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In Deckung. Kurz vor 21 Uhr Ortszeit fielen in Dallas die ersten Schüsse. Die Heckenschützen zielten auf Polizeibeamte.

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Update

Attentat in Dallas: Heckenschütze hortete Waffen und Bombenmaterial

Die Demonstration in Dallas richtete sich gegen gewalttätige Polizisten. Plötzlich fallen Schüsse und mindestens fünf Beamte sind tot. Welche Hintergründe hat die Tat und welche Folgen?

Eine Metropole im Ausnahmezustand: Die Innenstadt von Dallas, Texas, ist stundenlang „locked down“, wie die Polizei das nennt. Niemand darf herein, niemand heraus. Das ganze Zentrum ist eine „Crime scene“, Tatort eines Verbrechens. Viele Menschen müssen die Nacht zu Freitag in den Gebäuden in der Innenstadt verbringen, wo sie gerade waren, als die Schießerei am Donnerstag um 20 Uhr 58 Ortszeit begann.

Es war das Ende eines Protestzugs, bei dem etwa tausend Menschen friedlich demonstrieren wollten: gegen die Gewalt. In den Tagen zuvor hatten weiße Polizisten zwei Afroamerikaner in St. Paul, Minnesota, und in Baton Rouge, Louisiana, unter dubiosen Umständen erschossen. Doch dann fallen in Dallas Schüsse aus Gewehren – gegen Polizisten. Panik bricht aus. Menschen laufen schreiend in alle Richtungen, suchen Deckung. Es war ein Hinterhalt, stellt sich später heraus. Geschossen wurde aus dem Obergeschoss eines Parkhauses mit dem Ziel, Polizisten, die die Demonstration absichern, zu töten. „Diese Spaltung zwischen unserer Polizei und unseren Bürgern muss aufhören“, appelliert David Brown, der Polizeichef von Dallas und selbst ein Afroamerikaner, bei seiner Pressekonferenz.

Bei vielen Amerikanern wecken die Dynamik der Vorfälle traumatische Erinnerungen. Sie befürchten nun tagelange Rassenunruhen mit brennenden Straßenzügen, wie sie früher mehrfach auf solche Eruptionen der Gewalt folgten, zuletzt 2014 in Ferguson, Missouri. Dort hatte ein weißer Polizist den schwarzen Teenager Michael Brown erschossen. Beim Schauplatz Dallas denken viele zudem an die Ermordung des Präsidenten John F. Kennedy 1963, als er im offenen Wagen durch die Stadt fuhr. Auf der Dealey Plaza, nur wenige Schritte vom jetzigen Tatort, trafen ihn zwei Kugeln im Nacken. Auch damals hatte der Täter aus dem Hinterhalt mit einem Gewehr geschossen.

Der amtierende Präsident, der den Bürgern in nationalen Notstandslagen beistehen soll, ist nicht präsent. Barack Obama war gerade aus den USA abgereist – zum Nato-Gipfel in Warschau. Dort wird er gleich doppelt auf dem falschen Fuß erwischt. Direkt nach der Ankunft und rund drei Stunden, bevor in Dallas die ersten Schüsse fallen, hat er in einer Botschaft an die Nation die zwei Toten von St. Paul und Baton Rouge betrauert und die Benachteiligung afroamerikanischer Bürger beklagt. Doch nun sind Opfer auf der anderen Seite, unter den Polizisten, zu beklagen. Ein Racheakt für die toten Schwarzen? Ein Terroranschlag, um die Verunsicherung zu erhöhen?

Was ist in Dallas geschehen?

Wie stets in solchen unübersichtlichen Situationen machen zunächst viele widersprüchliche Nachrichten die Runde. Die ersten Schüsse fallen in der Abenddämmerung, wenig später ist es dunkel in Dallas. Die Ermittler sprachen anfangs von zwei Schützen mit Gewehren. Sie hätten ihre Standorte strategisch gewählt, um die Polizisten ins Kreuzfeuer zu nehmen. Mehrere Opfer wurden in den Rücken getroffen. Am Freitagabend korrigiert Polizeichef Brown: Es könnte ein Einzeltäter gewesen sein.

