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Ein Tag mit tief greifenden Folgen für das Sicherheitsgefühl - nicht nur in Amerika. Ein Gremium berät fast 12 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September darüber, welche Anti-Terror-Gesetze noch nötig sind.

© dpa

Was von 9/11 übrig blieb: Anti-Terror-Gesetze auf dem Prüfstand

Mehr neue Gesetze im Kampf gegen den Terror oder eher weniger? Nach fast zwölf Jahren wird nun in einem Gremium geprüft, welche Anti-Terror-Gesetze in Deutschland noch nötig sind. Innenminister Friedrich will eher mehr, die Justizministerin weniger.

Der Regierungskommission zur Überprüfung der deutschen Anti-Terror-Gesetze stehen schwierige Debatten bevor. Kurz vor der konstituierenden Sitzung des Gremiums am Montag in Berlin sprach sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dafür aus, den deutschen Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse zu gewähren. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will dagegen Überschneidungen und Mehrfachzuständigkeiten abbauen. Die beiden Ressortchefs leiten die Kommission gemeinsam. Die Runde sollte am Montagnachmittag ihre Arbeit aufnehmen. Das Gremium soll untersuchen, wie sich die Gesetzgebung zur Terrorbekämpfung und die Arbeit der Sicherheitsbehörden seit den Anschlägen vom 11. September 2001 entwickelt haben - und daraus Schlussfolgerungen ziehen.

Friedrich erklärte vor dem Start der Arbeit, dass er neue Gesetze für notwendig hält. Die Bedrohungslage - etwa durch die Entwicklung in Mali oder die Aktivitäten von radikalislamischen Salafisten in Deutschland - habe sich so verändert, dass „eher mehr Gesetze“ nötig seien, sagte der Minister im Deutschlandfunk. „Die Sicherheitslage ist angespannt“, betonte er.

Bereits im August 2011 hatte das Kabinett die Einsetzung der Kommission beschlossen. Doch seitdem ist nichts passiert. Vielleicht auch, weil der Auftrag zu monströs erscheint: Alle deutschen Sicherheitsgesetze sollen auf den Prüfstand. Vor allem externe Experten sollen sich Praxistauglichkeit und Verhältnismäßigkeit jener Gesetzespakete ansehen, die im Zuge der Terroranschläge vom 11. September 2001 unter Federführung des damaligen Innenministers Otto Schily von Rot-Grün mit Unterstützung der CDU eilig geschnürt worden waren. Dass seit August 2011 praktisch Stillstand ist, liegt vor allem daran, dass kurz nach dem Kabinettsbeschluss die Verbrechensserie des rechten Terrornetzwerks „NSU“ aufgeflogen war. Das hat die gesamte deutsche Sicherheitsarchitektur infrage gestellt. Auch in Regierungskreisen heißt es, dass dies die Prioritäten verschoben habe.

Doch vor allem das Bundesjustizministerium und die FDP drängten auf den Start der Kommission. Hinter vorgehaltener Hand warfen die Liberalen dem Innenministerium Verschleppung vor. Und so hatten Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ein neues Konfliktfeld. Schon beim Thema Vorratsdatenspeicherung haben sich beide so sehr verhakt, dass nun Strafgelder aus Brüssel drohen.

Doch vielleicht kommt durch die Kommission auch in dieses Thema etwas Bewegung. Denn aus Regierungskreisen heißt es, das alles auf den Tisch komme: einerseits das, was vielleicht tatsächlich zu stark in die Bürgerrechte eingreife. Andererseits aber auch, was die Ermittlungsbehörden in ihrer Arbeit behindere. Dazu zählt die Vorratsdatenspeicherung.

