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Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, stellt eine Aufklärungskampagne über Depressionen vor.

© Kay Nietfeld/dpa

Was hilft gegen Depressionen?: Das will Spahn mit dem Gesetz zur digitalen Versorgung erreichen

Das Digitale-Versorgungs-Gesetz will Depressions-Apps zur Kassenleistung machen. Wie steht es um die Versorgung von Depressiven - und was kann man selbst tun?

Vor zehn Jahren, am 10. November 2009, nahm der Fußball-Torwart Robert Enke sich das Leben. Enke hatte mit einer schweren Depression zu kämpfen gehabt. Sein Tod öffnete die Diskussion über die Krankheit, ermutigte Betroffene, sich Hilfe zu holen. Seitdem wurden Terminservicestellen für Notfälle eingerichtet, um Menschen in akuten Krisen besser zu helfen. Der Versorgungsmangel aber bleibt. Gesundheitsminister Jens Spahn will dem neue Behandlungsalternativen entgegensetzen: Am Donnerstag verabschiedete der Bundestag das Digitale Versorgungs-Gesetz, das Apps für mentale Gesundheit in die Krankenkassenfinanzierung eingliedern soll. Ob die Apps helfen, ist aber strittig.

Mehr als vier Millionen Deutsche haben Depressionen. Hat sich etwas geändert im Umgang mit der Krankheit?

„Der Fall Enke hat etwas in Bewegung gebracht“, sagt die Psychiaterin Iris Hauth, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Alexianer Krankenhauses in Berlin-Weißensee und Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Ein Zeichen für das gestiegene Bewusstsein für psychische Erkrankungen liefert die Zahl der Krankheitstage. Seit 2006 ist die Zahl der Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen konstant angestiegen, erst im vergangenen Jahr war sie wieder rückläufig. Psychische Krankheiten sind die dritthäufigste Krankschreibungsursache, wie der DAK-Gesundheitsbericht 2019 zeigt. Rechnet man die Krankheitstage pro 1000 Versicherte aus, fielen Arbeitnehmer 2007 für 422 Tage aus, 2017 waren es schon 920 Tage. Dabei ist Depression mit Abstand die häufigste Diagnose, wenn ein Arbeitnehmer sich wegen mentalen Unwohlseins krankschreiben lässt.

Diese Zahlen weisen mitnichten auf mehr Depressive hin – der Anteil der Depressionserkrankten bleibt konstant, sagen Experten. Grundsätzlich erkrankt ein Viertel aller Erwachsenen im Laufe eines Jahres an einer psychischen Erkrankung, die Behandlung erfordert.

Was sich ändert, ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Depressionen. Vergleicht man die Einstellung der Bevölkerung im Jahr 2011 mit der von 1990, wie das die Psychiater Georg Schomerus und Matthias Angermeyer von der Uni Leipzig in einer Studie getan haben, dann zeigt sich: Das Wissen über psychische Erkrankungen ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen, man findet es allgemein gut, dass sie mit Medikamenten und Psychotherapien behandelt werden können. Außerdem zeigt man sich selbst etwas offener für den Kontakt mit Mitmenschen, die unter einer Depression leiden. Die Befragten äußerten 2011 etwas mehr Mitleid und Hilfsbereitschaft und etwas weniger Befangenheit als 1990.

Was weiß man über die Ursachen von Depressionen?

Inzwischen gilt als unbestritten, dass für die Entstehung einer Depression neben Umweltfaktoren die Biologie eine wesentliche Rolle spielt. „Wir wissen, dass es eine besondere genetische Vulnerabilität gibt, und wir haben mehrere Genorte dafür im Verdacht“, sagt Iris Hauth. 2018 ist es einem internationalen Forscher-Konsortium gelungen, 44 solcher Risiko-Varianten zu identifizieren Einschneidende, besonders belastende Lebensereignisse oder auch chronischer Stress führen dem biopsychosozialen Krankheitsmodell zufolge dann dazu, dass diese Gene aktiv werden und die Verfügbarkeit wichtiger Botenstoffe im Gehirn negativ beeinflussen.

