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Die Kühe sind vor der Eröffnung des Gallimarktes in einem Gehege zu sehen.

© Foto: dpa/Lars Klemmer

Agrarbetriebe in Existenznot: Für Landwirte kann die Entscheidungen zur Gaspreisbremse nicht schnell genug kommen

Die hohen Energiekosten belasten die Land- und Ernährungswirtschaft schon seit Monaten. Ohne Entlastungen durch die Politik drohen weitere Preissteigerungen bei Lebensmitteln.

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In der Agrargenossenschaft im südbrandenburgischen Beyern sind die Flüssiggas-Tanks mit einem Gesamtvolumen von 12.000 Litern sind schon seit Monaten gut gefüllt. Das ist ein Glück für Marko Eisermann. Der Geschäftsführer der Genossenschaft will sich gar nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn er jetzt Gas zu den hohen Preisen nachkaufen müsste. Aber dennoch überlegt sich Eisermann, ob die Preise für Getreide, Milch und Fleisch, die aus seinem Betrieb kommen, zur Jahreswende drastisch verteuert werden müssen, um die hohen Energiekosten zu decken.

Seit dem Ukraine-Krieg hat sich die Notsituation für viele landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland noch einmal verschärft. Am Beispiel von Eisermanns Genossenschaft in Beyern lässt sich das so beziffern: Vor dem Krieg lag der Preis für Flüssiggas Ende 2021 bei 30 Cent pro Liter. Gegenwärtig sind es um die 90 Cent. Zudem kommen auf den Betrieb zur Jahreswende weitaus höhere Stromkosten zu, wenn die bestehenden Verträge auslaufen. „Spätestens zu Jahresbeginn müssten die Preise für unsere Produkte um das Drei- oder Vierfache steigen, um die Energiekosten zu tragen. Was das für die Verbraucher bedeutet, dürfte klar sein“, sagt Eisermann.

An diesem Montag wird der Abschlussbericht der Gaskommission präsentiert

Um Betriebe wie den von Marko Eisermann geht es, wenn die Gaspreiskommission an diesem Montag ihren Abschlussbericht an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) übergibt. Die Kommission will die Bedingungen vorstellen, die an die Gewährung von Staatshilfen für sämtliche Branchen – also auch über die Landwirtschaft hinaus – geknüpft werden sollen.

25
Grad. Eine solche Temperatur wird bei der Ferkelzucht benötigt.

Außerdem will die Kommission weitere Vorschläge machen, wie sich in der gegenwärtigen Lage Gas einsparen lässt.  Doch das lässt sich in einem Betrieb wie der Genossenschaft in Beyern mit einer Sauenanlage mit 630 Tieren sowie 400 Rindern aber nicht so ohne weiteres machen. Denn Ferkel brauchen beispielsweise ständig eine Temperatur von 25 Grad – und die lässt sich nicht einfach absenken.

Die Agrarwirtschaft gehört zu den Branchen, die ganz besonders auf rasche Entscheidungen der Politik bei der Ausgestaltung der Gaspreisbremse warten. Das liegt vor allem an den hohen Düngerpreisen, die für die meisten Bauern das größte Problem darstellen. Schon vor dem Krieg in der Ukraine befanden sich die Preise auf einem Rekordniveau, aber seit Ende Februar sind sie explodiert.  Hohe Düngerpreise, Personalmangel, der trockene Sommer und fehlendes Tierfutter - „die Summe dieser Probleme macht es extrem schwierig“, sagt Landwirt Eisermann.

Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) ist daher überzeugt, dass sämtliche Hilfsmaßnahmen von Seiten des Bundes „der Land- und Ernährungswirtschaft in gleichem Maße wie auch anderen Branchen zur Verfügung stehen müssen“. Die stark gestiegen Energiekosten machten der Land- und der Ernährungswirtschaft - wie auch anderen Branchen - seit Monaten zu schaffen, sagte der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz dem Tagesspiegel weiter. Betroffen seien die Unternehmen direkt - etwa durch die hohen Kosten für Kraftstoff, Gas, Strom und Öl. „Indirekt sind für viele beispielsweise die gestiegenen Preise für Düngemittel längst zur unüberwindbaren Belastung geworden“, so Schulze.

Unter den Milchprodukten werden vor allem Bio- und Markenangebote wegen der Inflation weniger nachgefragt.

© Foto: dpa/Oliver Berg

Während einzelne landwirtschaftliche Branchen wie etwa Schweinemäster von erheblichen Absatzeinbußen betroffen sind, ist die Milchwirtschaft in Deutschland bislang vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Allerdings trifft die Inflation hier vor allem Marken- und Bioprodukte, auch die Ausfuhren sind angesichts der Konkurrenz auf dem Weltmarkt zurückgegangen. „Wir sind in vielen Bereichen nicht mehr exportfähig“, schildert Eckhard Heuser, der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes, die Lage.

Da bislang weiterhin unklar ist, wie die geplante Gaspreisbremse im Detail ausgestaltet wird, herrscht auch in vielen Molkereibetrieben Unsicherheit. Rund 95 Prozent der Molkereien sind Industriebetriebe. Sie könnten also von einem Beschaffungspreis von sieben Cent pro Kilowattstunde für ein Kontingent von 70 Prozent des Jahres 2021 profitieren, wie ihn die Gaspreiskommission vorgeschlagen hat. „Das würde uns Sicherheit geben“, sagt Heuser. So lange aber die endgültigen Entlastungsvorschläge noch nicht vorlägen, halte man sich in vielen Milchbetrieben mit Investitionen zurück. „Lohnt es sich, eine neue Molkevergärungsanlage zu installieren? Derartige Fragen lassen sich in vielen Betrieben nicht beantworten“, sagt der Verbandschef.

Öko-Bauern mit kleineren Betrieben haben es schwer, die gestiegenen Kosten an die Verbraucher weiterzugeben.

© Foto: dpa

Die geplante Entlastungen von den hohen Gas- und Stromkosten müssten in der Agrarwirtschaft in der Breite wirken, heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. „Das ist insbesondere für kleine handwerkliche und mittelständische Betriebe wichtig, die im Wettbewerb ihre gestiegenen Nebenkosten nicht einfach weitergeben können“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Jörg Migende, der Agrarexperte des BayWa-Konzerns, zählt eine ganze Reihe von Bereichen auf, in denen die Landwirtschaft wegen der hohen Gaspreise in die Schieflage zu geraten droht  - angefangen von den Molkereien über die Landtechnik mit den Lackierereien bis zur Trocknung, welche die Haltbarmachung von Getreide und Mais sicherstellt. „Am stärksten schlagen die hohen Gastarife aber auf die Düngerpreise durch, die an die Landwirte weitergegeben werden“, lautet auch die Einschätzung von Migende.

Dass sein eigener Konzern bislang gut durch die Krise gekommen ist, hängt nicht zuletzt mit den Erträgen dank hoher Getreidepreise, aber auch mit der Unternehmenssparte der erneuerbaren Energien zusammen. Migende kann dabei die Klagen zahlreicher Landwirte gut nachvollziehen, die ihre Betriebe auf die Produktion von Biogas umgestellt haben und deren Zufallsgewinne nun nach den Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums zur Minderung der Stromrechnungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern abgeschöpft werden sollen.

Allerdings müsse nach den Worten des BayWa-Agrarexperten auch der unternehmerische Mut der Biogas-Landwirte gewürdigt werden: „Die Betreiber von Biogas-Anlagen sind ein wirtschaftliches Risiko eingegangen, das sollte man im Nachhinein nicht bestrafen.“

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