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Influencerinnen mit einem jungen Fan an einem Messestand in Köln.

© picture alliance/dpa /Rolf Vennenbernd

BGH-Urteil zum Influencer-Marketing: Die Grenzen von Werbung und Leben sind längst verschwommen

Konsumgüter waren noch nie ein so integraler Teil der Identität – und Jugendliche werden auf Instagram selbst Teil der Marketingstrategie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Inga Barthels

Tee, der einen flachen Bauch zaubert, ein Roller aus Rosenquarz gegen verquollene Augen: Bestimmte Produkte hätte es ohne Instagram wohl nie gegeben. Wenn nur die richtige Person die Ware anpreist, lässt sich so gut wie alles verkaufen. Von einer Plattform wie Instagram hätten Marketing-Fachleute noch vor einigen Jahren nur zu träumen gewagt: ein endloser Stream an bunten Bildern, auf denen viele gut aussehende Menschen zum Konsum verschiedener Produkte anregen. Und das alles erreicht direkt die beliebteste Zielgruppe: Jugendliche.

Die drücken schon immer etwa durch Kleidung aus, wer sie sind und wer sie sein wollen. Nie zuvor aber sind Konsumgüter so wichtig für die Konstitution der eigenen Identität gewesen. Vorbilder vieler junger Menschen sind nicht mehr nur Sängerinnen oder Fußballstars – es sind auch Werbetreibende, auf Instagram, YouTube und TikTok. Laut einer Studie kaufen innerhalb eines Jahres 60 Prozent der 14- bis 29-Jährigen etwas, das ein Influencer beworben hat.

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Kommerz wird zur Berufung

Influencer:innen sind berühmt, weil sie gut aussehen, eine schöne Wohnung haben oder einen kuratierten Lifestyle. Einen Beruf anderer Art brauchen sie häufig nicht, der Kommerz wird zur Berufung. Sie treten direkt mit ihren Fans in Kontakt, bauen Beziehungen auf, um ihnen dann Produkte zu verkaufen.

Es geht um Herzchen und Kommentare. Der Grad an Interaktion bestimmt mit darüber, wie viel Geld die Influencer:innen verdienen. Und der geliebte Star ist für die Fans so nah, wie es lange undenkbar war – als nicht die Nähe, sondern die Unerreichbarkeit Prominente ausmachte.

Die Jugendlichen können sich durch Filter virtuell dem Look ihrer Vorbilder anpassen und deren Lifestyle imitieren. Mit den erworbenen Produkten inszenieren sie sich selbst auf Instagram, als Mini-Influencer:innen. Der Konsum trägt nicht nur dazu bei, eine Identität auszudrücken, sondern wird selbst Teil der Identität – und die Jugendlichen werden aktiv Teil einer Marketingstrategie.

Der BGH gab Cathy Hummels Recht

Darüber, wie deutlich Influencer:innen ihre werblichen Interessen kennzeichnen müssen, wird seit Jahren gestritten. Der Bundesgerichtshof hat nun drei Urteile gefällt. Recht bekam unter anderem Cathy Hummels, der auf Instagram 641 000 Menschen folgen. Sie hatte auf der Plattform Hersteller von Produkten verlinkt, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen.

Das sei keine unzulässige Schleichwerbung, urteilte das Karlsruher Gericht. Der BGH bekräftigte aber auch, dass bezahlte Werbung als solche gekennzeichnet werden müsse. Außerdem dürften auch unbezahlte Postings nicht allzu werblich daherkommen.

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Eine vorgebliche Realität muss gewahrt werden

Das Urteil ist ein Erfolg für die Influencer:innen. Denn die müssen sorgfältig eine Präsenz auf den Plattformen kuratieren, die den Anschein der Authentizität erweckt. Da passt es nicht, wenn sie jeden Tipp als Werbung kennzeichnen müssen. Wer zu viel wirbt, verliert bald Follower, das ist eine ungeschriebene Regel. Es geht ums Geld, doch danach darf es nicht aussehen. Dafür geben die Stars ihre Privatsphäre auf – oder simulieren das erfolgreich. Denn ihre Follower möchten sich mit Persönlichkeiten verbunden fühlen statt mit Werbefiguren.

Es ist die vorgebliche Realität, die neu und gerade für Jugendliche besonders verführerisch ist. Herkömmliche Fernseh- oder Radiowerbung könnte künstlicher nicht sein. In den sozialen Medien gibt es außerdem keine Mainzelmännchen, die Werbeblöcke ankündigen, im Gegenteil: Viele Influencer:innen vermischen persönliche Erzählungen mit Werbung, damit ihre Follower dran bleiben.

Für mehr Rechtssicherheit soll ab Mai 2022 ein Gesetz sorgen. Darin ist geregelt, dass Influencer:innen Posts nur als Werbung kennzeichnen müssen, wenn sie dafür eine Gegenleistung erhalten. Gesetzgeber und Gerichte versuchen, Grenzen neu zu ziehen, die längst verschwommen sind. Auf Instagram ist Leben Werbung und Werbung Leben. Egal, ob in der Ecke ein Hinweis steht oder nicht.

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