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Kenias Hauptstadt und Megacity Nairobi.

© imago/photothek

Botschafterin in Afrika: Drei Länder, eine Botschafterin

Annett Günther vertritt Deutschland in Kenia, im Bürgerkriegsland Somalia und auf den Seychellen.

Der 3. Oktober 1990 war für Annett Günther ein besonderer Tag in einem ohnedies besonderen Jahr. In Teheran hatte die 26-Jährige aus Gera eine Stelle an der Handelsvertretung der DDR. Sie arbeitete an ihrer Doktorarbeit. Farsi, das war die Sprache, die sie - neben dem Englischen - zuvor studiert hatte, von 1985 bis 1986 auch an der Staatlichen Universität von Duschanbe in Tadschikistan. Das Ziel: Sprachmittlerin, Dolmetscherin zu werden. Und Farsi ist die Sprache, die im Iran gesprochen wird.

Es war eine in vielerlei Beziehung faszinierende Zwischenzeit für die junge Frau. Dass es die DDR nicht mehr lange geben würde, wusste sie bei ihrer Ankunft in der iranischen Hauptstadt. Also suchte sie den Kontakt zur bundesdeutschen Botschaft. Immerhin hatte sie ja umfassende Kenntnis einer Sprache, für die es nicht so viele Dolmetscher gab. Und in die Welt wollte sie schon immer, bereits zu DDR-Zeiten. Aber der diplomatische Dienst der Deutschen Demokratischen Republik war für sie unerreichbar. Die Voraussetzungen stimmten einfach nicht. Kein SED- Mitglied, in Moskau studiert hatte sie auch nicht. Also war die Laufbahn des Sprachmittlers das Äußerste an Weltläufigkeit, wovon sie träumen durfte in einer Zeit, in der Walter Ulbrichts Satz noch galt, die Mauer würde 100 Jahre stehen.

Das neue Leben nach dem Mauerfall

Aber am 3. Oktober 1990 gab es für sie keinen Zweifel mehr: Ihr Leben würde einen anderen Verlauf nehmen. Und so gab sie ihre Doktorarbeit auf. Sprachforscher könnten das bedauern. Denn der Titel der unvollendeten Dissertation lautete: ein Vergleich des Konjunktivs im Deutschen und im Persischen. Die Frau, die diese Geschichte an einem heißen Sommertag in einem nüchternen Besprechungsraum des Auswärtigen Amtes erzählt, hat klare blaue Augen, sie schaut ihr Gegenüber während des Gesprächs immer wieder aufmerksam an.

Annett Günther: studierte Farsi und Englisch in der DDR, wollte raus - hat geklappt.
Annett Günther: studierte Farsi und Englisch in der DDR, wollte raus - hat geklappt.

© Julian Manjahi

Manchmal blitzt Ironie auf in ihren Antworten. Humor hat sie auch, erkennbar. Annett Günther ist wenige Tage zuvor 56 Jahre alt geworden und seit September 2018 deutsche Botschafterin in Nairobi, aber gleichzeitig auch deutsche Botschafterin für die Seychellen und für Somalia. Letzteres ist krisenbedingt. Im östlichen Nachbarland Kenias herrscht Krieg. Ein Bürgerkrieg, der von außen immer wieder angefacht wird. Daher hat Deutschland in der Hauptstadt Mogadischu - deren Name für Deutsche seit dem 13.Oktober 1977 einen besonderen Klang hat - aus Sicherheitsgründen nur eine, wie Annett Günther das umschreibt, „semi-permanente Präsenz“. Die EU-Staaten unterhalten einen gemeinsamen Compound dort, eine hermetisch abgeriegelte und militärisch gesicherte Wohnanlage. Zwei Mal im Monat ist Annett Günther vor Ort.

