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Friede, Freude, Händeschütteln: Alexis Tsipras und Angela Merkel bemühten sich beim Berlin-Besuch um versöhnliche Gesten.

© Tobias Schwarz/AFP

Griechenland fordert 278,7 Milliarden Euro: Das Kalkül mit der Schuld

Athen fordert von Berlin 278,7 Milliarden Euro Reparationszahlungen – in Deutschland gibt es Kritik von SPD und CDU. Grüne und Linke stehen dem griechischen Ansinnen positiv gegenüber.

Bevor der griechische Premier Alexis Tsipras am Dienstagabend von Athen in Richtung Moskau startete, wurde er noch einmal sehr deutlich: 278,7 Milliarden Euro fordert die Regierung von Deutschland, als Wiedergutmachung für Gräuel und Zerstörungen, die deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Griechenland angerichtet haben. Vize-Finanzminister Dimitris Mardas bezifferte die Ansprüche am Montagabend in einer Parlamentsdebatte über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der den Ursachen der griechischen Krise nachgehen soll.

Die Moskaureise, die Reparationsforderungen und die Suche nach den Schuldigen für die Schuldenkrise haben einen gemeinsamen Nenner: Es sind politische Schachzüge, die vor allem die eigenen Wähler beeindrucken sollen. Sie belasten allerdings auch die Beziehungen zu den EU-Geldgebern weiter,

Das Thema der deutschen Reparationen hat allerdings nicht Tsipras entdeckt, es wird in Griechenland seit Jahrzehnten diskutiert. Aber bisher hat kein Athener Regierungschef die Reparationsfrage politisch so stark thematisiert. Minuten nach seiner Vereidigung ließ sich Tsipras zu einer Gedenkstätte für Nazi-Opfer im Athener Stadtteil Kesariani fahren, wo er vier rote Rosen niederlegte.

Auch in seiner Regierungserklärung ging Tsipras ausführlich auf die Reparationsfrage ein. Das ist in Griechenland ein populäres Thema. Über 90 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Forderung. Wenige Wochen später setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein, der die Ansprüche und ihre Durchsetzung prüfen soll.

Er stützt sich auf eine Studie des griechischen Rechnungshofes, die bereits im März 2013 abgeschlossen und als „geheim“ eingestuft wurde, bis eine griechische Zeitung sie vor vier Wochen veröffentlichte. Darin werden die Gesamtforderungen auf 269 bis 332 Milliarden Euro beziffert. Dabei wird sowohl eine Zwangsanleihe der griechischen Nationalbank an die SS-Besatzer als auch Forderungen der Opfer und zerstörte Infrastruktur eingerechnet. Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos drohte vergangenen Monat damit, er werde deutsche Liegenschaften in Griechenland zwangsversteigern lassen, wenn Berlin nicht zahle.

Geteiltes Echo in Deutschland

In Deutschland haben die erneuten Forderungen ein geteiltes Echo ausgelöst. Während Grüne und Linkspartei eine Zahlung einfordern, lehnt die CDU dies ab. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nannte es „dumm“, zum jetzigen Zeitpunkt solche Forderungen zu erheben. Griechenland habe eher ein Interesse daran, aktuell von den Partnern Spielräume bei der Bewältigung der Schuldenkrise zu bekommen, sagte der SPD-Chef am Dienstag in Berlin. Das habe aber mit Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg „gar nichts zu tun“.

Er sagte aber auch, Deutschland müsse sich immer wieder der Frage stellen, ob ausreichend sei, was man geleistet habe. „Auch wenn mit den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen eine formale Beendigung dieser Reparationsdebatte gegeben ist“, könne man in Deutschland „jedenfalls auf absehbare Zeit“ keinen Schlussstrich unter die Debatte über die Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen.

Der haushaltspolitische Sprecher der Union, Eckhardt Rehberg, warf der griechischen Regierung vor, die Schuldenkrise und die Reformauflagen mit Reparationen und Entschädigungen bewusst vermischen zu wollen. „Die Zahl von 278,7 Milliarden Euro angeblicher Kriegsschulden ist für mich nicht nachvollziehbar oder irgendwie belastbar“, sagte Rehberg der Nachrichtenagentur Reuters. „Das Thema Reparationen ist für uns politisch und juristisch abgeschlossen. Das gilt auch für die sogenannte Zwangsanleihe.“

Der europapolitische Sprecher der Grünen, Manuel Sarrazin, und die Vorsitzende der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Annette Groth von der Linkspartei, forderten dagegen die Rückzahlung eines vom NS-Besatzungsregime 1942 eingezogenen Zwangskredits. Alle anderen Ansprüche sollten Deutschland und Griechenland „gemeinsam und einvernehmlich“ vor dem Internationalen Gerichtshof prüfen lassen, sagte Sarrazin.

Groth ging noch einen Schritt weiter. „Die Zahl von 278,7 Milliarden Euro relativiert sich, wenn man sich die griechischen Schulden und die Anleihen-Aufkäufe der EZB jeden Monat anschaut“, sagte sie. Die Bundesregierung sollte zumindest mit der griechischen Seite darüber reden, wie sich die Zahl zusammensetze. „Das kategorische Nein der Bundesregierung kann jedenfalls nicht stehenbleiben“, sagte sie. (öhl/elsi/rtr)

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