zum Hauptinhalt
Wild entschlossen. Normalerweise muss Gregor Gysi seine Fraktionskollegen zähmen. Hier ist er jedoch im Oktober zu Besuch im „Circus Krone“ und übernimmt die Patenschaft für ein noch namenloses Löwenbaby.

© Kumm/dpa

Gregor Gysi und die Problemfälle: Der Dompteur im linken Gehege

Gregor Gysi ist 66 und will irgendwann regieren. Doch die ideologischen Problemfälle in der Linken bekommt er einfach nicht in den Griff. Macht das Rot-Rot-Grün im Bund unmöglich?

Von Matthias Meisner

Es wäre ein besonderes Ereignis. Der Linken-Fraktionschef Gregor Gysi hält es sogar für „historisch“: 24 Jahre nach der Wiedervereinigung soll die erste rot-rot- grüne Koalition mit einem Linken-Ministerpräsidenten zustande kommen. Die Wahl von Bodo Ramelow, die am 5. Dezember im Thüringer Landtag stattfinden soll, erregt die Gemüter. Ausgerechnet in diesen Wochen, in denen es nun richtig ernst wird, leistet sich die Linkspartei einen heftigen internen Streit um den außenpolitischen Kurs, der sich vor allem um das Verhältnis zu Russland und um Israel- Hasser in den eigenen Reihen dreht. Und stellt damit selbst infrage, ob sie mit ihren Positionen fit ist für eine Regierungsbeteiligung 2017 im Bund. Für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ist das relevant, denn ein Bündnis mit Grünen und Linken ist absehbar seine einzige Chance, Kanzler zu werden.

Woran entzündete sich der Streit?

Im Rückblick scheint es, als ob manche in der Linken auf einen Eklat nur gewartet hätten. Und dann bekamen sie ihn im November frei Haus geliefert, ausgerechnet rund um den Jahrestag der Reichspogromnacht. Ein „Fachgespräch“ in einem Parlamentsgebäude, zu dem die beiden Linken-Abgeordneten Inge Höger und Annette Groth die Israel-kritischen Journalisten David Sheen und Max Blumenthal in den Bundestag eingeladen hatten, eskalierte völlig – ein wütender Trupp zog zum Abgeordnetenbüro von Gregor Gysi.

Der Vorwurf: Gysi habe Veranstaltungen, die im Namen der Fraktion stattfinden sollten, verhindert. Von Sheen wurde der Fraktionschef bis auf die Bundestagstoilette verfolgt. Videos der Verfolgungsjagd landeten im Netz. Darin deutlich zu sehen ist: Spalier standen außer Höger und Groth auch deren Abgeordnetenkollegin Heike Hänsel, außerdem Parteivorstandsmitglied Claudia Haydt.

Zunächst ging es nur um das in den sozialen Netzwerken rasch so genannte „Toilettengate“ – den Übergriff auf Gysi. Weniger um die Einladung an die beiden Journalisten, die vor linkem Publikum offenbar unwidersprochen Boykottaufrufe gegen Israel richten konnten. Doch genau das hält der pragmatische Flügel der Fraktion – vor allem also Abgeordnete aus Ostdeutschland – einem Teil ihrer linken West-Kollegen vor. „Eine klitzekleine Minderheit, die uns alle nervt mit einer absurd verzerrten Nahostdebatte“, sagt beispielsweise der Berliner Abgeordnete Stefan Liebich, Mitinitiator eines Appells „Ihr sprecht nicht für uns“, den mehr als 1000 Parteimitglieder unterschrieben – Vorfälle wie das Toilettengate dürften nicht als Petitesse abgetan werden.

Welche Rolle spielt Gysi?

Die Legislaturperiode hat für Gregor Gysi im Herbst 2013 prima begonnen – Oppositionsführer im Bundestag, damit konnte der Linke mehr als zufrieden sein. Er darf, wenn er will, bei Regierungserklärungen direkt nach der Kanzlerin sprechen. Erst neulich, als seine Fraktion einen Empfang gab zum 60. Geburtstag von Fraktionsvize Klaus Ernst, erlaubte sich Gysi sogar einen Witz an die Adresse des dortigen Laudators Oskar Lafontaine. „Was du wahrscheinlich inzwischen sehr bereust, dass du mich in die Politik zurückgeholt hast“, sagte Gysi in Anspielung auf seine Auseinandersetzungen mit dem früheren Parteichef. Das sollte auch heißen: Ich bin noch da – und du nicht mehr. Lafontaine lächelte verschämt.