Enge Beziehungen zwischen Deutschland und Kenia

Ihre Botschaft in Nairobi, am Riverside Drive, liegt im Ludwig-Krapf-House. Ein deutscher Name? Ja, einer, der von historischer Bedeutung für Kenia ist. Der evangelische Missionar Ludwig Krapf, geboren 1810 in Tübingen, hat dem Suaheli, zu jener Zeit nur eine gesprochene, nicht aber verschriftlichte Sprache, ebendiese Schrift gegeben. Sein „Vocabulary of the Galla Language“ erschien erstmals 1842 als Lehrbuch. Es gilt bis heute bei Lehrern als kulturell wichtig und als Teil der Wissensbasis der Zivilisation des Landes.

Es gibt noch weitere enge Beziehungen zwischen Deutschland und Kenia. Der Wirtschaftsaustausch ist intensiv, das Land gilt als Stabilitätsanker in Ostafrika, die kulturellen Beziehungen und speziell der Studentenaustausch sind rührig. Die deutsche Schule hat 200 Schüler, das Goethe-Institut ist seit 1963 vor Ort, die Sprachkurse erfreuen sich großer Beliebtheit. 1963, das war das Jahr der staatlichen Souveränität Kenias, und Deutschland anerkannte als erster Staat die gerade unabhängig gewordene Republik. Das rechnete die kenianische Politik der deutschen hoch an und bedankte sich mit einer diplomatischen Geste. Jede deutsche Botschafterin, jeder deutsche Botschafter hat seitdem ein Privileg, ein schönes Statussymbol: Den Dienstwagen von Annett Günther ziert das Kennzeichen 1 - CD - 1.

Die Stunde von Annett Günther

Ihre erste Auslandsverwendung als junge bundesdeutsche Diplomatin hatte sie in eine ganz andere Weltregion geführt: Von 1994 bis 1997 war sie Kultur- und Pressereferentin an der Botschaft in Wellington, der Hauptstadt Neuseelands. Die nächste Station: Taschkent, die Metropole Usbekistans, da standen mehr die wirtschaftliche Kooperation und die Entwicklungspolitik im Zentrum. Dann kam der 11. September 2001, kamen die Anschläge von New York und Washington, die die Welt veränderten. Danach war nichts mehr wie vorher.

Zum ersten Mal hatte die Nato den Bündnisfall ausgerufen. Die USA und ihre Verbündeten begannen in Afghanistan den Krieg gegen die Terrororganisation Al Qaida und deren Verbündete, die Taliban. Kabul wurde erobert. Die Interimsregierung von Hamid Karzai nahm ihre Arbeit auf, und in Deutschland wurde vom Auswärtigen Amt im Auftrag der Vereinten Nationen die 1. Petersberg-Konferenz vorbereitet. Bei der diskutierten vom 27. November bis zum 5. Dezember Delegationen der afghanischen Stammesgruppierungen über die Zukunft ihres Landes. Was da ganz dringend in den Organisations- und Empfangsteams des Auswärtigen Amtes gebraucht wurde, waren Menschen, Diplomaten, die sich mit den afghanischen Delegierten verständigen konnten. Das war die Stunde von Annett Günther: „Für den Sonderstab Afghanistan habe ich mich beworben, ich konnte das doch alles, Afghanisch ist ganz ähnlich wie Farsi, das hatte ich doch studiert “.

Generalthema Migration, Flucht, Vertreibung, humanitäre Hilfe

Annett Günther begleitete nicht nur die Petersberg-Konferenz, sondern hinterließ bei denen, mit denen sie zusammenarbeitete, offenbar einen so nachhaltigen Eindruck, dass sie 2003 sechs Monate in Kabul als politische Beraterin des damaligen deutschen ISAF-Kommandeurs, Generalleutnant Norbert van Heyst, eingesetzt wurde. ISAF steht für International Security Assistance Force, eine Sicherheitsorganisation unter Führung der Nato, die im Anschluss an die Petersberg-Konferenz auf Bitten der afghanischen Teilnehmer, und mandatiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, entstand. Günther war politische Beraterin des hohen Bundeswehroffiziers. Dank ihrer Sprachkenntnisse konnte sie seine Unterredungen mit den afghanischen Stellen vorbereiten, war gleichzeitig Kontaktperson zum Auswärtigen Amt. Dass sie dann, von 2004 bis 2006, an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin-Niederschönhausen arbeitete, wirkt wie eine logische Fortsetzung der Afghanistan-Mission.

