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Das Bundesministerium der Finanzen in Mitte.

© imago/Schöning

Razzien bei der Regierung vor der Bundestagswahl: Auch der Staat darf sich dagegen wehren, durchsucht zu werden

Der forsche Auftritt der Ermittler im Justizministerium war falsch, entschied ein Gericht. Warum hat das Finanzministerium bisher nicht geklagt? Ein Kommentar.

Jost Müller-Neuhof
Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Stand:

Unangenehm, wenn plötzlich Polizei und Staatsanwaltschaft vor der Tür stehen. Was sollen die Nachbarn denken? Regierungsbehörden ticken hier nicht viel anders als andere Betroffene, nur dass Chefin oder Chef sich fragen müssen, was die Öffentlichkeit, namentlich die Wähler denken. Deshalb steht es auch Behörden frei, sich mit rechtsstaatlichen Mitteln zu wehren.

Das Bundesjustizministerium hat dies im Fall seiner umstrittenen Durchsuchung kurz vor der Bundestagswahl 2021 mit Erfolg getan. Veranlasst hatte die Maßnahme die Staatsanwaltschaft Osnabrück, die gegen unbekannte Mitarbeiter der Anti-Geldwäsche-Behörde FIU („Finance Intelligence Unit“) ermittelt. Im Ministerium fühlte man sich empfindlich getroffen. Das ehrenwerte Haus sieht sich als exekutiver Arm des Grundgesetzes. Da passt so ein Auftritt schlecht.

Das zuständige Landgericht hat den Durchsuchungsbeschluss kassiert. Die Maßnahme sei unnötig und unverhältnismäßig gewesen und habe die Mitarbeiter obendrein dem Verdacht ausgesetzt, sich nicht rechtstreu verhalten zu haben. Kardinalfehler: Die Ermittler hätten erstmal schriftlich herausverlangen müssen, was sie wissen wollten. Misstrauen sei unangebracht, denn es sei in bundesdeutschen Behörden grundsätzlich kein Verlust von Akten oder Schriftstücken infolge von Wahlen und dann möglichen personellen Veränderungen zu befürchten.

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Letzteres muss man wohl naiv nennen, doch insgesamt handelt es sich um eine saubere Abrechnung. Diesen Auftritt hätte sich die Staatsanwaltschaft besser erspart. Allerdings beherrschte im September ohnehin ein anderer Auftritt die Debatte, jener im Bundesfinanzministerium. Auch hier war die Staatsanwaltschaft angerollt und bedrängte damit den damaligen Minister und Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Scholz selbst war zwar weder beschuldigt noch verdächtigt, gleichwohl ließ seine SPD verbreiten, dass es sich hier um eine von CDU-Leuten gelenkte Verschwörung handele.

Ein Beschluss, der die Razzia bestätigt, wäre misslich für den Kanzler

Unterstellt, da wäre etwas dran, muss doch eins überraschen: Anders als das Justizministerium hatte das Finanzministerium auf die entsprechende Rechtsbeschwerde verzichtet. Warum? Darauf gab es damals, trotz Anfrage, keine Antwort. Aus Regierungskreisen heißt es jetzt, die Fälle seien komplett gleichgelagert. Nun ist nicht mal die Lektüre des Beschlusses nötig, um festzustellen, dass diese Aussage in die Irre führt. Das Finanzministerium hat die Rechtsaufsicht über die FIU und steht mit ihr in kontinuierlichem Austausch; ein anderer Sachverhalt, ein anderer Fall. Übertragbar ist nahezu nichts. Das Vorgehen der Ermittler könnte hier also berechtigt gewesen sein. Das Ministerium hat es bisher nicht genauer wissen wollen. Eine Entscheidung, die die „Razzia“ bestätigt, wäre für den Kanzler von heute so misslich wie der Auftritt der Ermittler damals für den Finanzminister. Möglich, dass man das vermeiden will.

Selbstverständlich sollen Ermittler umsichtig sein, gerade auch gegenüber Behörden und damit der Politik. Gleiches gilt aber auch für die Politik, wenn sie Ermittlern unterstellt, willkürlich oder politisch motiviert vorzugehen. Fühlen sich Behörden ungerecht behandelt, stehen ihnen Rechtsmittel zu, die sie wahrnehmen sollten. Eine gerichtliche Aufarbeitung der für viele als skandalös erscheinenden Durchsuchung im Bundesfinanzministerium wäre wünschenswert. Die, die sie damals hätten veranlassen können, wollten sie nicht.

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