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Noch am Tag seiner Amtseinführung unterzeichnete US-Präsident Joe Biden erste Beschlüsse.

© Tom Brenner/REUTERS

Auf Erlasse müssen Reformen folgen: Biden steht nun ein Dilemma bevor

Der neue US-Präsident Joe Biden hebt rasch Beschlüsse seines Vorgängers auf. Doch hat er einen langfristigen Plan - und wie groß sind seine Erfolgschancen?

Zum Ende eines langen, wahrhaft denkwürdigen Tages stehen Joe und Jill Biden auf dem Balkon des „Blue Room“ im Weißen Haus. Er hat den Arm um seine Frau gelegt, still bewundern sie das Feuerwerk, das zu ihren Ehren Washingtons nächtlichen Himmel erhellt. Zehn Stunden ist es da erst her, dass Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde.

Aber dem 78-Jährigen bleibt kaum Zeit, zu feiern: Die Probleme stapeln sich schon – und viele davon sind in den vergangenen vier Jahren drängender geworden.

Noch am Mittwoch unterzeichnete der neue Präsident 17 Anordnungen, die nicht der Zustimmung des Parlaments bedürfen, um die umstrittensten Entscheidungen seines Vorgängers Donald Trump schnell zu revidieren. Aus internationaler Sicht besonders wichtig: Biden ordnete die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen und den Verbleib seines Landes in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an. Trump hatte im Juli 2020, schon mitten der Corona-Pandemie den Austrittsprozess aus der WHO eingeleitet, der ein Jahr dauert.

Ganz oben steht der Kampf gegen die Pandemie

Außerdem wurden unter anderem die Einreisesperren gegen Menschen aus vorwiegend muslimischen Ländern aufgehoben, der Bau der Mauer an der amerikanischen Südgrenze eingestellt und ein eingeschränkter Abschiebestopp für 100 Tage verfügt.

Für die neue Regierung ganz oben auf der Prioritätenliste steht aber der Kampf gegen die Pandemie und ihre katastrophalen wirtschaftlichen Folgen. Auch hier leitete Biden erste Schritte ein, die sich schnell bemerkbar machen werden. So verfügte er eine 100-tägige landesweite Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln.

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Am Donnerstag wollte er zehn weitere Erlasse unterzeichnen, mit denen etwa ein spezielles Corona-Gremium eingerichtet wird, das an ihn berichten soll. Testkapazitäten sollen ausgeweitet und Vorschriften für den Reiseverkehr erstellt werden. Zudem sollen die Bundesstaaten stärker finanziell unterstützt werden, um die Kosten zur Bekämpfung des Virus aufzufangen.

Beim Hilfspaket droht bereits Streit

Bereits versprochen hat Biden, 100 Millionen Impfstoffdosen in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft bereitzustellen und den Kreis derjenigen, die Anspruch auf eine Impfung haben, deutlich zu vergrößern, etwa auf Lehrer und Lebensmittelverkäufer. Parallel will er ein 1,9 Billionen Dollar schweres Corona-Hilfspaket durch den Kongress bekommen, um insbesondere ärmere Haushalte und Menschen, die in der Krise arbeitslos wurden, zu entlasten.

Genau da aber beginnen die Schwierigkeiten. Der Kongress hat ein Mitspracherecht, wenn es um die Finanzierung von Gesetzesvorgaben geht. Zwar stellen die Demokraten seit Mittwoch die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses.

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Vor allem aber im Senat ist es eine extrem knappe Mehrheit, die überhaupt nur zustande kommt, wenn alle Senatoren mitziehen und Vizepräsidentin Kamala Harris in ihrer Rolle als Senatspräsidentin mitstimmt. Hier werden Bidens viel gerühmte Fähigkeiten, parteiübergreifend Kompromisse aushandeln zu können, schnell getestet werden.

Biden will einen Mindestlohn von 15 Dollar die Stunde

In dem „American Rescue Plan“ genannten Hilfspaket sind aber auch viele Vorhaben, die nicht direkt mit der Pandemie zu tun haben, berücksichtigt: so etwa die landesweite Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde – ein Vorschlag, den viele Republikaner ablehnen.

„Einen Mindestlohn von 15 Dollar unbedingt in ein Corona-Hilfspaket packen zu wollen, würde nur bedeuten, dass Millionen kleiner, ohnehin gefährdeter Unternehmen schließen müssten und die, die überleben, wären gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen“, erklärte der Senator aus South Carolina, Tim Scott. Sein Parteikollege aus Pennsylvania, Senator Pat Toomey, betonte, die Hilfen sollten sich darauf konzentrieren, schnell die Impfkapazitäten hochzufahren, anstatt den Mindestlohn anzuheben.

Hier zeigt sich das Dilemma, das Biden nun bevorsteht. Erlasse, gerade in der Außenpolitik, sind schnell unterzeichnet. Aber für langfristige – und auch vom progressiven Flügel geforderte – Reformen braucht es einen konkreten Plan, der Prioritäten setzt. Hier ist auch die Demokratische Partei allerdings längst nicht auf einer Linie.

In zwei Jahren stehen die Zwischenwahlen an

Biden weiß um die Herausforderung. Am Mittwoch bei der Unterzeichnung der Erlasse erklärte er: „Das wird ein langer Weg. Dies waren nur Handlungen der Regierung. Sie sind wichtig. Aber wir brauchen Gesetzgebung für eine Menge anderer Dinge, die wir angehen wollen.“

Um sein Versprechen von einem wiedervereinten Land umzusetzen, braucht Biden konkrete Erfolge, bei denen die Menschen spüren, dass sich ihr Leben verbessert. Die Zeit drängt: In weniger als zwei Jahren stehen bereits die Kongress-Zwischenwahlen an, bei denen die Partei des Präsidenten häufig abgestraft wird.

17 Republikaner müssten dem Verfahren gegen Trump zustimmen

Auch darum, und weil die USA so hart von der Pandemie betroffen sind, steht das Hilfspaket auf Bidens Prioritätenliste ganz oben. Außerdem will er nach Informationen der Nachrichtenseite „Politico“ auch ein riesiges Infrastrukturprogramm auflegen, bei dem alternative Energien eine große Rolle spielen sollen – ein Angebot für die starke Parteilinke. Andere in seiner Partei pochen aber darauf, dass schnell strukturelle Veränderungen am Wahlsystem, eine Reform des Straf- und des Einwanderungsrechts angegangen werden müssen.

Dazu kommt das anstehende Amtsenthebungsverfahren. Erwartet wird, dass die demokratische Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, bald die Anklagepunkte gegen Trump an den Senat übermittelt. Die Gefahr ist groß, dass das Impeachment die Fronten verhärtet – und Bidens Ansatz, parteiübergreifend zu arbeiten, von Anfang an erschwert.

Für eine Verurteilung bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit, die Demokraten müssten 17 Republikaner im Senat auf ihre Seite ziehen und für das Impeachment stimmen lassen. Ausgeschlossen ist das nicht, Stand jetzt aber auch alles andere als sicher.

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