Das Generalthema Migration, Flucht, Vertreibung, humanitäre Hilfe begleitete Annett Günther fortan. Das ist der Eindruck beim Blick auf die beruflichen Stationen. Vier Jahre Botschafterin in Botswana, einem der ärmsten Länder der Welt; ihrem diplomatischen Drängen war wohl auch eine Einladung Deutschlands an den botswanischen Präsidenten zuzuschreiben, ein wichtiger Kontakt. Sein Land hat die Federführung der Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika, SADC, mit Sitz in der botswanischen Hauptstadt Gaborone. Alle Staaten des südlichen Afrika sind mit dabei. Mehrere Jahre war Günther Beauftragte des Auswärtigen Amtes für Humanitäre Hilfe, Flucht und Migration. Auch in Nairobi, ist sie permanent mit diesen Themen konfrontiert: Die kenianische Hauptstadt ist einer von vier Standorten der UN weltweit. Günther hat damit auch die offizielle Funktion der Ständigen Vertreterin Deutschlands bei den UN.

Dementsprechend groß ist die Botschaft: 40 entsandte Mitarbeiter und 40 einheimische Kräfte kümmern sich nicht nur um viele Wirtschaftsdelegationen, sondern auch um die kulturellen Beziehungen. Wenig Arbeit macht, entgegen manchen anderslautenden Berichten in Boulevardmedien, der Tourismus. Problematisch allerdings sind die Verkehrsverhältnisse. Es gibt wenig Ampeln, wenig Verkehrspolizisten. Da verdreht die Diplomatin die Augen.

Korruption, die die Gesellschaft auf allen Ebenen lähmt

Wie viele Einwohner hat Nairobi, die Stadt, in der er sich klimatisch so angenehm leben lässt, in 1624 Meter Meereshöhe, an einem Wasserlauf, dessen Name übersetzt „kühler Fluss“ bedeutet? Bei der Unabhängigkeit, 1963, waren es geschätzt 300 000. Im Jahr 2013 wurde die Zahl mit 3,1 Millionen angegeben. Das glaubt die Botschafterin nicht. Vielleicht sind es sieben oder acht Millionen, vermutet sie. In einer so schnell wachsenden Agglomeration ist Sicherheit ein großes Problem. Am 7. August 1998 waren bei einem Terroranschlag auf die amerikanische Botschaft 213 Menschen ums Leben gekommen. Am 21. September 2013 fielen einem islamistischen Überfall auf das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi 68 Menschen zum Opfer. Seitdem haben sich, so die Beobachtungen von Annett Günther, die Sicherheitsvorkehrungen der Behörden stark verbessert.

Ansonsten gilt: „Mit Kleinkriminellen ist es nicht anders als hier.“ Hier heißt: in Deutschland. Ständiges Ärgernis aber ist die Korruption, die die Gesellschaft auf allen Ebenen lähmt. Gerade ist der Finanzminister wegen dieses Vorwurfs verhaftet worden. „Wir finden den Kampf gegen die Korruption wichtig“, sagt sie, „wir stehen da an der Seite der Regierung.“ Für den Präsidenten Kenias, Uhuru Kenyatta, ist der Kontakt zur Europäischen Union von großer Bedeutung, und er wiederum ist für die EU-Botschafter der wichtigste Gesprächspartner.

Und sonst so, das Leben in Afrika? Man lernt Gelassenheit: „Ich kann mich ganz doll ärgern, aber nur ganz kurz!“ Günthers Kinder sind aus dem Haus. Für Leben in der Residenz sorgen vier Hunde, Rhodesian Ridgebacks, eine temperamentvolle, südafrikanische Hunderasse, für die Jagd und den Schutz hervorragend geeignet. Ihr Temperament wird als spitzbübisch, intelligent, würdevoll, loyal und durchsetzungsstark beschrieben. Das passt, irgendwie.

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