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Der Erste Senat hat das Urteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz verkündet. Foto: Uli Deck/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Uli Deck

Schlappe für die CSU: Bayerns Verfassungsschutzgesetz teilweise verfassungswidrig

2016 war das bayerische Verfassungsschutzgesetz auf Bestreben der CSU reformiert werden. Dafür hagelte es Kritik. Nun entschied das Bundesverfassungsgericht,

Stand:

Dass in Bayern in vielerlei Hinsicht ein etwas anderer Wind weht, als im Rest des Landes, ist bekannt. Vor allem in Bezug auf Law und Order wird dem Freistaat eine besonders harte Hand nachgesagt. Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nun entschieden:

Die Bayern treiben es zu weit. In seinem Urteil hat es mehrere Vorschriften des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt.

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Die Richter in Karlsruhe beanstanden in ihrem 150 Seiten umfassenden Urteil wesentliche Passagen des bayerischen Gesetzes. Das Gericht entschied etwa, dass die Befugnis Auskunft über Verkehrsdaten aus Vorratsdatenspeicherung zu ersuchen, nichtig ist.

Viele weitere Maßnahmen seien zu vage beschrieben. Betroffen sind unter anderem die Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung, zur Handy-Ortung und zu verdeckten Mitarbeitern. Die beanstandeten Maßnahmen dürfen bis höchstens Ende Juli 2023 in eingeschränkter Form in Kraft bleiben, urteilte das Gericht. Die Entscheidung bedeutet für die CSU eine schallende Ohrfeige: Das Gesetz war erst 2016 auf Bestreben der Partei grundlegend überarbeitet worden.

Der Verfassungsschutz müsse für künftige Herausforderungen fit gemacht werden, betonte Bayerns Innenminister Joachim Hermann die Reform damals: „Der Verfassungsschutz gehört angesichts stürmischer, von Terrorbedrohung und steigendem Rechtsextremismus geprägter Zeiten weiter gestärkt und nicht abgebaut.“

Gesetz wurde allein mit Stimmen der CSU verabschiedet

Schon bei seiner Einführung galt das Gesetz als heftig umstritten und war allein mit den Stimmen der Christsozialen im bayerischen Landtag verabschiedet worden. Mit dem geänderten Gesetz erhielt der Geheimdienst in Bayern deutlich ausgeweitete Befugnisse.

So durfte er beispielsweise Vorratsdaten abrufen, Handys orten und Personen langfristig observieren. Schon 2017 reichte die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein, dort steht eine Entscheidung noch aus.

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Das Verfahren in Karlsruhe war von der Gesellschaft für Freiheitsrechte angestoßen worden. Weil Verfassungsbeschwerde jedoch nur Personen erheben können, die „selbst, gegenwärtig und unmittelbar“ in ihren eigenen Rechten betroffen sein könnten, holte die Organisation drei Mitglieder der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ ins Boot, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ eingestuft wird.

„Heute ist ein guter Tag für die Grundrechte und den Rechtsstaat in Deutschland“

Die drei Mitglieder der Organisation klagten und äußerten die Sorge, selbst überwacht zu werden. Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF und Prozessbevollmächtigter, ist zufrieden mit dem Urteil:

„Heute ist ein guter Tag für die Grundrechte und den Rechtsstaat in Deutschland“, sagt er. „Das Bundesverfassungsgericht hat dem Verfassungsschutz klare Grenzen gesetzt: Wer im Auftrag der wehrhaften Demokratie für den Schutz der Verfassung arbeitet, muss sich auch selbst an ihre Regeln halten.“

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Ähnlich positiv fallen die Reaktionen bei den Grünen und der FDP aus. „Wir Grüne begrüßen das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich“, erklärt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz.

Harsche Kritik an der CSU

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger übt in ihrer Reaktion auf das Urteil starke Kritik an der CSU. „Es liegt wohl in der DNA der CSU, immer wieder die Schranken des Grundgesetzes zu verletzen“, mutmaßt sie. „Ohne die Verfassungsgerichte hätte sich Bayern schon längst zu einer Art Überwachungsstaat verwandelt.“ Der amtierende Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die Entscheidung als klares Signal für die Stärkung der Bürgerrechte, gerade auch im digitalen Raum.

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Das Grundgesetz lasse dem Gesetzgeber „substanziellen Raum, den sicherheitspolitischen Herausforderungen auch im Bereich des Verfassungsschutzes Rechnung zu tragen“, sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung.

„Zugleich setzt die Verfassung hierbei gehaltvolle grundrechtliche Schranken.“ Das Urteil sei erwartbar gewesen, erklärte der Professor für Öffentliches Recht Tarik Tabbara von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Es liege auf allgemeiner Linie der Rechtsprechung des ersten Senats. Dass Karlsruhe und der Freistaat in sicherheitspolitischen Fragen aneinandergeraten, sei ein alter Hut.

„Der bayerische Gesetzgeber versucht immer wieder Grenzen auszutesten“

„Das ist im Grunde eine Tradition, die mindestens bis zu Franz-Josef Strauß zurückzuführen ist.“ Das habe ein bisschen was von dem Spiel mit dem Hasen und Igel, meint Tabbara.

„Der bayerische Gesetzgeber versucht immer wieder Grenzen auszutesten, während Karlsruhe versucht das ganze einzuhegen und die rechtsstaatlichen Grundsätze hochzuhalten, Pflöcke einzurammen, wenn das Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei zu sehr verwässert wird.“

Aber was ist der Grund dafür, dass Bayern immer wieder über die Stränge schlägt? „Der Grund heißt vermutlich recht schlicht CSU. Dort versteht man sich als Sicherheitspartei, die die Sicherheit auch schon mal gegen zu viel Freiheitsschutz aus Karlsruhe verteidigen müsse.“

Doch andernorts, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, teste man auch gerne Grenzen aus. „Aber Bayern ist immer die Speerspitze.

Da kann man den Eindruck gewinnen, dass die Urteile des Bundesverfassungsgerichts auf Lücken und Schlupflöcher gelesen werden - um es dann in der nächsten Runde wieder drauf ankommen zu lassen.“

Dass das Urteil aus Karlsruhe direkten Einfluss auf andere Bundesländer haben wird, glaubt Tabbara nicht. „In einer perfekten Welt wäre das so, aber rein formell hat die Entscheidung keine Auswirkungen auf Gesetze anderer Bundesländer oder des Bundes.“

Joachim Herrmann ist da anderer Meinung: „Es müssen wahrscheinlich der Bund und alle Länder ihre Gesetze ändern. Denn es gibt nach meiner Kenntnis kein einziges Gesetz, das all diesen Vorgaben, die heute formuliert worden sind, entspricht“, sagte der CSU-Politiker nach Verkündung des Urteils.

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