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Der Bundesnachrichtendienst will weiterhin ausländische Journalisten ausspähen - hier ein Hacker im Dienst der Behörde.

© Kay Nietfeld/dpa

Abstimmung über neues BND-Gesetz im Innenausschuss: Auch der neue Entwurf schützt ausländische Journalisten nicht besser

Verkehrsdaten bleiben ungeschützt, schwammige Ausnahmeregeln höhlen den Quellenschutz aus. Karlsruhes Kritik wird nicht ernst genommen. Ein Gastbeitrag

Christian Mihr ist Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Die Organisation hatte zusammen mit anderen Partnern erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das aktuelle BND-Gesetz geklagt. Über die neue Version wird am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestages abgestimmt.

„Ich bin glücklich, dass dieses deutsche Gesetz, das gegen Journalistinnen und Whistleblower missbraucht werden konnte, nun gekippt wurde und dass ich Teil dieses Verfahrens sein und Demokratie erfahren konnte.“ Freudig schrieb mir die Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa aus Aserbaidschan diese Zeilen als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 2020.

Gemeinsamen mit weiteren Partnerinnen und Partnern hatten wir Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst eingelegt. In seinem Urteil erklärte das Karlsruher Gericht das 2016 verabschiedete Gesetz für verfassungswidrig und verpflichtete den BND, die vertrauliche Kommunikation von ausländischen Journalistinnen und Journalisten umfassend zu schützen.

Ende Januar hat die Bundesregierung nun ein neues BND-Gesetz in den Bundestag eingebracht, mit dem sie den Karlsruher Richterspruch umsetzen möchte. Kanzleramtsminister Helge Braun behauptete in seiner Rede bei der ersten Lesung, dass die Reform „Vertraulichkeitsbeziehungen von Journalisten besser schützt“. Leider ist das Gegenteil der Fall.

Viel Spielraum, um den Quellenschutz auszuhöhlen

Denn im Kern ändert der Gesetzentwurf nichts. Er enthält zwar einen Paragrafen, der die Rechte von Journalistinnen und Journalisten schützen soll. Aber Khadija Ismajilowa und all jene Menschen, die ihr per E-Mail oder telefonisch Informationen über Korruption in der aserbaidschanischen Diktatur anvertrauen, müssen leider auch künftig damit rechnen, vom BND überwacht zu werden.

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Viele Erkenntnisse kann der BND auch gemäß dem neuen Gesetz weiter mit den Geheimdiensten der brutalen Diktatur in Aserbaidschan und mit anderen Partnerdiensten teilen. Schwammige Ausnahmeregeln in dem Schutzparagrafen und dessen inkonsequente Anwendung auf verschieden Teilaspekte der Überwachung verschaffen dem BND weiterhin reichlich Spielräume, um den digitalen Quellenschutz auszuhöhlen.

Deutschland und Aserbaidschan verbindet viel: Aserbaidschan exportiert erhebliche Mengen Erdöl nach Deutschland und kauft viel deutsche Technik. Umso wahrscheinlicher ist es, dass Deutschland Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen Vorrang vor dem Schutz von Menschenrechten einräumt. Um dafür Sorge zu tragen, hat Aserbaidschans Regierung sogar aktive und ehemalige deutsche Politikerinnen und Politiker für ihre korrupten Deals rekrutiert, darunter die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz.

Ausländische Journalistinnen stehen ausdrücklich unter dem Schutz von Artikel 5 des Grundgesetzes

In seinem Urteil stellte das Bundesverfassungsgericht ausländische Journalistinnen und Journalisten wie Khadija Ismajilowa ausdrücklich unter den Schutz von Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit garantiert. Trotzdem will es die Bundesregierung auch künftig einzig und allein dem BND überlassen zu entscheiden, wen er als schützenswerte Journalistinnen und Journalisten ansieht.

Khadija Ismajilowa hat in Aserbaidschan seit ihrer Entlassung aus dem Gefängnis, wo sie wegen ihrer Arbeit fast eineinhalb Jahre verbrachte, de facto ein Berufsverbot. Sie lässt sich davon aber nicht stoppen und deckt weiter Korruption und Verbrechen im Regime von Diktator Ilham Alijew auf.

