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Trotzig in der Behrensstraße: Die Landesvertretung.

© DAVIDS/Sven Darmer

Die CSU und Deutschland: Bayern first

Die CSU betreibt ein politisches Geschäftsmodell, das weit älter ist als sie selbst. Überlebt es die Landtagswahl am kommenden Sonntag?

Wer auf der Suche ist nach Bayern in Berlin, muss in die Behrenstraße spazieren. Dort steht die bayerische Landesvertretung. Es ist ein Bau aus der Zeit des späten Wilhelminismus, erbaut 1912 für den A. Schaaffhausenschen Bankverein. Später gehörte das Anwesen der Deutschen Bank, die Reichs-Kredit- Gesellschaft hatte hier ihren Sitz. Zu Zeiten der DDR richtete sich deren Handelsbank in dem Gebäude ein, und zum Ende hin der VEB Dampferzeugerbau. Eine Branche, in der sich – ins Politische gewendet – die bayerischste aller Parteien, die CSU, gut auskennt. 1992 kaufte das Land das Haus und ließ es herrichten, mit Bierkeller im einstigen Tresorraum. 1998, noch vor dem Bonn-Berlin- Umzug, wurde die Landesvertretung eingeweiht. Bayern hat immer die Nase vorn.

Die Landesvertretung wirkt von außen so, wie Bayern sich gern sieht und wie die bayerische Politik bei der Zentralmacht seit jeher auftritt, ob Bund oder Reich: trutzig, selbstbewusst, trotzig, aber nicht grob. Mir san mir. Steht man vor dem Bau, wirkt die Fassade fast ein bisschen wie Alexander Dobrindt, wenn er die Arme vor der Brust verschränkt, weil ihm wieder etwas gegen den Strich geht. So ähnlich sah schon die königlich-bayerische Gesandtschaft im Kaiserreich aus, die in der Voßstraße stand. Auch sie ein wilhelminischer Bau, auch sie ein bisschen trotzig.

Zurück bis ins Kaiserreich - mindestens

In einem Flur der Vertretung hängen die Bilder der Bevollmächtigten, also der obersten Vertreter Bayerns. Sie finden sich auch auf der Webseite. Die Liste beginnt natürlich nicht 1949. Bayern ist schließlich älter als die Bundesrepublik und war bekanntlich schon Staat, als die anderen noch Stämme waren. So steht Maximilian Joseph Freiherr Pergler von Perglas am Anfang, ein königlich-bayerischer Diplomat, der sein Land von 1868 (noch im Norddeutschen Bund) bis 1877 als Gesandter beim preußischen Hof und im damaligen Bundesrat vertrat. Wer das versteht, hat Bayern verstanden. Und damit auch die CSU. Übrigens findet sich auch Markus Söder in dieser Galerie – als Einziger, der es dann bis zum Ministerpräsidenten von Bayern brachte. Er war 2007 Bevollmächtigter, aber nur für ein Jahr, die Karriere in München rief.

Pergler ist in die bayerische Diplomatiegeschichte eingegangen, weil der Reichskanzler Otto von Bismarck mit ihm nicht warm wurde. Der Gesandte aus München konnte der Reichseinigung wenig abgewinnen. Dass Pergler bei Empfängen gern mal mit den ausländischen Botschaftern herumstand, kam auch nicht gut an. Am Ende stand die Abberufung nach München. Ab 1880 amtierte der weitaus geschmeidigere Hugo Graf von und zu Lerchenfeld-Köfering als bayerischer Gesandter. Schon bald war das preußisch-bayerische Verhältnis besser und damit auch das Verhältnis Bayerns zum Reich. So begann im Kaiserreich jenes Geschäftsmodell, das von München aus bis heute gepflegt wird, eine Politik zwischen Distanzierung und Nähe zur Zentralmacht, zwischen Abstinenz und Mitwirkung. Stets mit einem Ziel allein vor Augen: Bayerns Nutzen zu mehren.

"Das bekannte bayerische Spiel"

Schon 1884 erregte sich der mecklenburgische Gesandte über das „bekannte bayerische Spiel“, sich mit den Preußen „auf Kosten der übrigen Staaten vorweg zu einigen“. Und der badische Bevollmächtigte kritisierte 1893 die bayerische Politik, „die es für nötig hält, vor den Beratungen des Bundesrates große Oppositionslust zu zeigen und dabei Alliierte zu werben, um sich alsdann über deren Köpfe hinweg mit Preußen zu verständigen und die Genossen sitzen zu lassen“. Für Preußen liest man heute „der Bund“, und wer zum Beispiel die Zentralisierung der Autobahnverwaltung in den vergangenen Jahren beobachtet hat, kann erkennen, dass das Muster bis heute ähnlich ist. Es war zwar eine Entmachtungsaktion des Bundes gegen die Länder, aber mit dem Ergebnis, dass sich dank Dobrindt (und hernach Andreas Scheuer) die Entmachtung Bayerns in engen Grenzen hielt. Wozu hat man schließlich das Verkehrsministerium.

In der CSU ist die Ineinssetzung bayerischer Landes- und christsozialer Partei-Interessen über die Jahrzehnte zum Normalzustand geworden. Dabei hat die Partei ein System perfektioniert, das auf den ersten Blick wie eine doppelte Persönlichkeitsspaltung wirkt, aber auf größtmögliche Ergebniseffizienz ausgelegt ist. Die Staatspartei CSU lebt davon, einerseits als Schutzmacht des Groß-, Mittel- und Kleinbürgertums gegen alles Neue, Moderne, Fremde und Belastende aufzutreten, andererseits beim tatsächlichen Regieren aber deutlich pragmatischer zu sein. Wie man diesen inneren Widerspruch in Erfolg ummünzt, haben nicht zuletzt Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber vorgeführt. Den Charakter der CSU prägt aber auch, sich einerseits dezidiert als Regionalpartei zu geben, sich andererseits aber permanent zur bundespolitischen Aktion gezwungen zu sehen, um dieses Regionale davor zu schützen, mediatisiert zu werden. Diese Grundwidersprüche – konservativ- modern und partikular-national – zu meistern, war stets die große Kunst der CSU. Sie basierte darauf, in Bayern unangefochten zu sein. 50 plus x.

Daheim und draußen

Was „dahoam“ über Jahrzehnte mit großer Gelassenheit aufgeführt wurde, mit entsprechenden Wahlergebnissen, gelang und gelingt im Bund jedoch nicht immer in der angestrebten Souveränität. Strauß und Stoiber, die sich zur Kanzlerkandidatur hatten hinreißen lassen, beendeten ihre politischen Karrieren grummelnd in München, in dem festen Gefühl, es sei ein deutsches Problem, dass Bayern in Deutschland nichts würden. Und dass Deutschland Bayern nicht verstehen wolle. Aus diesem Gefühl heraus gleitet das Verhalten der Mächtigen in Bayern immer wieder mal ins Trutzige und Trotzige ab. Dann werden die Arme verschränkt. Angela Merkel weiß mittlerweile auch, was das heißt.

Ein historischer Grund dafür? In Bayern wird seit jeher gern politisch geträumt. Die selbstbewusste Mittelmacht bekam freilich nie erfüllt, wonach sie sich beharrlich sehnte, seit Ludwig der Bayer Kaiser wurde. Bayern will mehr sein, als es ist. Und weiß doch, dass die Umstände es nicht zulassen. Im Deutschen Bund sah man sich als bedeutende Kraft zwischen den Hegemonialmächten Habsburg und Preußen, quasi auf Augenhöhe. Nach 1871 pflegte man die Vorstellung der zweiten Macht im Reich – nach Preußen, aber vor allen anderen. Zur politischen Kultur Bayerns gehört ein beharrliches Autonomiebegehren, das stets zu Reibung führt.

Der Schriftsteller Carl Amery, der sich über sein Heimatland einige Gedanken gemacht hat, erklärte das Problem, gern mehr sein zu wollen als nur ein deutsches Land, einmal so: „Bayern konnte, seit 1866, nur noch reagieren. Und das tut es bis heute. Während es, im täglichen Leben, nach wie vor ein relativ liberales Land ist, hat es keinen Weg mehr gefunden, von der unter- und unbewussten Wut wegzukommen – von der unfruchtbaren Fixierung auf sein Schicksal.“ Das Vehikel dieser Wut war seit 1949 die CSU.

Ordnungszelle Bayern

Bisweilen wurde die bayerische Politik so zum deutschen Problem. Ins extrem Konservative gewendet äußerte sich das Sonderbewusstsein, getragen von der Bayerischen Volkspartei, der Vorgängerin der CSU, zu Weimarer Zeiten in der manischen Vorstellung von der „Ordnungszelle Bayern“. Als Horst Seehofer in den flüchtlingspolitischen Widerstand ging und Dobrindt von der „konservativen Revolution“ schwadronierte, um der AfD Wind aus den Segeln zu nehmen, klang das unangenehm nach.

Und nun kommt dieser mutmaßlich historische Wahlsonntag. Die CSU steht, die Umfragen deuten es an, vor einem Debakel. Es hätte Folgen über Bayern hinaus. Denn das generationenalte Geschäftsmodell des eigensinnigen, mal produktiven, mal konfrontativen Gegenmiteinanders im Verhältnis zum Rest Deutschlands bekäme mindestens einen Knacks. Weil eine wesentliche Voraussetzung fehlen würde: die souveräne Unangefochtenheit in Bayern. Die CSU, torkelnd, doch nicht gefallen, würde dann zum Ausgleich wohl die Politik des Armeverschränkens verstärken. Und hinter der trutzigen Fassade der Landesvertretung werden sich die Berliner CSU-Bayern, die Helden auf dem Außenposten, und die angereisten Münchner Größen immer wieder gegenseitig bestärken, dass eines weiter gelten muss, es komme, was da wolle (und seien es die Grünen als Koalitionspartner): Bayern first.

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