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Die Zeiten, in denen Lothar Wieler und Karl Lauterbach meist einer Meinung sind, sind vorbei

© dpa/Wolfgang Kumm

Weitere Schlappe für RKI-Chef: Berliner Verwaltungsgericht erklärt Verkürzung des Genesenenstatus für rechtswidrig

Im Januar hatte das RKI den Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzt. Die Kompetenz dazu wurde dem RKI inzwischen entzogen.

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Die Verkürzung des Genesenenstatus durch das Robert-Koch-Institut (RKI) ist rechtswidrig. Das entschied am Donnerstag das Verwaltungsgericht in Berlin. Im Januar hatte das RKI den Genesenenstatus eigenmächtig von sechs auf drei Monate verkürzt - und damit massive Kritik auf sich gezogen. Viele Bürger verloren damit quasi über Nacht die Möglichkeit, in Restaurants oder Bars zu gehen.

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Unmut löste aus, dass die Änderung zunächst weitgehend unbemerkt blieb. RKI-Chef Lothar Wieler war infolge der umstrittenen Verkürzung heftig angegangen worden, unter anderem von der FDP. Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), oberster Vorgesetzter der Gesundheitsbehörde, war nicht in diese Entscheidung involviert gewesen, hatte Wieler jedoch verteidigt. „Herr Wieler hat mein volles Vertrauen, er sitzt ja auch wieder hier“, erklärte er damals in der Bundespressekonferenz.

Lauterbach will selbst entscheiden

Doch inzwischen scheint sich der Wind gedreht zu haben. „Über tiefgreifende Entscheidungen wie etwa den Genesenenstatus möchte ich selbst und direkt entscheiden“, sagte Lauterbach der „Bild“. „Sonst trage ich die politische Verantwortung für das Handeln anderer.“

Erst im Januar war dem RKI und dem Paul-Ehrlich-Institut die Befugnis darüber zu entscheiden, wer unter welchen Umständen und wie lange als genesen beziehungsweise geimpft gilt, übertragen worden. Damit ist nun Schluss: Nach allem Ärger, der mit dieser Entscheidung einherging, haben Bund und Länder jetzt vereinbart, dass die Festlegungen zum Genesenenstatus nicht mehr an das RKI delegiert werden sollen.

Das Verhältnis zwischen Karl Lauterbach und Lothar Wieler gilt inzwischen als angespannt. Das Urteil aus Berlin dürfte nicht unbedingt zur Besserung der Stimmung beitragen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Eilverfahren entschieden, dass die beiden Antragsteller nach ihrer Corona-Infektion im Oktober vorläufig für sechs Monate als genesen gelten.

Andere Gerichte hatten bereits ähnlich geurteilt. Zur Begründung trugen die Richter vor, dass über die Geltungsdauer des Genesenenstatus die Bundesregierung selbst entscheiden müsse. Das ergebe sich aus den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes. Wirksamkeit entfaltet das Urteil vorerst nur für die Antragssteller, die vor das Verwaltungsgericht gezogen waren. Die Verordnung generell aussetzen kann es nicht.

Die zuständige Kammer kam zu dem Schluss, dass die Entscheidung, bei welchen Personen von einer Immunisierung auszugehen ist, nicht auf das RKI als Bundesoberbehörde übertragen werden könne. Damit würden die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung überschritten, hieß es weiter. Ob die Entscheidung inhaltlich richtig sei, habe sie deshalb nicht prüfen müssen.

Das RKI wollte sich auf Nachfrage des Tagesspiegels nicht zu dem Urteil äußern, Urteile würden seitens der Behörde grundsätzlich nicht kommentiert, erklärte die Pressestelle.

Bedenken vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages

Kritisch war die recht lapidar vonstatten gegangene Entscheidung, den Genesenenstatus zu verkürzen, nicht nur von der Bevölkerung gesehen worden. Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hatten in einer Stellungnahme verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.

Der Genesenennachweis sei von hoher Relevanz für die Wahrnehmung von Grundrechten, heißt es in der Ausarbeitung. In Paragraph 2 Nr.5 der Ausnahmeverordnung von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 steht, dass keine weiteren Nachweise erbringen muss, wer einen Nachweis erbringen kann, der die Voraussetzungen und aktuellen Standards erfüllt, die auf der Homepage des RKI angegeben sind.

Schon diese Regelung erachten die Wissenschaftlichen Dienste als problematisch. Denn eine Änderung des Inhalts sei ohne größeren Aufwand und damit viel schneller möglich als ein Rechtssetzungsverfahren. Dies habe für die Bürger zur Folge, dass sie ständig überprüfen müssten, ob die Internetseite noch den gleichen Inhalt habe.

Der Regelungsdruck zur Änderung des Genesenenstatus war außerdem nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes nicht übermäßig groß, so dass auch das reguläre Rechtssetzungsverfahren hätte Anwendung finden können.

Verfassungsrechtler: Übertragung auf das RKI unzulässig

Auch der Verfassungsrechtsprofessor Horst Dreier hält die Übertragung der Kompetenz auf das RKI für unzulässig. „Das hält sich nicht in den Grenzen der im Gesetz erteilten Ermächtigung. Das Verwaltungsgericht hat schon im Eilverfahren die hohe Wahrscheinlichkeit festgestellt, mit der im Hauptsacheverfahren die einschlägigen Bestimmungen als verfassungswidrig bewertet werden würden“, sagt er dem Tagesspiegel.

„Um den Beschluss aufzuheben, müsste die Beklagte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen. Das wird sie aber kaum tun, da Gesundheitsminister Lauterbach ja schon angekündigt hat, dem RKI diese Zuständigkeit zu entziehen, wenn wahrscheinlich eher aus politischen als aus rechtlichen Gründen."

Noch gilt der verkürzte Genesenenstatus weiterhin. Doch sollte er ausgesetzt werden, könnte das Folgen haben. Vor allem für Lothar Wieler.

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