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Vertrauensvoll. Wer sich in die Hände eines Arztes begibt und mit der Behandlung unzufrieden ist, hat Rechte.

©  Jens Schierenbeck/dpa

Der neue Patientenbeauftragte Stefan Schwartze: „Wir brauchen wirklich unabhängige Beratung“

Der neue Patientenbeauftragte Stefan Schwartze drängt auf mehr Hilfe für Opfer von Behandlungsfehlern. Ein Interview.

Hat Sie die Ernennung zum Patientenbeauftragten der Bundesregierung überrascht? Sie hatten ja vorher mit Gesundheitspolitik im Speziellen nichts zu tun…

Klar, war ich überrascht. Ich bin mir aber sicher, mit dieser neuen Aufgabe nahtlos an das anknüpfen zu können, was ich 12 Jahre lang im Petitionsausschuss des Bundestages gemacht habe. Dort waren gesundheitspolitische Anliegen das größte Themenfeld. Und ich bin es gewohnt, die Perspektive von Betroffenen – in diesem Fall von Patientinnen und Patienten – einzunehmen. Außerdem habe ich hier ein sehr gutes Team, das mir zuarbeitet.

Der neue Patientenbeauftragte Stefan Schwartze.
Der neue Patientenbeauftragte Stefan Schwartze.

© imago images/Metodi Popow

Wie würden Sie Ihre Aufgabe denn definieren? Als Kummerkasten der Nation? Oder eher als kraftvoller gesundheitspolitischer Akteur und Mitgestalter?

Beides. Aus dem, was uns die Menschen schreiben, lässt sich erkennen, welche Schwierigkeiten es im System gibt. Wo Schwachstellen der Gesetzgebung sind, vielleicht Fehler gemacht wurden. Das ist wie bei einem Seismographen. Dann gilt es, diese Probleme kraftvoll anzugehen.

Die Position des Patientenbeauftragten gibt es seit 13 Jahren. Muss sie gestärkt werden?

Ich freue mich immer, wenn eine Position gestärkt wird. Aber ich habe das Gefühl, dass man auf diesem Posten auch so schon viel erreichen kann. Was viele nicht wissen: Für den Patientenbeauftragten gibt es ja nochmal eine besondere gesetzliche Grundlage, die ausdrücklich die Unabhängigkeit des Amtes definiert. Das unterscheidet diese Position von der anderer Beauftragter. Auf diese Unabhängigkeit werde ich im Zweifelsfall auch pochen, mit allem Selbstbewusstsein.

Dennoch: Der Posten ist dem Gesundheitsressort zugeordnet, da ist Kritik am Minister diffizil. Es gab Forderungen, das Amt direkt dem Bundestag zu unterstellen wie das Amt der Wehrbeauftragten. Was halten Sie davon?

Ich finde diese Diskussionen spannend. Fürs Erste werde ich aber versuchen, auch ohne Aufwertung möglichst viel zu erreichen. Wir haben uns etwa vorgenommen, eine wirklich unabhängige Patientenberatung auf die Beine zu stellen. Eine Riesenaufgabe…

Ist denn die bisherige Unabhängige Patientenberatung aus ihrer Sicht nicht „wirklich unabhängig“?

Sie ist es in der Wahrnehmung nicht. Und ich finde, sie benötigt auch Änderungen. Die Finanzierung etwa sollte künftig nicht mehr über die Krankenkassen laufen, sondern direkt aus dem Bundeshaushalt heraus. Und ich möchte auch nicht, dass hinter der Patientenberatung ein kommerzielles Unternehmen steckt wie bisher. Im Raum steht dafür eine Stiftungslösung, was ich für eine gute Idee halte.

Im Koalitionsvertrag steht: „Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur.“ Was bedeutet das konkret? Kommen die Sozialverbände wieder mit ins Boot, wie wir das schon mal hatten?

Ich stelle mir vor allem vor, dass dort auch Patientenverbände sitzen. Und dass die Politik in einem solchen Stiftungsbeirat zwar mit vertreten sein, aber nicht unbedingt eine Mehrheit haben sollte. Man muss diese Organisation dann so aufbauen, dass sie wirklich selbständig arbeitet. Da braucht dann auch nichts mehr ausgeschrieben werden.

