zum Hauptinhalt
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle und der Parteivorsitzende Philipp Rösler.

© dpa

Führungskrise in der FDP: Brüderle will einen klaren Schnitt

Egal wie die Wahl in Niedersachsen am Sonntag ausgeht, in der FDP werden schon jetzt Pläne für das Danach geschmiedet: Brüderles Forderung nach einer vorzeitigen Neuwahl der Parteiführung könnte der "Point of no return" gewesen sein.

Von Antje Sirleschtov

Jeder Kapitän eines Flugzeugs kennt beim Start den „point of no return“. Gemeint ist der Punkt auf der Startbahn, nach dessen Erreichen der Start nicht mehr abgebrochen werden kann, weil die verbleibende Startbahnlänge nicht mehr ausreicht, das Flugzeug sicher abzubremsen. Von da an muss gestartet werden, selbst wenn man später eine Bruchlandung hinlegt.

Rainer Brüderle ist in der FDP als Vorsitzender der Fraktion im Bundestag so etwas wie ein Flugkapitän, und ihm scheint jetzt dieser berühmte „point of no return“ erreicht zu sein. Lange hat Brüderle zu den Spekulationen über die Zukunft von Parteichef Philipp Rösler geschwiegen. Beinahe schon stoisch hat er auf jede diesbezügliche Anspielung in Interviews gesagt, die Frage einer Ablösung Röslers stelle sich nicht und beteuert, er stütze den Vorsitzenden, obgleich es doch als gesichert gilt, dass Brüderle den jungen Parteichef Rösler als Totalausfall betrachtet – sowohl im Partei- als auch im Regierungsamt.

Am Freitag, also nur zwei Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen, hat Brüderle nun, um im Bild zu bleiben, den Schaltknüppel nach vorn geschoben und die Maschine am „point of no return“ durchgestartet: Der ARD sagte er, mit Blick auf die Bundestagswahl im September habe es keinen Sinn, die ohnehin anstehende Neuwahl der Parteiführung allzu lange hinauszuzögern. Ende Februar oder Anfang März sei ein denkbarer Termin für einen solchen Parteitag, der eigentlich erst für Mitte Mai geplant ist.

Für Philipp Rösler kann dieser überraschende Vorstoß nur eines bedeuten: Brüderle will einen klaren Schnitt. Entweder der FDP gelingt es in Niedersachsen, am Sonntag deutlich über die Fünf-Prozent-Marke zu kommen und im besten Fall noch Teil einer schwarz-gelben Landesregierung zu bleiben. Dann soll sich Rösler rasch als Parteichef wiederwählen lassen und die FDP in den Bundestagswahlkampf führen. Oder aber die FDP schafft es gerade so in den Landtag in Hannover, das Ergebnis ist interpretationsbedürftig. Dann wäre ein schneller Parteitag der Ort, an dem sich Brüderle selbst zur Wahl stellen könnte.

Nur eines, das will der erfahrene Politiker Brüderle verhindern: Am Sonntagabend lobt sich Rösler dafür, die FDP in Niedersachsen trotz aussichtsloser Ausgangslage in den Landtag gebracht zu haben, schlägt aber zur gleichen Zeit für die Bundestagswahl Brüderle zum Spitzenkandidaten vor. Rösler hätte damit sein Parteiamt gesichert und Brüderle müsste in den Wahlkampf ziehen – quasi in Röslers Auftrag und allein verantwortlich für den Ausgang im September. Schafft es die FDP wieder in eine Koalition, ginge Rösler als geschickter Taktiker und Personalstratege in die Geschichte ein und könnte dann später den bald 70-jährigen Brüderle in Rente schicken. Geht es schief, wäre der Frontmann Brüderle schuld und müsste gleich gehen. Erst am Donnerstag hatte ihn Rösler in einem Interview überschwänglich als „großartigen“ Fraktionsvorsitzenden und „starke Stimme im Bundestagswahlkampf“ gewürdigt. Brüderle dürfte das als Bestätigung aller Befürchtungen empfunden haben, von Rösler zur Absicherung der eigenen Macht genutzt zu werden.

Zumal er beim Kampf um die Spitzenposition in der Partei noch eine zweite Frontlinie im Auge behalten muss: Christian Lindner, dem jungen und erfolgreichen Landeschef aus Nordrhein- Westfalen, werden nämlich ebenso Ambitionen auf das oberste Parteiamt nachgesagt. Brüderle muss fürchten, dass die beiden Jungen, Rösler und Lindner, am Ende gemeinsame Sache machen, ihn in den Wahlkampf ziehen lassen und das Spitzenamt später nahtlos von Rösler auf Lindner übergeht. Nach langer Interviewabstinenz hat sich Lindner am Freitag erstmals wieder zu Wort gemeldet und Brüderles Idee vom vorgezogenen Parteitag deutlich gelobt.

Anders als die Rösler-Kritik von Entwicklungsminister Dirk Niebel zum Jahreswechsel wird Brüderles Vorstoß jedenfalls nicht als Störmanöver für den Niedersachsen-Wahlkampf empfunden, den Rösler seit Wochen führt. Ganz im Gegenteil. Da auch in der Partei selbst immer lauter die Frage diskutiert wird, ob man mit Philipp Rösler an der Spitze überhaupt noch in den Bundestagswahlkampf ziehen kann, wird ein früher Wahlparteitag als wohltuender Entscheidungspunkt herbeigesehnt – und Brüderles Forderung nach einem solchen Parteitag mutiert zum deutlichen Zeichen für noch unschlüssige Anhänger, in Niedersachsen die FDP zu wählen. Schließlich folgt darauf ja wohl die rasche Abwahl des so erfolglosen Parteichefs.

Im Thomas-Dehler-Haus, der Berliner Parteizentrale, war man ganz offenbar von Brüderles Vorstoß überrascht worden. Es hieß einsilbig: „Ein vorgezogener Parteitag ist kein Thema.“ Man stehe kurz vor einer entscheidenden Landtagswahl, dort deutete alles darauf hin, dass die FDP in den Landtag einziehen wird und dies werde am Sonntagabend auch jeder als Erfolg Röslers werten müssen. Schließlich sei Niedersachsen Röslers Heimat und er habe sich im Wahlkampf intensiv engagiert. Und so, wie man ihm ein Scheitern in Niedersachsen anhängen würde, so müsste man ihm auch den Erfolg zuguteschreiben. Ob das blau-gelbe Flugzeug ab Sonntagabend, 18 Uhr, notwassern muss, ist also noch offen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false