
© Myriam Lutz
Berlinerinnen häkeln Spitze für die Fashion-Elite: Sozialprojekt entwickelt sich zum Kult-Label
Beim Bildungsverein „Von Meisterhand“ kreieren Migrantinnen und geflüchtete Frauen mit traditioneller Häkel-Handarbeit Dessous, Schmuck und Accessoires.
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Die ganze Schönheit, Verrücktheit und Kreativität des Lebens spürt man, wenn man durch die Ladentür der Neuköllner Modemanufaktur „Rita in Palma“ tritt. Hier häkeln im dazugehörigen gemeinnützigen Kunsthandwerkverein „Von Meisterhand“ muslimische Frauen aus dem Libanon, Syrien, Pakistan, Bulgarien oder der Türkei schon mal Unterwäsche fürs KaDeWe: eine reizende Geschäftsidee.
Hier verzieren Migrantinnen mit Kopftuch mundgeblasene Christbaumkugeln und kreieren Colliers, die es in bayerische Trachtenmagazine wie das „Fesch“, in die „Vogue“, „Cosmopolitan“ und ins „Materialist“-Magazin schafften. „You make beautiful stuff, and you are making us proud, too“, lobt Ex-US-Präsidentengattin Michelle Obama in ihrem Brief an das Frauen-Empowerment-Team in der Kienitzer Straße 101.
Es ist mehr eine One-Woman-Show. Die Idee, High-Fashion-Designs mit integrativer Arbeit zu verbinden, hatte Diplom-Modedesignerin Ann-Kathrin Carstensen, 46, aus Prenzlauer Berg.
„Frauen mit Migrations- und Fluchtbiographie werden in vielen Förderprogrammen völlig außer Acht gelassen, obwohl sie der Schlüssel zur erfolgreichen Integration ganzer Familien sind!“, schrieb sie in ihrer Bewerbung für „Von Meisterhand - Verein für Integration, Bildung und Kunsthandwerk e.V.“ an die Tagesspiegel-Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ 2024/25.
Denn die Erwähnungen, das Lob der früheren Kanzlerin Angela Merkel oder von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sind das eine. Ausreichend Erlöse zum Weitermachen in Zeiten der Inflation für die zweifache Mutter und Alleinakteurin das andere. „Rita in Palma“ wünscht sich mehr Kundschaft und Kooperationen wie mit der „Sportalm“ und Röckl Handschuhe. Der gemeinnützige Verein hofft auf Leserspenden an den Tagesspiegel-Verein zugunsten von Yogakursen für die Frauen, zur Entspannung, für Körpererfahrung.
Tradition schafft Arbeitsplätze
Erstmal wird aber gearbeitet. In dem Modeatelier sitzen Frauen konzentriert und vergnügt über ihren werdenden stylischen Ohrringen, Kragen, Armbändern oder Handyketten. Angelsehne macht manches stabiler. Die oft mehrfachen Mütter oder Großmütter sind teils ungelernt und durften nur die Grundschule besuchen. „Aber viele verfügen über ein einzigartiges Talent: vom Aussterben bedrohte Handwerkstechniken“, schwärmt Carstensen.

© Myriam Lutz
So wie Resadiye Ilhan aus Anatolien, die andere zu Spitzenhäklerinnen schulte. „So wird Talent im Projekt zu einer Arbeitsstelle geformt.“ Einst dank Konfinanzierung des Jobcenters, aktuell dank Teilhabe am Arbeitsmarkt. Die Frauen verdienen mehr als Mindestlohn, auch Bundesfreiwilligendienst-Stellen gibt es.

© Myriam Lutz
So konnten seit 2012 rund 60 Frauen qualifiziert werden, davon 20 angestellt. Einige gründeten selbst Kleinstfirmen. Eine der Spitzenhäklerinnen erzählte, sie sei stolz, ihr Geld nicht mehr vom Jobcenter zu erhalten. Gerade wird mundgeblasener Weihnachtsbaumschmuck der Inge-Glas-Manufaktur verziert.

