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Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kritisiert die Europapolitik der großen Koalition

© picture alliance/dpa/Sophia Kembowski

Exklusiv

Grüne fordern sozialeres Europa: Abwehrkräfte gegen Krisen und Populismus

Die Grünen wollen im Europawahlkampf mit sozialpolitischen Versprechen punkten. Die Haltung der Union sei „kurzsichtiger und kalter Eigensinn“.

Mindestlöhne überall in Europa, gleiche Bezahlung von Frauen und Männer, eine gemeinsame Strategie zur Armutsbekämpfung, eine europäische Sozialversicherungsnummer, um illegale Beschäftigung zu bekämpfen – so stellen sich die Grünen ein sozialeres Europa vor. Einen entsprechenden Antrag bringt die Bundestagsfraktion Anfang April in den Bundestag ein, gut zwei Monate vor der Europawahl. „Die Finanzkrise und ihre Folgen zeigen, dass Europa auch immer die soziale Gerechtigkeit im Blick haben muss“, heißt es in dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt. „Europa muss sozialer werden, um gegen Krisen und Populismus gewappnet zu sein“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.

Deutliche Kritik übte der Grünen-Politiker am Europakurs der großen Koalition. „Bei kaum einer deutschen Bundesregierung sind die Versprechen und das, was in der Europapolitik geliefert wird, je soweit auseinandergeklafft“, sagte Hofreiter. Vor allem die Union habe sich inzwischen meilenweit vom gemeinsam mit der SPD beschlossenen Koalitionsvertrag entfernt, der eigentlich eine Einigung und Stärkung Europas verspreche. Unzufrieden zeigte der Fraktionschef sich vor allem mit den Reaktionen aus der Union auf die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. „Das ist kaum noch mehr als kurzsichtiger und kalter Eigensinn“, sagte er. Das Europa der Vaterländer, auf das die Union zusteuere, sei de facto „ein Einknicken vor den Populisten und Europaskeptikern“ und pflanze Zweifel und Missgunst in das historische Friedensprojekt Europa.

In jedem Land ein Mindestlohn

Konkret fordert die Bundestagsfraktion die Einführung einer EU-Rahmenrichtlinie für Mindestlöhne. „Ziel sollte es sein, in jedem Land einen Mindestlohn anzustreben, der vor Armut schützt“, heißt es in dem Antrag. Derzeit gibt es nach einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018 in 22 von 28 EU-Mitgliedstaaten eine gesetzliche Lohnuntergrenze. Die Spanne reicht von einem Stundenlohn von 1,42 Euro in Bulgarien bis zu 11,27 Euro in Luxemburg. Von einer Rahmenrichtlinie erhoffen sich die Grünen einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse. Die Mitgliedstaaten seien angehalten, auch höhere Mindestlöhne festzulegen und bisherige Mindestlöhne nicht zu senken.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Dass Frauen und Männern für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten – das wollen die Grünen ebenfalls mit Hilfe einer Richtlinie garantieren. In dieser sollen Kriterien für gleichwertige Arbeit entwickelt werden, außerdem soll es ein Verbandsklagerecht geben, damit Betroffene sich bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche von Verbänden und Gewerkschaften unterstützen lassen können.

Soziale Rechte sollen nach dem Willen der Grünen als Grundrechte vor dem Europäischen Gerichtshof einklagbar werden. „So könnten zum Beispiel Arbeitslose sich dagegen zur Wehr setzen, wenn ihnen das Recht auf Vermittlung in Arbeit verweigert wird“, heißt es. Auch Arbeitnehmer, die keinen angemessenen Urlaub oder Ruhepausen bekämen, erhielten dann Beistand von der EU. Für Krisenzeiten, in denen die Arbeitslosenversicherungssysteme einzelner Mitgliedstaaten überfordert sind, fordert die Grünen-Bundestagsfraktion eine europäische Rückversicherung. Diese könne dazu beitragen, dass Krisen nicht künstlich verlängert würden. Mittelfristig müssten sich die Mitgliedsstaaten in der EU in der Sozialpolitik enger abstimmen, zum Beispiel in Richtung einer Arbeitslosenbasisversicherung, forderte Wolfgang Strengmann-Kuhn, arbeitsmarktpolitische Sprecher der Fraktion. "Europa ist mehr als nur ein gemeinsamer Binnenmarkt", sagte er. Gerade jetzt sei es besonders wichtig, den sozialen Zusammenhalt in der EU zu stärken und sie zum Garant sozialer Sicherheit zu machen.

Bei der Europawahl Ende Mai hoffen die Grünen auf ein klar zweistelliges Ergebnis. Bei der letzten Wahl im Jahr 2014 erhielten sie 10,7 Prozent und zogen mit elf Abgeordneten ins Europaparlament ein. Angesichts der aktuellen Umfragewerte kann die Partei dieses Mal auf deutlichen Zuwachs hoffen. Spitzenkandidaten sind die beiden Europaabgeordneten Ska Keller und Sven Giegold. 

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