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Premiere. Starmer konnte nach 18 Monaten im Amt erstmals vor Delegierten sprechen. Im vergangenen Jahr fand der Parteitag wegen Corona im Netz statt.

© AFP

Labour-Chef Starmer attackiert Johnson: Der Post-Populist

Labour-Chef Keir Starmer versucht, seine Partei wieder regierungsfähig zu machen und Premierminister Boris Johnson abzulösen.

Der Premierminister sei „ein trivialer Showman und Schwindler“, die Regierung „rat- und ideenlos“ in der schweren Benzin- und Versorgungskrise – mit schweren Angriffen auf Boris Johnson und die konservative Partei hat Labour-Oppositionsführer Keir Starmer das Jahrestreffen seiner Partei beendet. Im südenglischen Brighton präsentierte sich der 59-jährige frühere Generalstaatsanwalt als seriöse Alternative nicht nur zur gegenwärtigen britischen Regierung, sondern auch zu den sozialistischen Utopien seines Vorgängers im Parteiamt Jeremy Corbyn: „Regierungsfähigkeit ist wichtiger als innerparteiliche Einigkeit.“

Zum ersten Mal in seiner achtzehn Monate währenden Amtszeit konnte der Labour-Vorsitzende vor Publikum sprechen. Im vergangenen Jahr waren wegen der Covid-Pandemie sämtliche Partei-Events lediglich virtuell über die Bühne gegangen. Der als kompetent, aber wenig charismatisch geltende Politiker gab sich Mühe, dem Land eine Vorstellung von seiner Person und seinem Programm zu vermitteln. Ausführlich schilderte er seine Herkunft, das Familienleben mit seinem Vater, einem Werkzeugmacher, und seiner Mutter, einer Krankenschwester, die frühzeitig einer schweren Arthritis-Erkrankung zum Opfer fiel. Er sei stolz darauf, Chef einer Partei zu sein, die das Wort Arbeit im Namen führt, sagte Starmer. Die anderthalbstündige Rede wurde immer wieder von Zwischenrufen und Sprechchören vom linken Flügel der alten Arbeiterpartei unterbrochen. Die Linken fühlen sich unter Starmer zunehmend marginalisiert. Seine Partei habe die Wahl, erwiderte Starmer gelassen: „Entweder wir verbreiten Slogans oder wir verändern Leben.“ Letzteres könne nur durch einen Wahlsieg sichergestellt werden.

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Der frühere Chef der Anklagebehörde Crown Prosecution Service (CPS) hatte sich nach seinem Einzug ins Unterhaus 2015 auf der gemäßigten Linken der Partei positioniert und damit auch den Kampf um Corbyns Nachfolge klar für sich entschieden. Seither hat er sich von manchen Maximalforderungen verabschiedet, etwa der Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Pfund (17,33 Euro) pro Stunde. Aus Protest dagegen trat der letzte Corbyn-Anhänger im Schattenkabinett, Andrew McDonald, am Dienstag zurück. Corbyn selbst bleibt von seiner Mitgliedschaft suspendiert, weil er Antisemitismus-Vorwürfe gegen seine Partei für übertrieben hält und dies auch öffentlich sagt.

Zwischenrufe von Impfgegnern

Wie in den vergangenen Jahren organisierte die Partei-Linke auch diesmal einen Alternativ-Parteitag unter dem Motto „Die veränderte Welt“ – als könne die Realität der jüngsten Unterhauswahl, bei der Labour das schlechteste Ergebnis seit 1935 erzielte, durch schöne Reden ausgeglichen werden. Eine sozialistische Dankmesse mit Corbyn als Festprediger geriet zur Farce, als der Politiker durch Zwischenrufe von Impfgegnern unterbrochen wurde. Als Rädelsführer agierte dabei ausgerechnet Corbyns älterer Bruders Piers, der als Anführer der Demonstrationen von Covid-Leugnern schon mehrfach in Polizeigewahrsam gelandet ist.

Entscheidend für die größte Oppositionspartei des Landes dürfte sein, ob die Öffentlichkeit sich eher an den komischen Randerscheinungen des Jahrestreffens ergötzt oder Starmer ernsthaft als Alternative zu Johnson unter die Lupe nimmt. Das Missmanagement des Premierministers im Kampf gegen Sars-CoV-2 und sein langes Schweigen in der keineswegs beendeten Benzinversorgungskrise haben den lange Zeit unangefochten regierenden Konservativen viele Sympathien gekostet. In einer kürzlichen Umfrage für das Londoner Abendblatt „Evening Standard“ lag bei der Frage nach dem besseren Regierungschef Starmer erstmals mit Johnson gleichauf. Seit 2010 hatten stets die Chefs der konservativen Partei vor ihren Labour-Herausforderern gelegen.

Starmer stellte sein Programm unter die vier Begriffe „Arbeit, Fürsorge, Gleichheit und Sicherheit“. Das nationale Gesundheitssystem NHS müsse stärker die Prävention schwerer Krankheiten ins Auge fassen und damit die Kosten für die Behandlung von Patienten verringern. Unter seiner Führung werde die Regierung jährlich umgerechnet 32,4 Milliarden Euro in Projekte zur Bewältigung der Klimakrise investieren. Dazu gehört die Isolierung von Millionen Privathäusern ebenso wie den Ausbau von Solaranlagen und Windkraftwerken. Neben Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und global agierende Internet-Konzerne dürfte dafür auch eine erhebliche Neuverschuldung nötig sein.

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