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Ralf Stegner (SPD) bei einer Rede im Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Debatte über Umgang mit Ukraine-Krieg: Stegner vergleicht Kritik an Russlandpolitik mit Rhetorik im Dritten Reich

Der Ex-SPD-Vize moniert einen „rechthaberischen Kulturkampfton“. Dabei sieht er die Friedensbewegung durch politische Gegner diskreditiert.

Der SPD-Politiker Ralf Stegner beklagt eine zunehmende verbale Radikalisierung im politischen Diskurs über den Krieg in der Ukraine. „Die Rhetorik erinnert manchmal erschreckend an Zeiten, die 80-108 Jahre zurückliegen“, schreibt der Bundestagsabgeordnete am Donnerstag auf Facebook.

„Die Unerbittlichkeit der Auseinandersetzungen hier in Deutschland verkennt, dass die Leidtragenden von Putins Überfall auf die Ukraine die dortige Zivilbevölkerung ist“, führte Stegner weiter aus.

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Und weiter: „Viele, die mit markigen Worten darüber reden, westliche Werte zu verteidigen, erwecken auf mich den Eindruck, dass sie aus bequemer eigener Situation von denen wie Schachfiguren reden, die den Kriegsfolgen schutzlos ausgeliefert sind und mit jedem weiteren Kriegstag mehr Opfer zu beklagen haben.“

Stegner kritisierte, dass die Auseinandersetzung mit der Russlandpolitik der vergangenen Jahrzehnte „einen rechthaberischen, besserwisserischen und unversöhnlichen Kulturkampfton“ angenommen habe, „der zusammen mit der kompletten Versessenheit auf militärische Binnenlogik mehr als verstörende und befremdliche Züge“ trage. „Manches erinnert allzusehr an das blutige 20. Jahrhundert und an Fehlentwicklungen, von denen man dachte, sie seien längst überwunden.“

Zielt Stegners Kritik auf Merz?

Mit der Kritik zielt Stegner wohl vornehmlich auf Äußerungen aus der Union ab. CDU-Chef Friedrich Merz etwa hatte die Absage der ukrainischen Regierung an einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Zeichen für Unmut über die Russlandpolitik der Sozialdemokraten gewertet.

„Offensichtlich sitzen die Vorbehalte gegen die Russlandpolitik der SPD in vielen osteuropäischen Ländern sehr tief. Und das wiederum kann ich gut verstehen“, sagte Merz der „Rheinischen Post“ am Donnerstag.

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Stegner entgegnete in seinem Facebook-Post nun verallgemeinert, dass derlei Generalangriffe „wirklich daneben und besonders dreist“ seien, „wenn sie von der Seite derer kommen, die unter der langen Kanzlerinnenschaft von Frau Merkel diese Politik mit uns gemeinsam gemacht haben, die übrigens keineswegs überwiegend oder vollständig falsch war“.

SPD-interner Streit über Waffenlieferungen

Zugleich untermauerte der ehemalige SPD-Vize seine ablehnende Haltung gegenüber der möglichen Lieferung Deutschlands von schweren Waffen an die Ukraine – ein Thema, das in der SPD für Kontroversen sorgt.

„Die bislang nicht abgestimmte Position von Ausschussvorsitzenden wie meinem Kollegen Michael Roth teile ich ausdrücklich überhaupt nicht“, schreibt Stegner.

Roth, der den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags innehat, hatte die Lieferung schwerer Waffen am Dienstag als in der SPD „mehrheitsfähig“ bezeichnet und nach einem Besuch in der Ukraine für weitere Waffenlieferungen plädiert.

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Stegner kritisierte, dass Haltungen wie die seine „mit großer moralischer Empörung zurückgewiesen und als unmoralisch, naiv, pazifistisch oder russlandfreundlich gebrandmarkt“ würden.

„Die scharfen Sanktionen gegen Putins Regime werden lächerlich gemacht“, schreibt er und betont in diesem Zusammenhang, dass die Besonnenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz von großen Teilen der Bevölkerung geschätzt werde.

Unmittelbar vor der Veröffentlichung seines Posts hatte die ARD ein Umfrageergebnis veröffentlicht, wonach die Mehrheit der Bundesbürger die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine befürwortet. Demnach sprechen sich 55 Prozent in einer Befragung des Instituts Infratest dimap dafür aus; 37 Prozent sind dagegen.

Kritik an Friedensbewegung sei „unverschämt“

In seinem Beitrag kritisiert Stegner außerdem die Diskreditierung der Friedensbewegung. Diffamierungen von Friedensdemonstranten als „fünfte Kolonne Moskaus“ erinnern ihn an den unseligen Satz des ehemaligen CDU-Politikers Heiner Geissler, wonach „der Pazifismus Auschwitz erst möglich gemacht“ habe.

„Dem hat seinerzeit Willy Brandt zurecht entgegengehalten, dass eine solche Unverschämtheit an die Hetze von Joseph Goebbels gegen die deutsche Sozialdemokratie anknüpfe“, schrieb Stegner, der dem linken Parteiflügel angehört. „Schuld am Krieg sind die Putins und nicht die Friedensdemonstranten oder Diplomaten und Friedenspolitiker.“

Zugleich räumte Stegner die Notwendigkeit von Kursänderungen in der deutschen Politik ein. Hierzu zählten der Zustand der Bundeswehr, die übertriebene Energieabhängigkeit von Russland oder der Optimismus, dass der russische Präsident Wladimir Putin rational handeln würde.

„Das wird korrigiert, wie das der Bundeskanzler in seiner Zeitenwende-Rede im Deutschen Bundestag angekündigt hat“, schreibt Stegner. „Der Wunsch auch das zu diskreditieren und zu korrigieren, was Konservative, Bellizisten und Kalte Krieger schon immer falsch fanden, nämlich Ost- und Friedenspolitik, Diplomatie und Atomausstieg, Rüstungskontrolle und ökonomische Zusammenarbeit sowie humanitäre Hilfen und Entwicklungszusammenarbeit - das wird es mit uns nicht geben.“

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