Bereits in der Nacht war ein Video aufgetaucht, auf dem sich ein Täter mit einer Pistole in der Hand hinter den Säulen einer Kolonnade verbirgt, sich in deren Schutz an einen Polizisten heranpirscht und aus nächster Nähe auf ihn schießt. Als der Polizist bereits am Boden liegt, beugt er sich über ihn und gibt vier weitere Schüssen auf ihn ab. „Es war wie eine Hinrichtung“, sagt Ismail Dejessus der örtlichen Zeitung „Dallas Morning News“. Er hat das Kurzvideo aufgenommen. Andere Augenzeugen, darunter der schwarze Pfarrer Dominique Alexander, der den Protestmarsch organisiert hatte, berichten von einem weißen Täter. Der 36-jährige Calvin Johnson schildert seine Begegnung mit diesem Täter so: „Jemand wird heute sterben – ein Polizist“, habe der zu ihm gesagt. Dann habe der Mann eine kugelsichere Weste angezogen und einen Polizisten von Dart, der Einheit für die Verkehrsbetriebe von Dallas, in den Rücken geschossen. Medien identifizierten diesen Polizisten als Brent Thompson, 43 Jahre alt, ein Weißer, der erst kürzlich geheiratet hatte. Über die Identität der anderen Opfer informieren Polizei und Medien zunächst nicht, auch nicht über deren Hauptfarbe.

Am Freitagnachmittag lautet die Bilanz: Vier Polizisten starben an Ort und Stelle, einer später. Sechs Menschen, mit zum Teil lebensgefährlichen Verletzungen liegen im Krankenhaus. Darunter ist eine Zivilistin mit leichten Verletzungen, Shetamia Taylor. Die 38-Jährige wurde von hinten in ein Bein geschossen.

Wer sind die Täter?

Den Hauptschützen und möglichen Einzeltäter benennt die Polizei am Freitagabend: Micah Xavier Johnson, 25 Jahre alt. Bilder im Internet zeigen einen Afroamerikaner in Tarnuniform. Mit ihm soll es ein längeres Feuergefecht gegeben haben. Er habe sich im Parkhaus des El Centro Community Colleges in der Innenstadt verschanzt, lehnte es ab, aufzugeben, und drohte, versteckte Bomben zu zünden. In Verhandlungen mit der Polizei habe er gesagt, er wolle möglichst viele weiße Polizisten umbringen, berichtet der Polizeichef. Nach mehrstündiger Belagerung sei er mit einer robotergesteuerten Sprengvorrichtung getötet worden. Die Polizei fand keinen Sprengstoff bei ihm und in der Umgebung. Die Innenstadt blieb für Stunden gesperrt, um nach den angeblichen Bomben zu suchen. Bei einer Durchsuchung in der Wohnung von Johnson fand die Polizei jede Menge Waffen und paramilitärisches Material, auch zum Bombenbau. Das teilte die Polizei am Freitagabend (Ortszeit) mit Bei ihm zuhause seien auch Schutzwesten, Munition, Gewehre und ein Handbuch für den bewaffneten Kampf gefunden worden. Außerdem seien afro-nationalistische Schriften aufgetaucht. Johnson habe keine kriminelle Vergangenheit. Das Pentagon teilte mit, dass er von November 2013 bis Juli 2014 in Afghanistan stationiert gewesen sein soll.

In der Nähe Johnsons nahm die Polizei eine Afroamerikanerin fest, die als weitere Verdächtige galt. Es blieb unklar, ob auch sie geschossen habe. Die anderen beiden Verdächtigen wurden laut Polizei bei Verkehrskontrollen festgenommen. Man untersuche, ob es weitere Täter gebe. Der Verkehr am nahen Busbahnhof wurde eingestellt. „Wir können keine Busse losfahren lassen, die möglicherweise zur Schießscheibe werden“, begründet die Greyhound-Linie dies über Lautsprecher. Zwei Metrostationen in der Nähe des Tatorts blieben den ganzen Freitag über geschlossen.

Was weiß man über das Motiv?

Polizeichef Brown machte nur Andeutungen zu den Motiven. Johnson, der Getötete im Parkhaus, habe gesagt, dass er zornig über die vielen Opfer von Polizeigewalt sei und insbesondere weiße Polizisten töten wolle. Auch die Protestbewegung „Black Lives Matter“ habe zu seinem Zorn beigetragen. Sie hatte sich nach der Häufung von Erschießungen schwarzer Jugendlicher durch Ordnungshüter hellerer Hautfarbe gebildet. Laut US-Medien kursierten „Verschwörungstheorien“ in der Protestbewegung: Ziel der Schüsse sei es, sie zu diskreditieren, weil der Verdacht automatisch auf „Black Lives Matter“ falle.