In den letzten Jahren ist besonders der Stress am Arbeitsplatz als ein solcher Auslöser in den Fokus geraten. Die Behandlung mit einem psychotherapeutischen Verfahren und (besonders im Fall der schweren Depression) auch mit Medikamenten muss deshalb oft auch von Veränderungen im Alltag flankiert werden, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Solche Veränderungen sollten in vielen Fällen schon weit früher ansetzen. „Wir wissen mittlerweile viel darüber, wie man sich körperlich fit hält“, sagt Iris Hauth. „Was aber fehlt, ist ein Grundwissen zur seelischen Balance, und das sollte schon in der Schule vermittelt werden.“

Was kann ich selbst tun?

Resilienz aufbauen! Mittlerweile ein Modewort und Thema zahlreicher Ratgeber, ist die psychische Widerstandsfähigkeit doch entscheidend, wenn im Leben etwas schiefgeht. Ihre Säulen sind Optimismus, Akzeptanz von Situationen, das Verlassen der Opferrolle, Lösungsorientiertheit, Kontaktfreudigkeit, das Gefühl von Selbstwirksamkeit, eine realistische Selbsteinschätzung und Visionen für die Zukunft zu haben. Die schlechte Nachricht: Viele dieser Faktoren sind durch Gene und Erziehung vorbestimmt. Die gute Nachricht: Selbst bei erwachsenen Menschen ist noch nichts verloren. Christian Peter Dogs, führender deutscher Resilienzforscher und Buchautor, erzählte in der Sendung „Planet Wissen“ von seiner eigenen Biografie, die von Vernachlässigung und Drogenkonsum geprägt war. Er meint: Erst der Umgang mit Krisen macht uns resilient, dazu kommt tägliche Achtsamkeit und eine gesunde Alltagsgestaltung mit sozialen Kontakten und Bewegung. Wir können aber nicht nur uns selbst, sondern auch unserer Umwelt helfen, resilient zu werden. „Wertschätzung ist das Beste, um resilient zu werden“, sagt Dogs vor allem mit Blick auf das Miteinander am Arbeitsplatz. Prophylaktisch wirken will auch die Achtsamkeitsbewegung: Durch Innehalten mehrmals am Tag und Übungen, bei denen der Fokus auf Atem und das Befinden des Körpers von Kopf bis Fuß gelegt wird, sollen Nutzer und Nutzerinnen dieser Methoden besser auf sich achtgeben. Mit ähnlichen Methoden arbeiten auch Psychotherapeuten, denn häufig geht es bei einer Depression um ein gestörtes, von Widerwillen geprägtes Verhältnis zum Selbst. Das soll durch Selbstfürsorge aufgebrochen werden: Eine Übung besteht etwa darin, sich eine Liste mit schönen, gesunden Aktivitäten aufzuschreiben und diese in den Alltag einzubauen.

Wo kann man Hilfe suchen?

Bei akuten depressiven Episoden können der Krisendienst oder die Telefonseelsorge mit einem ersten Gespräch helfen. Die Terminservicestelle kann Termine bei Psychotherapeuten oder Psychiatern für eine erste Begutachtung vermitteln. Das bedeutet aber nicht, dass Betroffenen die Therapieplatzsuche erspart wird – wer nicht privat zahlt, muss mit einer mühevollen Suche und langen Wartezeiten rechnen.

Im Bundesdurchschnitt warteten Patienten 2017 insgesamt 19,9 Wochen, also fast fünf Monate auf einen Platz bei einem kassenzugelassenen Psychotherapeuten. Bei akuten Fällen hat jeder Berliner Bezirk aber mindestens eine psychiatrische Notaufnahme und bietet stationäre und ambulante Betreuung in den bezirklichen Krankenhäusern an.