Am Montag ist es nun so weit. Die Regierungskommission zur Überprüfung der deutschen Sicherheitsgesetze nimmt in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin-Pankow ihre Arbeit auf. Dem Gremium sitzen Friedrich und Leutheusser-Schnarrenberger vor. Und beide bemühen sich im Vorfeld um etwas mehr Geschlossenheit. Doch auch dies mit unterschiedlichen Akzenten. So heißt es von Friedrich: „Die Regierungskommission hat die Aufgabe, die einschlägige Gesetzgebung losgelöst vom politischen Tagesgeschäft zu beleuchten. Wir erhoffen uns aus der Arbeit Hinweise darauf, welche zusätzlichen gesetzlichen Grundlagen und Werkzeuge unsere Sicherheitsbehörden im Kampf gegen jede Form des Terrorismus noch benötigen – rechtsstaatlich bedenkenlos, effizient und systematisch stimmig.“ Leutheusser-Schnarrenberger spricht dagegen von einer „kritischen Gesamtschau der verschiedenen Behörden und ihres Zusammenwirkens sowie der Entwicklung ihrer Aufgaben und Befugnisse, insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Überschneidungen und Mehrfachzuständigkeiten“. Das Justizministerium würde die Kommission gern für eine Art Generalrevision nutzen, das Innenressort tritt auf die Bremse.

Der Kommission gehören auch externe Gutachter beider Seiten an. Friedrich benannte die ehemalige Generalbundesanwältin Monika Harms und Heinrich Amadeus Wolff von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Leutheusser-Schnarrenberger benannte wiederum den ehemaligen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Burkhard Hirsch, und Matthias Bäcker von der Universität Mannheim.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, um was es genau bei den Gesetzespaketen geht.

Viel Zeit haben die Minister und Experten jedoch nicht. Schon im Sommer sollen die Ergebnisse vorliegen. Und bei den Gesetzespaketen geht es um die Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Es geht um Telekommunikationsüberwachungen, es geht um die vielen Maßnahmen der Terrorismusbekämpfungsgesetze, der Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetze und um die Antiterrordatei. Die Kommission soll nun – auch auf Forderung von Angela Merkel (CDU) – Erkenntnisse aus den NSU-Ermittlungen mit in ihre Arbeit aufnehmen. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), hat Verständnis für die Überprüfung. „Es ist verständlich, dass man die umfassenden Sicherheitsgesetze, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer besonderen Situation, gemacht wurden, überprüft. Aber es gibt leider keinen Grund zur Entwarnung“, sagte Bosbach dem Tagesspiegel. Die Gefährdungslage in Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verändert. Man habe auch Glück gehabt, einige Anschläge seien zwar durch Fahndungserfolge vereitelt worden, andere seien aber nur wegen der Ungeschicklichkeit der Täter fehlgeschlagen. „Wenn Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine andere Bewertung vornimmt, würden mich die Gründe dafür sehr interessieren“, sagte Bosbach. Für ihn sei die Frage der Relevanz entscheidend: „Inwieweit ist von neuen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch gemacht worden und wie praxisrelevant ist eine Vorschrift für die Gefahrenabwehr.“ Insbesondere die Antiterrordatei habe gezeigt, wie wichtig solche Verbunddateien seien. Bosbach verweist darauf, dass nach dem Vorbild der Antiterrordatei vor kurzem auch eine ähnliche Datei zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gestartet ist.

Diese Datei wird allerdings nicht nur Gegenstand der Kommissionsarbeit sein, auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich damit. Im vergangenen November wurde über eine Klage gegen die Antiterrordatei mündlich verhandelt. Beklagt wird die Unbestimmtheit der Speicherkriterien in der Datei und auch die Richter ließen in der mündlichen Verhandlung ihre Bedenken in diesem Punkt durchblicken. Die Datei wurde 2007 eingeführt und soll für einen schnellen Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden sorgen. Im Zentrum steht die Abwehr islamistischer Terroranschläge. Erfasst werden in der Datei nicht nur Terrorverdächtige, sondern auch Kontaktpersonen. Allgemein wird die Datei aber als wichtiges Ermittlungsinstrument angesehen.

Dass aus den Vorschlägen dieser Kommission allerdings noch konkrete Gesetzesänderungen oder -anpassungen folgen, ist eher unwahrscheinlich. Zum einen wurde das Terrorismusbekämpfungsgesetz gerade erst bis 2015 verlängert. Zum anderen haben Union und FDP im Sommer einen anderen Fokus als parlamentarische Gesetzgebungsarbeit: Dann herrscht Wahlkampf.

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