes, für Toleranz und friedliches Zusammenleben.“

Hilfe beim Start ins Arbeitsleben

Die Tagesspiegel-Aktion bittet um Spenden für Raum- und Sachkosten. Ruqaya Al-Ibrahim schwärmt von dem Projekt. Sie hat sechs Kinder großgezogen, und da sie Wert auf Bildung, Schulabschluss und Berufstätigkeit lege, sei sie dankbar, dass jüdische Menschen wie Itai Böing ehrenamtlich Nachhilfe geben. „Später zu arbeiten, ist wichtig“, sagt sie. Eine Tochter und zwei Söhne konnten dank der Hilfe gut ins Arbeitsleben starten. Verein Morus 14 helfe auch bei bürokratischen Fragen.

Sie ist seit dem 17. Lebensjahr verheiratet, mit dem Mann, „den ich wollte“. Dieser war zunächst allein aus Aleppo nach Berlin geflüchtet. Aber als eines Tages einer ihrer Söhne mit völlig verändertem Gesicht nach Hause kam und ihr erzählte, dass neben ihm eine Bombe eingeschlagen sei, „war mir klar: Wir müssen hier weg.“ 2017 wurde der Familiennachzug gestattet.

In Berlin hat Al-Ibrahim eine Weiterbildung zur Erzieherinnenhelferin gemacht, sich dann um ein Praktikum in der Altenpflege bemüht. Nun fährt sie jeden Tag von Neukölln nach Wannsee und arbeite dort in einem Altersheim. „Der Fahrtweg ist zwar lang, aber dort lerne ich Deutsch, hier in Neukölln nicht“, sagt sie.

Wenn sie freihabe, fragten die Senioren nach ihr, das freue sie. Ihr Kopftuch? Sei für die alten Menschen kein Problem, ihre zugewandte Art, der Humor, das zähle. Ihr Mann lebe ebenfalls nicht von Leistungen wie Bürgergeld, er arbeite in einer Fleischerei, Wohnung und Lebensunterhalt zahlen sie vom eigenen Geld. Und Großeltern sind sie inzwischen auch.

Ruqaya Al-Ibrahim lebt Unabhängigkeit vor, und sie wirkt als Multiplikatorin im Kiez. In den vergangenen vier Jahren haben rund 110 Kinder und ihre Familien von Shalom Rollberg profitiert, durch das Mentorenprogramm und andere Angebote wie beispielsweise Sport- und Kunstangebote. Meist kommen Grundschüler und ältere Schüler zum Üben vorm Schulabschluss.

Der ehrenamtlich arbeitende Nachhilfelehrer Itai Böing ist 80 Jahre alt, aus Schöneberg. Früher hat er als Lehrer in Berlin, aber auch in Benin in Afrika, in Georgien und in den USA unterrichtet.

Die vergangenen zwei Jahre hat er ein arabischstämmiges Mädchen aus Neukölln bis zum Mittleren Schulabschluss begleitet. „Zur Nachhilfe trafen wir uns einmal die Woche bei Shalom Rollberg“, sagt er. Die Familie des Mädchens lud ihn mal zum Fastenbrechen im Ramadan ein, wo er mit seiner Kippa auf dem Kopf willkommen war.

Der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Militärmanöver Israels in Gaza waren auch im Kiez ein Thema, heißt es bei Morus 14. Die Nachhilfe bei Böing und seinem Schützling hat die Weltpolitik jedoch nicht beeinflusst, sie haben sie bewusst ausgeklammert. Dem Mentor und dem Mädchen waren das gemeinsame Lernen und Üben zugunsten der besseren Zukunftschancen für die Schülerin in Berlin die Hauptsache. Er hat schon einen neuen Schützling.

Tagesspiegel-Spenden sollen auch ein weiteres Projekt ermöglichen: Brieffreundschaften zwischen einer muslimisch geprägten und einer jüdischen Grundschule. Das diene Handschrift, Deutschkenntnissen und Kennenlernen.

Die junge Frau übrigens, der Böing half, macht jetzt eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Er hat ihr gern geholfen, „b’ Kef“, mit Spaß.

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