Vieles davon berührt auch deutsche wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen, zu deren Sicherung der BND beitragen soll. In der Vergangenheit hat der Geheimdienst immer wieder gezeigt, dass er zu diesem Zweck auch bereit ist, Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen auszuforschen.

Hochproblematisch an dem neuen Gesetz ist vor allem, dass es sogenannte Verkehrsdaten weiterhin völlig ungeschützt lässt. Diese Daten geben Auskunft darüber, wann jemand mit wem wie lange telefoniert oder E-Mails ausgetauscht hat. Dank des NSA-Whistleblowers Edward Snowden wissen wir, wie sehr sich Geheimdienste für diese Verbindungsdaten interessieren, aus denen sich sehr genaue Profile erstellen lassen.

Zwei Forscher der Universität Stanford haben bereits vor einigen Jahren in einer Studie gezeigt, welch umfangreiche Erkenntnisse aus solchen Metadaten zu gewinnen sind: Außereheliche Affären, Drogenkäufe, Waffenhandel – all diese verfänglichen Details über das Leben ihrer Probandinnen und Probanden konnten die Wissenschaftler aus deren Telefonverbindungen, ergänzt um simple Internetsuchen, herausfinden.

Geheimdienste müssen Telefonate also gar nicht unbedingt mithören oder E-Mails selbst lesen; die Verkehrsdaten reichen für viele Erkenntnisse aus. Zunehmende Automatisierung wird ihnen das Durchsuchen gigantischer Datenmengen in den kommenden Jahren zusätzlich erleichtern.

 Christian Mihr (l), Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, und Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte vor dem Bundesverfassungsgericht.
Christian Mihr (l), Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, und Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte vor dem Bundesverfassungsgericht.

© Uli Deck/dpa

Dass es alles andere als trivial ist, wenn Geheimdienste auf solche Daten zugreifen können, zeigt wiederum der Fall Khadija Ismajilowa. Vor einigen Jahren sollte sie, mutmaßlich durch einen aserbaidschanischen Geheimdienst, mit intimen Fotos und einem im Internet veröffentlichten Sex-Video erpresst werden, ihre Arbeit als Journalistin einzustellem. Das zeigt: Das aserbaidschanische Regime schreckt vor nichts zurück. Es hätte wahrscheinlich auch keine Skrupel, gegen unliebsame Journalistinnen und Journalisten kompromittierende Erkenntnisse zu verwenden, die aus Verkehrsdaten im Rahmen einer regulären BND-Kooperation stammen.

Am Mittwoch stimmt der Innenausschuss im Bundestag über den neuen Gesetzentwurf ab

Bald soll das neue Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden. Am aktuellen BND-Gesetz, das vom Bundesverfassungsgericht im vergangenen Mai für verfassungswidrig erklärt wurde, hatte das Parlament vor der Verabschiedung 2016 nicht einmal ein Komma gegenüber dem Regierungsentwurf geändert. Und das, obwohl Reporter ohne Grenzen, mehrere UN-Sonderberichterstatter und die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit davor gewarnt hatten, das Gesetz werde die Pressefreiheit verletzen. Diese Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nahmen die Abgeordneten billigend in Kauf.

Jetzt haben sie die Chance, endlich eine aktivere Rolle im Gesetzgebungsprozess einzunehmen. Es ist eine wichtige Gelegenheit, Journalistinnen und Journalisten im Geiste des Karlsruher Richterspruchs angemessen zu schützen und damit auch zu einem internationalen Umdenken über die Grenzen der Arbeit von Geheimdiensten beizutragen.

Lässt der Bundestag diese Chance verstreichen und verabschiedet erneut ein verfassungswidriges Gesetz, wird Reporter ohne Grenzen gemeinsam mit Betroffenen und Partnern wie Khadija Ismajilowa ganz sicher wieder vor Gericht ziehen.

Christian Mihr

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