„Black Lives Matter“ gehört aber nicht zu den Mitorganisatoren des Protestmarschs in Dallas. Initiator war Dominique Alexander, ein Pfarrer. Er ist Vorsitzender von Next Generation Action Network. Die Organisation beschreibt sich selbst als „multikulturelles Bündnis für sozialen Wandel für alle, unabhängig von Rasse, Religion, Nationalität, Geschlecht und Alter“. Alexander betonte: „Wir rufen nicht zur Gewalt auf. Wir verurteilen jede Art von Gewalt.“ Er fügte hinzu. Er sei neben den Polizisten gelaufen, als die Schüsse fielen. „Sie hätten mich treffen können.“

Wie reagieren die Menschen in Dallas?

In den Berichten der lokalen Medien zeigt sich eine bewegende Vielfalt der Schicksale und der politischen Einstellungen der Bürger. Auffallend ist, dass kaum eine Stimme gegen die Polizei im Allgemeinen darunter ist. Lange bevor Polizeichef Brown und Präsident Obama die Nation zur gemeinsamen Trauer um die toten Polizisten aufriefen, die in Ausübung ihres Dienstes für die Gesellschaft gestorben seien, drückten Teilnehmer des Protestmarsches dieselben Gefühle aus, obwohl sie doch gegen die überbordende Polizeigewalt auf die Straßen gegangen waren. DeKanni Smith war entsetzt über die Entwicklung. „Ich war zur Demonstration gekommen, damit wir alle zusammenfinden“, sagte die Afroamerikanerin. „Ich bin drei Stunden mitgelaufen. Und wofür? Doch nicht, damit jetzt Polizisten tot sind, die uns begleitet haben, um unsere Demonstration zu schützen. Das widert mich an.“ Verzweifelt fährt sie fort: „Wer nimmt uns ernst, wenn wir uns wie Tiere verhalten?“

Shetamia Taylor, die verwundete Zivilistin, war mit ihren Söhnen, dem 17-jährigen Kavion und dem 15-jährigen Andrew gekommen, „damit sie lernen, wie man friedlich demonstriert“. Als die Schüsse fielen, sie ins Bein getroffen wurde und alle sich duckten, warf sie sich auf ihren jüngeren Sohn Andrew, um ihn mit ihrem Körper zu schützen. Der Junge sei hinterher „von ihrem Blut bedeckt“ gewesen, berichtet ihre Schwester.

Andere wurden Opfer falscher Verdächtigungen. Ein Afroamerikaner, der eine Waffe trug, wurde von lokalen Fernsehsendern über Stunden als einer der Verdächtigen dargestellt. Dann kam heraus: Er war in dem Protestzug mitgelaufen, um für sein Recht zu demonstrieren, eine Waffe zu tragen und sich selbst zu verteidigen. Er hat einen Waffenschein. Aus seiner Pistole war kein Schuss gefallen, ergab die Überprüfung.

Was war der Auslöser?

Der Protestmarsch in Dallas war nur einer von mehreren quer durch die USA. In den Tagen zuvor hatten zwei Todesfälle Amerika bewegt. Die grauenvollen Umstände, unter denen die beiden Afroamerikaner durch Schüsse aus Polizeiwaffen starben, hatten den Verdacht wiederbelebt, dass in vielen Polizeieinheiten Rassismus grassiere. Zu beiden Todesfällen gibt es Videos. Zehntausende haben sie in den sozialen Netzwerken angesehen. Das führte zu breiter Mobilisierung und Empörung über die Vorfälle.

Am Dienstag hatten Polizisten den 37-jährigen Alton Sterling in Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana, erschossen, während er bereits am Boden lag. Die Polizei war angerückt, nachdem ein Anrufer gemeldet hatte, er werde an dem Tatort von einem Mann, der CD’s verkaufe, mit einer Waffe bedroht. Es blieb unklar, ob Sterling dieser Mann war. Sterling bot vor einem Supermarkt CD’s an, mit dem Einverständnis des Ladeninhabers. Verwandte sagen, ihnen sei nicht bekannt, dass er eine Waffe besitze. Nach dem Polizeiregister war Sterling mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen illegalen Waffenbesitzes und Körperverletzung. Es ist unklar, ob die Polizisten das zur Tatzeit wussten.

