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David Cameron will die Briten nun über die EU-Mitgliedschaft des Landes abstimmen lassen.

© dpa

EU-Referendum und Berlin-Besuch: Dem Zauberlehrling Cameron ist nicht mehr zu helfen

Der britische Premier David Cameron irrt, wenn er glaubt, es wie Maggie Thatcher machen zu können. Er denkt, er schwimme auf einer Welle der Europamüdigkeit. In Staaten wie Polen, Ungarn oder Griechenland aber wird er keine Verbündeten finden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Das Verhältnis zwischen England und Kontinentaleuropa ist anhaltend aktuell durch eine Schlagzeile beschrieben, wie sie seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einer britischen Zeitung zugeschrieben wird. Die titelte, wird erzählt, über den Wetterbericht: „Fog in Channel – Continent Cut off“. Die so zitierte Zeitung hat noch keiner vorlegen können, aber die Geschichte erzählt sich einfach gut, weil sie zutreffend ist. Richard von Weizsäcker, der in Oxford studiert hat, nutzte sie gerne, um die englische Position gegenüber der EU zu beschreiben.

David Camerons anti-europäische Politik reiht sich schlüssig in die traditionelle Haltung seines Landes gegenüber dem Festland ein. London beobachtet misstrauisch, was sich dort tut, versucht, vor allem wirtschaftlich zu profitieren und möglichst wenig von den eigenen Rechten preis zu geben. Maggie Thatcher, in mancherlei Beziehung David Camerons Vorbild, hat dieses Prinzip mit ihrem Schlachtruf „I want my money back“ genauso plakativ wie erfolgreich in die Tat umgesetzt. Ein weiteres Grundelement britischer Europapolitik hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg erledigt : möglichst die Dominanz eines europäischen Staates über alle anderen zu verhindern.

Er wollte die Ukip-Partei marginalisieren

In einem entscheidenden Punkt freilich unterscheidet sich Camerons Ausgangslage von der der eisernen Lady. Cameron ist ein Getriebener, der nun geradezu besessen eine Politik verfolgen muss, die ihm so radikal ursprünglich nicht vorschwebte. Um die Europa-kritische Ukip-Bewegung zu marginalisieren, setzte er sich selbst an die Spitze derer, die eine Reform der Europäischen Union und mehr Sonderrechte für London forderten. Ukip hat tatsächlich nur einen Abgeordneten durchgebracht, aber das liegt am britischen Mehrheitswahlrecht. Die Partei selbst kam bei der britischen Unterhauswahl auf 12,5 Prozent und ist damit stärker als die Liberalen geworden, mit denen Cameron bis zum Frühjahr regierte. Nun ist er mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet, und muss tun, was er versprach – der Zauberlehrling wird die Geister nicht mehr los, die er rief, und anders als bei Goethe wird es keinen alten Hexenmeister geben, der ihm aus der Patsche hilft.

Noch glaubt der britische Premier, er schwimme auf einer Welle von Europamüdigkeit und Überdruss, die viele Länder der EU erfasst hat: Polen, Ungarn, Griechenland. Aber deren Motive sind so, dass sich Cameron eigentlich nicht mit ihnen schmücken darf. In Polen ist der Wechsel im Präsidentenamt hin zu den Konservativen vor allem ein Generationswechsel, die ungarische Regierung wird von massiver Fremdenfeindlichkeit getrieben, die griechische von wirtschaftlicher Not.

Weder in Polen noch in Ungarn oder Griechenland oder in einem anderen EU-Land fordern politisch relevante Kräfte eine Änderung des Vertrages von Lissabon, der die rechtliche Basis der Union bildet. Alle außer Cameron, der offenkundig keine Vorstellung von den damit verbundenen Problemen hat, scheuen sich vor Neuverhandlungen. Die würden sich über Jahre hinziehen, ihre Ergebnisse müssten nicht nur in Irland, sondern vermutlich auch in den Niederlanden und in Frankreich einem Referendum unterworfen werden.

Ohne England wäre die EU geschwächt

Wenn David Cameron also am heutigen Freitag mit der Bundeskanzlerin über seine Vorstellungen von Europa spricht, wird er von Angela Merkel das zu hören bekommen, was sie ihren Sprecher Steffen Seibert so formulieren ließ: Die Bundesregierung wünsche sich wie viele andere in Europa „ein starkes Großbritannien in der EU“. Auch in Den Haag, Paris und Warschau, wo er am Donnerstag vorsprach, wird er kaum Verständnis für seine Forderung finden, die Freizügigkeit in der EU einzuschränken, um mehr Kontrolle über die Einwanderung zu gewinnen. Freizügigkeit gehört eben zu den Grundfreiheiten Europas. Würde er seine Vorstellungen auf ein vernünftiges Maß reduzieren, sähe das anders aus. Auch in Deutschland, den Beneluxländern und in Skandinavien gibt es nämlich massiven Widerstand gegen alles, was wie eine Migration in die Sozialsysteme aussieht.

Ohne England wäre die Europäische Union im globalen Konzert der Mächte militärisch geschwächt, wirtschaftlich zurückgeworfen und diplomatisch erheblich weniger einflussreich. England ohne Europa würde sich zwangsweise noch mehr Richtung USA orientieren müssen, wäre da aber wie zu Tony Blairs Zeiten der Schwanz, der glaubt, mit dem Hund zu wackeln. Fog in Channel – Britain Cut off?

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