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Corona-Leugner demonstrieren am 1. August in Berlin. Der Polizist, der die Versammlung auflöste, wurde von der Szene massiv bedroht.

© imago images/Jochen Eckel

Corona-Skeptiker in Auseinandersetzung mit einem Polizisten: „Nagelt den Wixer an ein Kirchentor“

Die Polizei im Einsatz gegen Corona-Leugner: Manche werden massiv bedroht. Andere Beamte aber zeigen Nachsicht mit „Querdenken“-Demonstranten.

Von Matthias Meisner

Für Guido M. war es einer der schwersten Einsätze in seiner Laufbahn als Polizist. Als Einsatzleiter einer Hundertschaft der Berliner Polizei hatte er am 1. August die Aufgabe, einen Protest der Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“ gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus am Brandenburger Tor aufzulösen. Jenen Protest, der erst diese Woche für Furore sorgte - die Polizei prüft ein vermutetes Datenleck an einen „Querdenken“-Anwalt.

Die rund 20.000 Demonstranten - die Veranstalter selbst sprachen von 1,3 Millionen - hielten den vorgeschriebenen Mindestabstand nicht ein. Es kamen weit mehr als angemeldet, viele von ihnen wollten keine Maske tragen. Als M. auf die Bühne trat, um die Versammlung zu beenden, redete ein Sprecher der Veranstalter mit schwäbischen Dialekt auf ihn ein: „Mach das Richtige! Du bist der größte Held aller Zeiten, wenn du jetzt das Richtige sagst.“ Und: „Scheiß auf den scheiß Abstand. Nehmt eure Masken weg! Wir haben den Tag der Freiheit.“

Sogar reich werden könne der Polizist, wenn er auf die Auflösung der Kundgebung verzichte, stellten ihm die Veranstalter in Aussicht: „1,3 Millionen - jeder gibt dir mindestens einen Euro. Du hast die Chance heimzugehen und reich zu sein.“

Corona-Leugner posteten Privatadresse und Telefonnummer

So ist es in einem Video zu sehen, das die „Querdenker“ ins Netz stellten. M. wartete kurz, bis er sich gegen die Buh-Rufe der Demonstranten Gehör verschaffen konnte - und blieb bei der Aufforderung an die Protestierer, die Straße des 17. Juni zu verlassen und die Demonstration zu beenden. Er ahnte damals vor gut drei Monaten noch nicht, welch gravierende Folgen seine Durchsage hatte. Er und seine Familie wurden massiv bedroht, sogar mit dem Tod.

Im August dachten die Corona-Aktivisten wegen einer Namensverwechslung zunächst, die Polizei habe einen Schauspieler zur Auflösung der Demonstration auf die Bühne geholt - was allerlei Verschwörungstheorien beförderte. Später aber machte die Szene der Corona-Leugner den Beamten M. dann doch ausfindig. Name, Foto, Privatadresse wurden auf einschlägigen Kanälen gepostet. Auch der rechtsextreme Vegan-Koch Attila Hildmann wirkte in seinen Kanälen auf sozialen Medien an der Verbreitung mit.

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Die Wirkung war heftig. Über Wochen wurde die Familie einem Telefon-Terror mit Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt, wie M.s Frau dem Tagesspiegel berichtet. Sie zählte an einem Tag allein 71 Anrufe. Und nahm schließlich das Telefon nicht mehr ab.

Derweil entlud sich die Wut der Corona-Demonstranten weiter im Netz. In einem „Krisendepesche“ genannten Blog schrieb einer: „Ich persönlich hoffe einfach das man ein Exempel an diesem Wixer statuiert und ihn an ein Kirchentor nagelt.“ M. sei mit seiner Durchsage am 1. August „vom deutschen Polizisten zum Genossen der Volkspolizei“ geworden.

Andere nahmen M. teilweise in Schutz: „Er hat Angst um seinen Arbeitsplatz.“ So aber sei es halt immer in einer Diktatur gewesen - es gebe eben „nur Befehlsempfänger“. Auf Facebook schrieb ein Demo-Teilnehmer: „Ich kann ihn verstehen, auch wenn ich enttäuscht bin, dass sich die Polizei nicht als gemeinsame Front gegen diese kranke Regierung erhebt.“

Zum Gottesdienst umdeklariert: Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Sonntag auf der Theresienwiese in München.
Zum Gottesdienst umdeklariert: Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Sonntag auf der Theresienwiese in München.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Mehrere Protestierer wollten Verzweiflung in den Augen von M. bei seiner Ansprache an die Demonstranten beobachtet haben. Einer kommentierte dazu: „Es ist mir SCHEIß egal, ob er dabei vielleicht Tränen in den Augen hatte! So mancher KZ Wärter oder Mauerschütze hatte vielleicht auch Tränen in den Augen oder hat gezweifelt.“

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M.s Frau wirkt bei der Schilderung der Geschehnisse noch immer geschockt. Die Familie machte sich Sorgen um die zwölfjährige Tochter, gab ihr Warnhinweise für den Schulweg. „Mein Mann hat seinen Job gemacht. Die ganze Familie wird bedroht. Das macht schon sehr nervös.“ Die Gattin des Polizisten beobachtet eine „sehr gefährliche Mischung“ bei den Teilnehmern der Corona-Proteste: „Zu viele Menschen, bei denen man nicht weiß, wie sie ticken.“

Die Schilderungen von Familie M. zu ihren Erlebnissen in den vergangenen Monaten passen zu Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP), laut denen die Auseinandersetzungen um die Durchsetzung von Corona-Maßnahmen - nicht nur bei Demonstrationen - immer aggressiver werden. GdP-Vizechef Jörg Radek berichtet über die Eskalationen, denen seine Kolleginnen und Kollegen ausgesetzt seien: „Da kommt es dann zu Widerstand. Das fängt an mit Beleidigungen, dann wird gepöbelt, gespuckt, angehustet.“

Umgekehrt treffen Corona-Leugner bei sogenannten „Hygiene-Demos“ und „Querdenken“-Protesten allerdings immer wieder auch auf eine überforderte Polizei, zuletzt etwa auch in München und in Dresden.

In München wurde Protest zum Gottesdienst umdeklariert

Am Sonntag in München beispielsweise tricksten die „Querdenker“ Polizei und Versammlungsbehörde schlicht aus, indem sie ihre Kundgebung mit rund 2000 Menschen auf der Theresienwiese zum Gottesdienst umdeklarierten.

Der Rechtsextremismus-Experte Robert Andreasch sagte dazu am Mittwoch dem Tagesspiegel, die Münchner Polizei habe sich am Sonntag „in jeder Hinsicht blamiert“. Sie habe die Versammlung erst quasi in letzter Minute aufgelöst und den Demonstranten damit den Schwindel durchgehen lassen. Es seien zudem viel zu wenige Beamtinnen und Beamte im Einsatz gewesen, um die „große Zahl an wildgewordenen Corona-Leugnern“ zu bändigen.

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Den Protestierern unterstellt er antidemokratisches Verhalten, sie sähen sich als „Ersatz-Autorität“ an, wenn sie Regeln wie die Ausnahme bei den Teilnehmerbeschränkungen für Gottesdienste für sich reklamierten. „Das erinnert mich an das Verhalten von Reichsbürgern, denen die aktuelle Gesetzeslage relativ wurscht ist“, sagt Andreasch.

Die Vorgänge in München haben inzwischen ein Nachspiel: Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche widersprachen laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks der Auffassung, dass es sich bei dem Spektakel auf der Theresienwiese um einen Gottesdienst gehandelt habe.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schrieb auf Twitter: „Es ist entlarvend, wie schamlos ausgerechnet angebliche Verteidiger der Grundrechte das Grundrecht auf Religionsfreiheit missbrauchen.“ Bayern Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kritisierte den Polizeieinsatz: „In Zukunft werden Polizei und Versammlungsbehörden solche Ablenkungsmanöver von Beginn an unterbinden“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

Mit Attesten zum Protest in Dresden

Die Demonstration wird behördenintern nachbereitet - so wie es eigentlich auch für eine „Querdenken"-Versammlung mit mehreren tausend Teilnehmern am vergangenen Samstag auf dem Theaterplatz in Dresden angezeigt wäre. Auch dort wurde die Polizei den Corona-Skeptikern nicht Herr. Hygiene-Auflagen wurden vielfach nicht durchgesetzt - weder die Maskenpflicht noch der Mindestabstand. Der sächsische Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann sprach von einer „Bankrotterklärung“ der Sicherheitsbehörden.

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Die sächsische Polizei rechtfertigte sich: Es hätten am Protest deutlich mehr Menschen teilgenommen als angemeldet. Auf die Maskenpflicht sei bei eintreffenden Versammlungsteilnehmern geachtet worden.

Im Polizeibericht heißt es dazu: „Dabei zeigten mehrere hundert Menschen Atteste oder Bescheinigungen, die auf eine Befreiung der Maskenpflicht abstellten. Inwieweit alle diese Bescheinigungen authentisch sind, konnte die Polizei vor Ort nicht abschließend klären. In einzelnen Verdachtsfällen leiteten die Beamten eine Anzeige wegen des Verdachts der Urkundenfälschung ein.“

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Sachsens Polizeipräsident Horst Kretzschmar verteidigte, dass die Polizei die Kundgebung in Dresden nicht aufgelöst hat. Ein Einschreiten hätte womöglich eine „Eskalation“ nach sich gezogen, sagte er der „Freien Presse“.

Überforderte Polizei? „Querdenken“-Protest am vergangenen Samstag in Dresden.
Überforderte Polizei? „Querdenken“-Protest am vergangenen Samstag in Dresden.

© Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild

Die antirassistische Initiative Hope aus Dresden protestierte dagegen am Mittwoch in einer Erklärung, die unter anderem auch von SPD, Linkspartei und Grünen sowie den Bündnissen Seebrücke, Dresden Nazifrei und Herz statt Hetze unterzeichnet ist: „Unbelehrbare Leugnerinnen und Leugner“ des Virus sowie angebliche „Kritikerinnen und Kritiker“ der Maßnahmen hätten sich am Samstag, gemeinsam mit AfD & Co., „auf engstem Raum, ohne Mindestabstand, ohne Mund-Nasen-Bedeckungen und mit unbeschränktem Alkoholkonsum“ versammeln dürfen.

Die Unterzeichner fragen: „Warum wird ein solches ,Superspreading-Event' nicht unterbunden und wegen Nichteinhaltung der Auflagen durch die Behörden aufgelöst?“

Vielleicht deshalb, weil die in Dresden eingesetzten Polizistinnen und Polizisten Angst vor den Reaktionen der Demonstrantinnen und Demonstranten hatten?

Im Fall Guido M. aus Berlin zeigt sich, dass diese - über die erwähnten Drohungen hinaus - langanhaltend sein können. Die Initiative „Querdenken“ bietet in ihrem Shop im Internet inzwischen T-Shirts mit dem nur leicht verfremdeten Konterfei des Berliner Polizeibeamten an. Noch immer haben die Corona-Skeptiker offenbar nicht verwunden, dass M. nicht in ihrem Sinne als „Held in die Geschichte“ eingegangen ist und seine angebliche „Chance“ vertan habe. Auf den schwarzen T-Shirts wird Polizist M. verhöhnt mit der Aufschrift „Sei ein Held. Mach das Richtige! Danke“.

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