Es gibt auch die Idee, die derzeit mehr als 100 Mitarbeiter umfassende UPD dem Patientenbeauftragten zu unterstellen…

Klar, das hätte einen gewissen Charme. Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sollen die Menschen beraten, nicht dem Patientenbeauftragten zuarbeiten. Kernpunkt muss jetzt sein, Strukturveränderungen auf den Weg zu bringen. Um das bis 2024 an den Start zu bekommen, müssen wir zügig damit beginnen.

Welche Baustellen sehen Sie sonst noch?

Neben der UPD sind das aus meiner Sicht vor allem die Patientenrechte, etwa bei Behandlungsfehlern. Auch dazu finden sich im Koalitionsvertrag gute Vorgaben. Konkret ist dort ja die Rede von einem Härtefallfonds. Wir sollten das schnell hinbekommen, denn es wäre eine wirkliche Hilfe für Betroffene, finanzielle Hilfe zu erhalten, die sie nicht zurückzahlen müssen. Auch die Beweismaßverteilung für Menschen, die einen Schaden erlitten haben, muss deutlich abgesenkt werden. Im Moment ist der Nachweis von Behandlungsfehlern vor Gerichten wegen der komplizierten Materie und des großen Wissensgefälles für die Patienten ja fast unmöglich. Da geschieht momentan leider vieles nicht auf Augenhöhe.

Vielleicht muss man das schöne Bild vom mündigen Patienten ja etwas relativieren. Schwerkranke sind belastet, erschöpft, angstbeladen, sie haben oft nicht die Energie, sich mit Ärzten zu streiten, sich notfalls womöglich sogar juristisch durchzusetzen…

Ich finde es wichtig, die Belange der Patienten ernst zu nehmen und voll einzubeziehen, die Betroffenen also nicht zu bevormunden. Insofern stimmt das schon mit dem mündigen Patienten. Andererseits handelt es sich, wie Sie sagen, um Menschen, die nicht so agieren können, wie sie es vielleicht vorher in gesundem Zustand gekonnt hätten. Und die wenigsten haben die Kenntnisse von Fachmedizinern. Oft gibt es nicht mal Angehörige, manche stehen ganz allein da

Der Sozialverband Deutschland nennt das Patientenrechtegesetz von 2013 – gestützt auf ein wissenschaftliches Gutachten – einen „zahnlosen Tiger“. Hat er Recht damit?

Der Verband erhebt viele Forderungen, die ich als Patientenbeauftragter teile: von einer Beweislastminderung, über den Härtefallfonds bis hin zu einer sanktionsbewehrten Offenlegungspflicht für die Behandelnden. Schließlich kann man nur beurteilen, was passiert ist, wenn alles auf dem Tisch liegt – und zwar verlässlich. Das wäre ein großer Schritt nach vorn. Und das Gutachten gibt uns dafür starken Rückenwind. Ich freue mich sehr darüber.

Verlangt wird auch ein verlässliches Behandlungsfehler-Register. Ist es realistisch, einen solchen Datenüberblick zeitnah hinzubekommen?

Nein, auf die Schnelle wird das sicher nicht funktionieren, schon allein mit Blick auf die Vorgaben des Datenschutzes. Das heißt aber nicht, dass es nicht sinnvoll wäre.

Was halten Sie von der Forderung nach vollem Stimmrecht für die Patientenvertreter:innen im Gemeinsamen Bundesausschuss, wo etwa über die Erstattung von Kassenleistungen entschieden wird?

Ich weiß, dass es welche gibt, die das gerne hätten und andere, die lieber in neutraler Position bleiben würden. Insofern gehe ich offen in diese Gespräche. Sicher bin ich mir, dass wir die Patientenvertreter, von denen ja viele ehrenamtlich und in eigener Betroffenheit unterwegs sind, stärken müssen. Die brauchen deutlich mehr professionelle Zuarbeit und Unterstützung. Schon aus den oft sehr dicken Gutachten die wichtigen Informationen herauszufiltern, kann eine Heidenarbeit sein. Wenn man das nur abends oder am Wochenende machen kann, muss man sehr aufpassen, nicht in eine Überforderung reinzulaufen.

Wie unabhängig sind denn Patientenorganisationen? Gibt es nicht auch Pharmaunternehmen, die über die Betroffenenschiene erheblich Einfluss zu nehmen versuchen, brauchen wir da nicht stärkere Transparenz?

Es gibt viele engagierte Patientenvertreter, die das sehr ordentlich machen. Und es gibt Fälle, wie von Ihnen geschildert. Natürlich braucht man da größtmögliche Transparenz, beispielsweise Einblicke in die Finanzierung. Man sollte immer wissen, wer dahintersteckt und welche Interessen bedient werden.

