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Um sein Wohl geht es vordergründig. Alexej Nawalny wurde vergiftet. Die Fragen sind: von wem - und wie soll man Druck auf Russland machen?

© Mladen Antonov, AFP

Putin und die Zukunft von Nord-Stream 2: Das Sanktions-Szenario hilft nicht bei der Aufklärung im Fall Nawalny

Hinter der Debatte um Nord-Stream-Sanktionen steckt die Frage, was wichtiger ist: Wirtschafts- oder Außenpolitik? Nawalny hilft sie nicht. Ein Gastbeitrag.

- Janis Kluge ist als Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) tätig.

Die Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny hat bei der deutschen Bundesregierung Bestürzung ausgelöst. Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Maas haben mit ungewöhnlicher Schärfe auf den Fall reagiert und Moskau zu Aufklärung aufgefordert. Aus Moskau sind bislang nur abwehrende und sarkastische Reaktionen zu vernehmen. Russische Politiker spekulieren gar über eine mögliche Vergiftung auf deutschem Boden. Vor diesem Hintergrund werden die Rufe nach neuen Sanktionen gegen Russland immer lauter.

Dabei richtet sich der Blick erneut auf das umstrittene Leuchtturmprojekt der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen: Nord Stream 2. Neu ist nun, dass die Bundesregierung diesen Fokus auf die Pipeline selbst verstärkt, anstatt wie zuvor in dieser Frage zu mauern. Wenn Maas davon spricht, er „hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern“, dann kann das nicht anders gelesen werden als ein Ultimatum in Richtung Moskau.

Die fast vollendete Ostseepipeline wäre kein gewöhnliches Sanktionsziel. In dem Projekt stehen energie- und außenpolitische Interessen seit Jahren in Konflikt. Energiepolitisch verspricht sie einen direkteren Zugang zum russischen Erdgas. Außenpolitisch belastet die Pipeline die Beziehungen zu wichtigen europäischen Partnerländern und zu den USA. Bislang hatte die Bundesregierung der Energie- und Wirtschaftspolitik den Vorrang eingeräumt und sich parallel um die Begrenzung der außenpolitischen Flurschäden bemüht, etwa bei ihrem Einsatz für die teilweise Erhaltung des ukrainischen Gastransits.

Mit jeder Verschlechterung im Verhältnis zu Moskau ist es schwieriger geworden, diese Politik zu rechtfertigen. Deshalb betrifft auch der Fall Nawalny die Zukunft des Projekts. Aber auch die Kosten eines Kurswechsels sind mit jedem verlegten Pipeline-Kilometer gestiegen.

Für einen kurzen Moment hatte es Ende 2019 so ausgesehen, als würden Washingtons völkerrechtswidrige Sanktionen gegen Nord Stream 2 ein Ende des Baus erzwingen und damit die Bundesregierung unsanft aus ihrem Dilemma befreien. Inzwischen hat Gazprom allerdings eine Perspektive für den Weiterbau geschaffen. Der US-Kongress zeigt sich währenddessen weiterhin fest entschlossen, mit immer härteren Maßnahmen die Pipeline doch noch zu stoppen.

Wenn nun in Berlin laut darüber nachgedacht wird, doch noch auf ein Ende von Nord Stream 2 hinzuwirken, dann geht es also nicht nur darum, Moskau zu bestrafen. Es wäre eine strategische Entscheidung, der Außenpolitik den Vorrang zu geben, was natürlich energie- und wirtschaftspolitische Schadensbegrenzung erforderlich machen würde.

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Berlin würde sich eines Krisenherds im transatlantischen Verhältnis entledigen und könnte in der Russlandpolitik auch innerhalb Europas glaubwürdiger auftreten. Russisches Gas müsste weiterhin in größerem Umfang durch die Ukraine nach Deutschland fließen. Für die am Bau von Nord Stream 2 beteiligten EU-Unternehmen entstünden Verluste, deren Höhe von den Sanktionsklauseln in ihren Verträgen abhängt.

Die vertrackte politische Ausgangslage macht es für die Bundesregierung aber sehr schwer, Nord Stream 2 im Fall Nawalny als Druckmittel gegenüber Russland einzusetzen. Zwar wäre ein Ende der Pipeline für Moskau durchaus schmerzhaft, und die Warnung von Maas hat sicherlich durch die Verknüpfung mit der Pipeline mehr Gehör gefunden. Eine solche Drohung hat als politisches Instrument durchaus ihre Berechtigung.

Im Fall Nawalny ist aber der Worst Case bereits eingetreten

Jedoch wäre sie eher geeignet, eine bevorstehende oder laufende Eskalation einzudämmen. Sollten russische Sicherheitskräfte etwa massiv in Belarus intervenieren, könnte mit der Androhung von Konsequenzen bei Nord Stream 2 Druck aufgebaut werden. Im Fall Nawalny ist aber der Worst Case bereits eingetreten. Um Russland im Nachgang dieses Falls zu einer – wie auch immer gearteten – Kooperation zu drängen, braucht es daher ein flexibleres Instrument.

Es bieten sich beispielsweise Finanzsanktionen oder die Listung russischer Offizieller an, weil sich diese – im Gegensatz zu Nord-Stream-2-Sanktionen – auch wieder rückgängig machen lassen. Nach einem Ende der Pipeline gäbe es für Moskau keinen Grund mehr, auf Forderungen Brüssels einzugehen. Auch ein Moratorium für den Pipelinebau wäre gleichbedeutend mit ihrem Ende. Alleine schon aufgrund der US-Sanktionen könnte die EU eine spätere Fortsetzung des Baus nicht garantieren. Darüber hinaus ist es nahezu ausgeschlossen, dass Russlands Außenpolitik in den nächsten Jahren umfassenden Anlass zum Weiterbau gibt.

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Sollen Sanktionen gegenüber Moskau irgendeine Form von Kooperation erreichen, müssen sie zudem an Bedingungen geknüpft werden, auf deren Umsetzung die EU tatsächlich hoffen kann – und sei es in ferner Zukunft. Eine zentrale Forderung der Bundesregierung an Moskau sind Ermittlungen zu den Hintergründen und Verantwortlichen der Vergiftung Nawalnys. Im Fall des Oppositionellen legen aber alle Indizien nahe, dass der russische Staat selbst die Verantwortung trägt. Eine tatsächliche staatliche Ermittlung ist damit so gut wie ausgeschlossen.

Die russische Seite würde bestenfalls mit inszenierten Ermittlungen reagieren, was ein neues Dilemma bei der Entscheidung über die Aufhebung der Sanktionen erzeugen würde. Naheliegender wäre es deshalb, die Sanktionen an die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention zu knüpfen. Dazu müsste Moskau – unabhängig vom Fall Nawalny – glaubhaft machen, dass offenbar bestehende Nowitschok-Bestände vernichtet wurden, und ggfs. Kontrollen zulassen. Schneller Erfolg ist allerdings auch hier nicht zu erwarten. Die EU müsste sich also darauf einrichten, dass die derzeit diskutierten Sanktionen gegen Russland für lange Zeit Bestand haben müssten.

Janis Kluge

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