© Annette Kögel
Egal, woher sie kommen, sie sprechen miteinander Deutsch, wie Sevdije Fetahaij aus dem Kosovo. Deutschkurse, Exkursionen zu KPM oder in den Berliner Dom: Auch das ist Integration.

© Jörg Krauthöfer
Die Verbindung von gemeinnützigem Verein und Sozialunternehmen, das ist in Berlin keine Seltenheit. Carstensen kauft dem Verein die Produkte ab, bietet sie über die Social-Couture-Marke an und reinvestiert die Einnahmen gemeinnützig im Verein. Dort bietet Mitarbeiterin Lotta Koglin etwa in der offenen Sprechstunde mittwochs und donnerstags von 9 bis 14 Uhr Bürokratieberatung.
Netzstickereien und Netzwerken, Ann-Kathrin Carstensen kann beides. Sie zeigt Fotos von Schauspielerin Maria Schrader mit ihren Accessoires oder von Meret Becker im „Rita in Palma“-Look.
Vorm Missbrauch-Skandal ließ sich die Gruppe Rammstein edle Mützen machen. Carstensens „Häkelkönnigen“ zogen symbolisch sogar ins Humboldt-Schloss, im Shop bekommt man Filigranes. Bunte Bälle-Häkelkunst zeigt das Bonner Museum.
Wir würden gern unser Kunsthandwerk in leerstehenden Immobilien in einem Pop-Up-Store präsentieren.
Ann-Kathrin Carstensen, Social-Couture-Schöpferin
Viel Ruhm, viel Ehr, aber die Erlöse müssen stimmen. „Ich wünsche mir, in leerstehenden Immobilien Pop-Up-Manufakturen mit Verkaufsstand für exklusive Handarbeiten einrichten zu können, damit unsere Arbeit sichtbarer wird“, sagt Carstensen.
Der Tagesspiegel sammelt Spenden für das Projekt
In der Kienitzer Straße 101 ist von 9 bis 15.30 Uhr geöffnet, Sonnabend vor Weihnachten von 13 bis 18 Uhr (Termine nach Anmeldung unter Tel. 030 85748930, E-Mail: info@von-meisterhand.com).

© Jonas Reichert
Auch Kunden aus Zehlendorf bestaunen Resadiye Ilhan aus Anatolien mit ihrer Mekik-Schiffchenfadentechnik. „Ich habe das von meiner Oma gelernt. Früher war Handarbeit Hobby, jetzt kann ich damit Geld verdienen, ich möchte nicht zum Jobcenter oder Sozialamt gehen.“ Ihre Söhne in Berlin studieren, haben eine gute Ausbildung genossen.
Die Frauen tragen als Multplikatorinnen Selbstwirksamkeit in ihre Communities. Ann-Kathrin Carstensen wiederum widmete ihrer Großmutter Rita, die ein hartes Leben hatte, den Labelnamen, um ihr symbolisch ein schöneres Leben zu schenken.
Empowerment, das funktioniert beidseitig. Carstensen freut sich, dass die Reizwäsche-Kollektion fürs KaDeWe 2015 alle im internen Kreise vergnügte. Auf Bestellung gibt es sie weiter. Nicht zuletzt boomt das Dessous-Geschäft in Saudi-Arabien. Und die Liebe zu Kindern ist unabhängig davon, ob man in Berlin sozialisiert oder als Teenager an den Ehemann verkuppelt wurde:
Die Tochter der Projektchefin, die nicht über eine konventionelle Ehe das Licht der Welt erblickte, wird von allen im Projekt herzlich mit großgezogen.
- Angela Merkel
- Frank-Walter Steinmeier
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- Kunst in Berlin
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- Rammstein
- Spendenaktion „Menschen helfen!“
- Syrien
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