Ich will Sie nicht zu Kritik an Ihrer Amtsvorgängerin verleiten. Aber: Müsste ein Patientenbeauftragter in einer Pandemie mit Millionen von Betroffenen nicht deutlich hörbarer sein als bisher?

Meine Vorgängerin Claudia Schmidtke hat sehr engagierte Arbeit gemacht, für die ich ihr danken möchte. In einer Pandemiesituation ist es nicht einfach, Gehör zu finden. Mir persönlich ist es wichtig, die Wahrnehmung für das Amt zu stärken und es hinzubekommen, auch beim Thema Corona Sprachrohr der Patientinnen und Patienten zu sein.

Täuscht der Eindruck, dass die Angst und der Schutz von Vorerkrankten, die sich beispielsweise gar nicht impfen lassen können, in der Debatte um Corona-Maßnahmen eine zu geringe Rolle gespielt haben?

Mir ist es deutlich zu kurz gekommen, dass viele Patientinnen und Patienten aufgrund der Pandemie gezwungen waren, notwendige Operationen und Behandlungen zu verschieben. Dass sich Menschen nicht mehr ins Krankenhaus gewagt haben – auch mit Symptomen von hochgefährlichen Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Dass viele aus Angst vor Ansteckung die Krebsvorsorge nicht wahrgenommen haben. Um nicht wieder in solche Situationen zu kommen, muss es unser Hauptziel sein, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Wenn das alle, die es könnten, auch tun würden, wäre der Schutz für diejenigen, bei denen Impfungen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sind, viel besser.

Wie viele können sich denn nicht impfen lassen, obwohl sie es vielleicht gerne täten?

Das ist ganz schwer zu überblicken. Hier fehlen genau die Register, über die wir vorhin gesprochen haben. Ich habe in meinem Bekanntenkreis ein neunjähriges Mädchen mit Downsyndrom, das bereits zweimal einen Schlaganfall und zweimal Leukämie hatte. Dieses Kind kann sich nicht impfen lassen. Ich möchte aber, dass es endlich mal wieder vor die Tür gehen kann. Den Blick stärker auf Menschen mit solchen Schicksalen zu richten, könnte auch helfen, die eigene Verantwortung zu erkennen und sich vielleicht doch impfen zu lassen.

Haben Sie eine Position in der derzeitigen Debatte um eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, sozusagen aus der Patientenperspektive…

Ja, die hab‘ ich. Bewohnerinnen und Bewohner von Pflege- oder Behinderteneinrichtungen, von denen viele auch schwere Vorerkrankungen haben, brauchen besonderen Schutz. Die Betroffenen wünschen sich das, ihre Angehörigen auch. Es geht um Verantwortung. Man muss hier alles tun, um das Risiko einer Übertragung des Coronavirus so gering wie möglich zu halten.

Was sagen Sie zu dem Gezerre mit den Ländern?

Wir haben einen Beschluss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, er fiel mit 16 zu 0 Stimmen. Und wir haben inzwischen auch ein Gesetz mit sehr großzügigen Übergangsregelungen, ebenfalls von den Ländern im Bundesrat beschlossen. Beim Thema Impfpflicht war Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Vorfeld sehr laut und sehr fordernd. Ich kann nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet er dieses Gesetz nun nicht umsetzen will. Was Söder da macht, ist Menschen vom Impfen fernzuhalten. Das hat einen verheerenden Effekt.

Wie stehen Sie zu einer allgemeinen Impfpflicht, mit der sich der Bundestag im März beschäftigen will?

Ich hätte mir gewünscht, wir hätten so viele freiwillig Geimpfte, dass wir dieses Thema nicht zu diskutieren bräuchten. Angesichts der Gefahr, dass wir im nächsten Herbst und Winter die nächste Welle mit womöglich noch ansteckenderen oder aggressiveren Varianten bekommen könnten, müssen wir das aber tun. Und ich bin der Überzeugung, dass alle erwachsenen Menschen in diese Pflicht mit einbezogen werden sollten. Damit wir nicht wieder in die Situation kommen, dass sich Menschen nicht in Krankenhäuser trauen oder Intensivstationen vor der Überlastung stehen. Allerdings sollte dieses Gesetz zeitlich befristet werden.

Stefan Schwartze (47) wurde im Januar zum Patientenbeauftragten der Bundesregierung ernannt. Vorher saß der SPD-Politiker 12 Jahre lang im Petitionsausschuss des Bundestages.

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