Bei langwierigen Erkrankungen helfen spezialisierte Kliniken mit Aufenthalten von vier Wochen bis zu mehreren Monaten. Eine niedrigschwellige Möglichkeit zum Austausch können auch Selbsthilfegruppen sein, die man in Berlin über die Webseite der Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle findet. Das Wichtigste: Die Scham ablegen, mit vertrauenswürdigen Personen sprechen, im Notfall auch mal einen Freund oder Verwandten einen Anruf machen lassen.

Haben Sie dunkle Gedanken? Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können. Der Berliner Krisendienst ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern variieren nach Bezirk, die richtige Durchwahl für Ihren Bezirk finden Sie hier.

Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de

Wie sieht die Behandlung heute aus?

Psychotherapie und medikamentöse Behandlung sind die zwei gängigsten Methoden. Bei leichten und mittelschweren Depressionen wirken Psychotherapien oft allein, in schwereren Fällen helfen meist Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, das Niveau an Glückshormonen im Körper stabil zu halten und so genügend Energie für den Alltag freizusetzen.

Diese Medikamente können allerdings nur Ärzte verschreiben, psychologische Psychotherapeuten sind dazu nicht berechtigt. Bei der Psychotherapie sind derzeit drei Verfahren ambulant erstattungsfähig: Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie. Als viertes Verfahren im Bunde wird die Systemische Therapie dazukommen. Bei stationären Aufenthalten kommen körper- und wahrnehmungsbetonte Aktivitäten wie Kunsttherapie, autogenes Training, Sportangebote, Bäder sowie Gruppentherapien zum Einsatz.

Nur erreichen diese Angebote längst nicht alle, die es nötig hätten: Eine Analyse der Robert-Koch-Stiftung zeigt, dass zwei Drittel der innerhalb eines Jahres an Depression Erkrankten keine psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen – was auf das immer noch bestehende Stigma einerseits und hohe Hürden wie die Wartezeiten andererseits zurückzuführen ist.

Was ist von Apps und Onlineangeboten zu halten?

Das „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) sieht vor, dass gesetzlich Versicherte künftig einen Anspruch auf „risikoarme digitale Gesundheitsanwendungen“ haben, etwa auf internetbasierte Unterstützung beim Selbstmanagement. Die Fachgesellschaften begrüßen das vom Prinzip her. DGPPN und Deutsche Gesellschaft für Psychologie kritisieren allerdings in einer Stellungnahme vom Juli dieses Jahres, dass der Gesetzentwurf nicht zwischen gesundheitsfördernden Apps und internetbasierten therapeutischen Interventionen für den Krankheitsfall unterscheidet.

„Beide sollen auch ohne Rezept, zum Teil direkt über die Krankenkasse zu erhalten sein. Bei einer Behandlung ohne vorherigen Arztbesuch könnten Diagnosen übersehen und damit das Patientenwohl gefährdet werden“, monieren die Fachgesellschaften. Eine Bewertung von Stiftung Warentest attestierte vier von acht getesteten Apps gegen Depressionen positive Effekte, die anderen vier fielen dagegen durch. Einen Ersatz für professionelle Hilfe stellen sie sicherlich nicht dar, vielmehr können sie als Einstieg, Überbrückung und Begleitung dienen.

nders sieht es aus bei Online-Therapien, etwa über Videotelefonie oder Direktnachrichten: Mehrere Studien bescheinigen der Online-Psychotherapie eine vergleichbare Wirkung zur Therapie im klassischen Sessel oder auf der Couch, schreibt das „Ärzteblatt“. Als reguläre Psychotherapie ist diese Methode aber nicht zugelassen, denn in Deutschland gilt das Fernbehandlungsverbot. Deshalb bieten Psychotherapeuten häufig „Onlineberatungen“ an.

Die Krankenkassen und Verbände fordern schon länger die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots. „Es schränkt uns ein, mit weiteren Angeboten die Versorgungsprobleme in der ländlichen Region zu beseitigen“, sagte Manon Austenat-Wied, Landesvertretungsleiterin der Techniker Krankenkasse (TK) in Mecklenburg-Vorpommern, in einer Mitteilung.

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