zum Hauptinhalt
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj empfängt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew.

© Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Bilanz der scheidenden Außenministerin: Wer wird Annalena Baerbock nachweinen?

Ihre Bilanz: Sicherheitsstrategie, China, feministische Außenpolitik – was sie als Erfolg definiert, wird von viel Kritik begleitet. Und dass sie einer Karrierediplomatin den UN-Job wegnimmt, besonders.

Stephan-Andreas Casdorff
Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Stand:

Allen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Das erlebt Annalena Baerbock gerade. Die Außenministerin scheidet mit einer Bilanz, die mehr Schatten als Licht aufweist. Und das hat sie sich auch selbst zuzuschreiben.

Baerbock ist, bald war sie es, die erste Frau in diesem Amt. Nach so vielen Jahren, endlich; eigentlich ein Skandal. Allein schon deshalb stand sie stark unter Beobachtung; und dann hat die Ministerin selbst noch massiv dazu beigetragen.

Anfangs wirkte ihr Auftreten erfrischend undiplomatisch, im Gegensatz zu eingeübten Sprechblasen, oft „Wording“ genannt. Übrig geblieben ist weiten Teils der Eindruck, sie sei undiplomatisch und bei alledem zu redefreudig.

Allen recht getan: Im Außenamt ist zugleich zu hören, dass erstmals seit langer Zeit wieder jemand leidenschaftlich beim und im Thema war, versucht hat, etwas zu bewirken. Zumal der Vorgänger, Heiko Maas, weithin unsichtbar blieb und in kaum einer Sache sprechfähig wirkte. Was wiederum von dessen Vorgänger, Sigmar Gabriel, niemand so sagt, sondern, er habe mehr als alles andere Schlagzeilen produziert.

Eine Kunst, die niemand kann: Drei Themen nimmt Baerbock für sich in Anspruch – die Nationale Sicherheitsstrategie, die China-Strategie, die feministische Außenpolitik. Was sie als Erfolge definiert, wird allerdings von sehr viel Kritik begleitet.

Xi Jinping einen Diktator zu nennen, reicht als Strategie noch nicht

Die Sicherheitsstrategie zum Beispiel von der Union, namentlich dem CDU-Außenpolitikexperten Johann Wadephul, im Gespräch als Baerbocks Nachfolger. Die Strategie werde den Gefahren, denen Deutschland ausgesetzt sei, nicht gerecht, sagt er.

Dann die China-Strategie. Xi Jinping einen Diktator zu nennen, ist noch keine. Die Strategie sollte helfen, Deutschland und Europa weniger abhängig und weniger erpressbar von China zu machen. Wie genau, bleibt allerdings zu vage. Das Papier ist mehr Kompass als Strategie, Anpassungen an gegebene Strukturen zeigt es nicht auf, finanzielle Mittel für die Umsetzung auch nicht. Baerbock wollte es anders, konnte sich aber beim Kanzler nicht durchsetzen.

Und plötzlich eher maskuline Außenpolitik

Ein weiteres: das Konzept der feministischen Außenpolitik. Selbst von der Linken und feministischen Kreisen wird die als in Teilen elitär kritisiert. Und nicht nur mit Blick auf Unterstützung für Proteste im Iran oder die verschleppten Frauen in Israel wird Baerbock vorgehalten, zu wenig getan zu haben, um den Erwartungen zu entsprechen.

Die waren, unterdrückten, entrechteten Frauen in aller Welt an die Seite zu treten. Weniger, Frauen an Männern vorbei auf diplomatische Karriereposten zu befördern. Oder sich selbst einen Karriereposten zu sichern, auf Kosten einer Karrierediplomatin. Wie Baerbock es gerade im Fall der Präsidentin der UN-Vollversammlung getan hat. Das war dann doch eher maskuline Außenpolitik.

Ganz schön im Vordergrund

Hinzu kommt das Kompetenzgerangel zwischen Außen- und Kanzleramt in Baerbocks Amtszeit. Und das in diesen Zeiten. Der Kanzler wirkte bei den großen außenpolitischen Fragen sehr stark prägend, musste er auch – Baerbock wird vorgehalten, sich zu stark in den Vordergrund gedrängt zu haben.

Oder, um es im Kanzlerjargon zu sagen: Die Stellen von Koch und Kellner:in sind klar verteilt. Baerbock hatte damit Probleme und machte sie sich. Unter anderem mit ihrer immer wieder besonders von Männern bekrittelten Performance: Sie ließ sich stylen und stilisieren.

Baerbock, Chefin von Divisionen kluger Köpfe im Außenamt, forderte vor allem mehr Waffen. Zuletzt bei ihrem Abschiedsbesuch in der Ukraine. Damit wurde sie bekannt, die Grüne. Sie begründete das auch feministisch. Doch bei Papieren und Plänen, um die großen Konflikte beenden zu helfen, ließ sie anderen den Vortritt.

Das ist ihr Vermächtnis: Sie war die erste deutsche Außenministerin. Sie war leidenschaftlich. Eine Madeleine Albright – die erste US-Außenministerin – war sie nicht. Der hat Joschka Fischer, der große grüne Vorgänger, lange nachgeweint. Wer wird das bei Annalena Baerbock tun?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })