Politik: Das Fürchten verlernen
Von Gerd Appenzeller
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Die Kunst der Diplomatie besteht darin, das Gegenüber von seinen friedlichen Absichten zu überzeugen. Dazu gehört, allem Fremden, Rätselhaften geduldig den Schrecken zu nehmen. Das Dunkelste aber zwischen Völkern sind die Vorurteile, die aus einer bösen Vergangenheit und jahrzehntelanger Unkenntnis des Nachbarn resultieren. In diesem Sinne haben Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, Richard von Weizsäcker oder Gesine Schwan – die Namen stehen für viele – in den vergangenen Monaten klassische Diplomatenarbeit geleistet. Dass sie es erfolgreich taten, darf man nach dem zweitägigen Besuch der Kanzlerin in Polen bilanzieren, ohne euphemistisch zu sein.
Von Helmut Kohl konnte man in der Europapolitik vor allem eines lernen: Die Großen müssen sich immer in die Welt der mittleren und kleinen Staaten hineinversetzen, und sie dürfen nichts tun, was von jenen als hegemoniales Streben verstanden werden könnte. Kohl wusste, dass nur in Diktaturen die Kleinen die Großen verstehen müssen, dass in der Demokratie aber die umgekehrten Gesetze gelten, in der Innen- wie der Außenpolitik. Dass Europa die Vereinigung Deutschlands weitgehend mit positiven Gefühlen begleitet hat, ist ein bleibendes Verdienst dieses Bundeskanzlers. Gerhard Schröder, dem das Land anderes von großem Gewicht zu verdanken hat, tat sich im Umgang mit den mittleren Mächten schwer. Darin war er übrigens dem französischen Staatspräsidenten Chirac sehr ähnlich, der konsterniert feststellte, dass ein Land wie Polen in der Irakkrise nicht einfach parierte.
Damit sind wir beim Kern jener polnisch-deutsch-europäischen Probleme, die Angela Merkel jetzt so engagiert ausräumen wollte. Der Regierung Schröder-Fischer, die in anderen Situationen ein gutes Gespür für internationale Stimmungen hatte, fehlten gegenüber Polen mehrfach die Sensoren für Warschauer Befindlichkeiten. Dass Polen – ein Beispiel für viele – das Ringen seines Nachbarn Ukraine um Demokratie mit heißem Herzen verfolgen musste, begriff die rot-grüne Bundesregierung erst, als der damalige polnische Präsident Kwasniewski Gerhard Schröder eindringlich um Hilfe bat. Mit dem Regierungs- und Machtwechsel zu den Brüdern Kazcynski vertiefte sich die Distanz zu Europa und zu Deutschland schlagartig. Beide, Präsident Lech und Premier Jaroslaw, kannten von Deutschland nur Vorurteile. Und da mit der Ablösung der alten Regierung auch die meisten Westeuropaexperten im Außenministerium gefeuert wurden, war da niemand, der über die wahren Verhältnisse und über das heutige Deutschland aufklären konnte.
Wenn Polen jetzt die „Berliner Erklärung“ unterschreiben wird, die beim europäischen Jubiläumsgipfel am nächsten Wochenende von den 27 Staaten verabschiedet werden soll; wenn Polen nun das von den USA gewünschte Raketenabwehrprogramm auf Nato-Ebene diskutieren wird; wenn Polen schließlich nicht mehr bei EU-Beschlüssen auf den von der Entwicklung überholten Stimmgewichtungen des Nizza-Vertrages beharrt: dann kann man – und man sagt damit nichts Falsches – darauf verweisen, dass die Kanzlerin bewundernswerte Überzeugungsarbeit geleistet habe.
Man kann aber auch, und das ist vielleicht langfristig die wichtigere Schlussfolgerung, auf jene Lernprozesse hoffen, bei denen die jungen EU-Staaten gegenüber den „alten“ einfach einen großen Nachholbedarf haben. Etwa, dass Kompromiss und Ausgleich keine Niederlagen sind, sondern Voraussetzung für das Wohlergehen der Gemeinschaft. Dass Europa schmerzliche Jahrhunderte gebraucht hat, um endlich ein Kontinent der Toleranz zu werden. Dass die europäische Einigungsidee jedes Hegemonialstreben unmöglich macht. Dass Europa in allen Außenbeziehungen geschlossen auftreten muss, wenn es denn Erfolg haben will. Und dass, schließlich, dieses Europa auf einem christlichen Menschenbild basiert.
Es sind genau diese Punkte, die die Kanzlerin bei ihrer Rede in der Warschauer Universität angesprochen hat, als sie um das Vertrauen Polens zu werben begann.
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