Und müsste Gysi denn nicht eigentlich jetzt besonders frohgemut sein, dass sein Parteifreund Ramelow gute Chancen hat, bald Regierungschef von Thüringen zu werden? Doch ausgerechnet bei seiner Einschätzung zu Erfurt erlaubte sich Gysi einen krassen Fehler, indem er die Richtigkeit des dort von Rot-Rot-Grün ausgehandelten Begriffs „Unrechtsstaat“ für die DDR anzweifelte. Im Willen, eine aus seiner Sicht wichtige Wählerklientel anzusprechen, setzte er das Erfurter Bündnis beinahe aufs Spiel. Der SPD-Politiker Wolfgang Tiefensee, der jetzt Wirtschaftsminister in Thüringen werden soll, sagte damals nach Gysis Einlassung, „bedeutende Teile“ der Linkspartei hätten „das Erbe der SED noch nicht überwunden“. Und weiter: „Für die Linken-Politiker, die in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit längst weiter sind, muss Gregor Gysis Beitrag einen großen Rückschritt bedeuten.“

Gysi verfährt häufig nach diesem Muster. Auch jetzt in der Diskussion um die scharfen Israel-Kritiker in seiner Fraktion. Deren Entschuldigung nahm er an – zugleich verteidigte er die Beschwerdeführer des Realo-Flügels. Am Ende aber möchte Gysi die Bedeutung des Vorfalls herunterspielen. „Er will das deckeln“, heißt es aus der Fraktionsführung. Offenbar spielt dabei auch die Sorge eine Rolle, ein oder zwei der in die Enge getriebenen Abgeordneten könnten die Linke verlassen und als fraktionslose Abgeordnete im Bundestag bleiben. Dann wäre die Oppositionsführerrolle von Gysi dahin, denn die Grünen haben derzeit im Bundestag nur einen Abgeordneten weniger als die Linke.

Bleibt die Linke eine zerrissene Partei?

Als der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, jetzt der „Bild“- Zeitung sein Abschiedsinterview gab, bemühte er sich um ein differenziertes Bild. Einerseits gebe es „regelrechte Israel-Hasser in der Linken, wie wir es immer wieder erleben, auch in den letzten Wochen“, erklärt er. Umgekehrt sieht er auch Linke, „die Israel sachlich kritisieren“. Es ist ein Appell zur Klärung der Standpunkte – der bei der Linken aber folgenlos blieb. Zwar wurde diskutiert, Höger, Groth und Hänsel die Sprecherposten in der Fraktion abzuerkennen – eine Mehrheit dafür zeichnet sich aber nicht ab. Deswegen wird wohl auch folgenlos bleiben, dass die drei Parlamentarierinnen am Montag vor den Fraktionsvorstand zitiert werden.

Im Gegenteil: Die Diskussion wendet sich jetzt gegen jene, die den Appell „Ihr sprecht nicht für uns“ gestartet haben – etwa den Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn. Im Bundesausschuss, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen, wurde er am Wochenende heftig persönlich kritisiert, ebenso erging es ihm im geschäftsführenden Parteivorstand. Von einer „Niederlage für diejenigen, die diesen unsäglichen Aufruf gemacht haben“, ist beim linken Flügel die Rede. Während es die Anhänger Höhns „einfach irre“ finden, dass über den „skandalösen Vorgang“ rund um die Einladung der Israel-Kritiker in den Bundestag gar nicht mehr diskutiert wird. „Wir müssen zurück zur Politik“, verlangt derweil der stellvertretende Parteivorsitzende Tobias Pflüger – als positives Beispiel nennt er dafür, dass Gysis Stellvertreterin Sahra Wagenknecht Kanzlerin Angela Merkel heftig wegen der Russland-Politik attackierte und ihr „Kriegstreiberei“ vorwarf. „Das fand ich gut“, sagt Pflüger.

Können SPD und Linke auch im Bund zusammenkommen?

Wer über die Zukunft der Linken spekuliert, kommt in keinem Fall an Sahra Wagenknecht vorbei. Im Herbst will sie zur Fraktionschefin gewählt werden – notfalls den Job gemeinsam mit Gysi übernehmen, wogegen dieser sich sträubt. Sie verteidigt ihre Bündnisgenossen vom linken Flügel – nicht nur Höger, Groth und Hänsel. Es gibt eine ganze Reihe weiterer „Problemfälle“ in der Fraktion – Diether Dehm aus Niedersachsen zum Beispiel, dem Funktionäre der Linksjugend erst dieser Tage vorwarfen, er sei geleitet von einem „verschwörungsideologischen Wahn“. Andere Abgeordnete machten auf sich aufmerksam, indem sie dem russischen Propagandasender RT Deutsch Interviews gaben – so beispielsweise auch Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke.

Für die Bundes-SPD genügt das, um hervorzuheben, Thüringen habe mit der Bundespolitik nichts zu tun. Das ist nur die halbe Wahrheit. Doch noch bewirkt der fast sozialdemokratische Bodo Ramelow eben tatsächlich nicht eine Veränderung linker Bundespolitik. Derweil umarmt SPD-Chef Gabriel den Liedermacher Wolf Biermann nach dessen giftiger Attacke („Drachenbrut“) gegen die Linke im Bundestag demonstrativ. Gysi hat das brüskiert. Darüber reden mag er nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false