Vor den Morden hatten etwa 1000 Menschen friedlich in Dallas demonstriert.
Vor den Morden hatten etwa 1000 Menschen friedlich in Dallas demonstriert.

© AFP

Das Handyvideo eines Passanten hält fest, wie die Polizisten Sterling kopfüber auf die Motorhaube stoßen, ihn zu Boden zwingen und ihn untersuchen. Dann ist zu hören: „Waffe. Er hat eine Waffe.“ Es ist nicht zu erkennen, wer das ruft. Es folgen laute Geräusche wie von Wortgefechten und Schüssen. Auf einem weiteren Video aus einer Überwachungskamera des Supermarkts ist zu sehen, dass einer der Polizisten einen Gegenstand aus Sterlings Hosentasche zieht. Das Misstrauen gegen die Polizei wuchs nochmals, als die Ermittler mitteilten, dass es keine brauchbaren Bilder aus den Bodykameras gibt, die Polizisten tragen müssen, um Beweismaterial für ihr Vorgehen zu sichern.

Noch erschütternder ist das Handyvideo der Erschießung von Philando Castle während einer Verkehrskontrolle in Anwesenheit seiner Lebensgefährtin und deren vierjähriger Tochter in einem Vorort von St. Paul, Minnesota, am Mittwochabend. Die Polizisten hatten ihn angehalten, weil ein Rücklicht defekt war. Ein Polizist trat ans Fenster auf der Fahrerseite, fragte nach den Papieren und ob der Fahrer eine Waffe bei sich habe – was Castle bejahte. Während er seine Papiere herausholte, zog der Polizist seine Waffe und schoss. Auf dem Handyvideo, dass die Lebensgefährtin Lavish Reynolds vom Beifahrersitz aufnahm, ist zu sehen, wie sich Blut über das helle T-Shirt des Fahrers ausbreitet und er stöhnt, nach Luft schnappt und zur Seite sinkt. „Oh, mein Gott, bitte sag nicht, dass mein Freund gerade von uns gegangen ist“, fleht Reynolds. Dann wendet sie sich an den Polizisten: „Sir, Sie haben gerade vier Kugeln auf ihn abgefeuert.“ Vom Rücksitz ist die Stimme der Tochter zu hören: „Alles ist gut, Mama. Ich bin bei Dir.“

Der Polizist am Wagenfenster wirkt wie unter Schock. Er ruft seinem Kollegen zu: „Ich habe ihm gesagt, er soll nichts herausholen. Ich habe ihm gesagt, er soll die Hände hochnehmen.“

Was ist die Vorgeschichte?

Seit Jahren empört das überharte und oft tödliche Vorgehen von Sicherheitskräften gegen angeblich verdächtige Schwarze Amerika. 2012 fand der Tod von Trayvon in Florida landesweite Resonanz. George Zimmerman, ein Hispanic und Nachbarschaftswächter, hatte den 17-jährigen Schwarzen erschossen, weil er ihn als „verdächtig“ sah, verfolgte und sich dann von ihm bedroht fühlte.

2014 führte die Erschießung des schwarzen Teenagers Michael Brown in Ferguson, Missouri, zu tagelangen Unruhen mit brennenden Straßen. In der Folgezeit erregten weitere Beispiele tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze die Öffentlichkeit: Tamir Rice in Cleveland, Freddie Gray in Baltimore, Walter Scott in Charleston. In Texas fand man Sandra Bland erhängt in ihrer Zelle.

In der öffentlichen Meinung zeigt sich allerdings eine Diskrepanz, je nach Hautfarbe der Bürger. Im Fall Ferguson sehen 80 Prozent der Afroamerikaner die Ursache in struktureller Diskriminierung; weniger als die Hälfte der Weißen teilt diese Auffassung. Zwei Drittel der Schwarzen meinen, die Polizei habe überreagiert; nur ein Drittel der Weißen sieht das ebenso. Die Polizeigewerkschaft erinnert immer wieder daran, wie viele Polizisten im Dienst ums Leben kommen. Die Toten von Dallas können eine bedrohliche Kettenreaktion auslösen: Wenn Polizisten nun noch mehr auf die Eigensicherung achten – auf Kosten der Rechte der Bürger, die sie eigentlich schützen sollen. (mit dpa)

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