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Ein chinesischer Arbeiter beim Bau eines Tunnels in Montenegro im Rahmen der Neuen Seidenstrasse.

© Stevo Vasiljevic/REUTERS

Nicht länger tatenlos zusehen: Der Westen sollte vor Ort mit China kooperieren

Der Westen muss seine Initiativen dringend bündeln. Ansonsten kommt er gegen die chinesischen Projekte der Neuen Seidenstraße nicht an. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Renate Schubert

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr. Renate Schubert. Sie lehrt als Nationalökonomin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Jörg Rocholl PhD, Jürgen Trittin und Prof. Dr. Bert Rürup.

Die Welt werde nach Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine nicht mehr dieselbe sein wie zuvor, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Das ist eine mit Blick auf das Verhältnis westlicher Demokratien gegenüber Moskau zutreffende Einschätzung. Doch trotz des russischen Überfalls auf sein Nachbarland hat sich in geoökonomischer Hinsicht nicht alles verändert – das gilt etwa für die Abhängigkeit vieler Schwellen- und Entwicklungsländer von ausländischen Investitionen.

In diesen Ländern gibt es oft weder eine nennenswerte Transport- oder Energieinfrastruktur noch ein akzeptables Gesundheits- oder Bildungssystem. Seit Jahren stößt China mit seiner Neuen Seidenstraße in die Infrastrukturlücke. Inzwischen haben auch die Europäische Union, Großbritannien, die USA und die G7-Staaten Handlungsbedarf erkannt und Initiativen vorgeschlagen – von „Global Gateway“ über „Clean Green Initiative“ bis zu „Build back Better World“.

Was sind die Motive? Da die Mehrheit der Weltbevölkerung in Schwellen- und Entwicklungsländern lebt, gäbe es einen großen Produktivitätsschub, wenn dort mehr Personen und Güter ebenso rasch wie effizient von A nach B transportiert werden könnten und das Ausbildungs- und Gesundheitsniveau stiege.

Dadurch würden sich auch die Einkommen der lokalen Bevölkerung verbessern und die Länder kämen somit auch als Absatzmärkte für Produkte aus anderen Regionen in Frage. Sie könnten auch helfen, die Klimakrise zu bekämpfen – ein lokaler und globaler Gewinn.

Es geht China darum, Abhängigkeiten zu schaffen

Mit Chinas Vorpreschen wurde jedoch deutlich: Es geht nicht mehr nur darum, die ökonomische Lage der beteiligten Länder zu verbessern. Es sollen auch wirtschaftliche und andere Abhängigkeiten geschaffen werden, die letztlich zur Stärkung bestimmter – und damit zur Schwächung anderer – geopolitischer Positionen führen.

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Peking geht es darum, neue Absatzmärkte zu erschließen, Überkapazitäten auszulagern, Zugang zu Rohstoffen zu bekommen, aber auch die eigene Rolle auf der weltpolitischen Bühne zu stärken. So plant China neben Infrastrukturprojekten auch Investitionen in Minenprojekte sowie landwirtschaftliche und industrielle Vorhaben in Schwellen- und Entwicklungsländern. Überdies sollen rund 120 Konfuzius-Institute in den Partnerländern der Seidenstraße helfen, chinesische Kultur und Weltanschauungen zu verbreiten.

Im Gegenzug dürften die Partnerländer China geopolitisch unterstützen, denn im Falle eines Abbruchs der Projekte würde ein finanzieller Einbruch drohen. Schließlich bekommen die Empfängerländer chinesische Investitionen nicht zum Nulltarif, sie müssen diese vielmehr mit einer erheblichen Verschuldung und hohen Zinsen bezahlen.

Außerdem werden die Projektarbeiten überwiegend von chinesischen Firmen und chinesischen Beschäftigten realisiert, so dass kaum Know-how transferiert wird. Für Peking scheinen auch militärische Ziele wichtig zu sein. Gut ausgebaute neue Tiefseehäfen im Indo-Pazifik etwa würden es China erlauben, bestehende Schifffahrtswege hinsichtlich Kapazität und Geschwindigkeit effizienter zu nutzen und dem Konkurrenten Indien Paroli zu bieten.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei der Vorstellung der europäischen Antwort auf die Neue Seidenstrasse.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei der Vorstellung der europäischen Antwort auf die Neue Seidenstrasse.

© Kenzo TRIBOUILLARD/AFP

Diesem wirtschaftlichen Expansionismus Chinas will der Westen nicht länger tatenlos zusehen. Überzeugende Gegenprogramme böten die Chance, einseitige Abhängigkeiten zu verhindern. Eine Vielzahl kleinerer Programme würde jedoch nur zur Verzettelung führen und könnte nicht annähernd gegen die Volumina der Neuen Seidenstraße ankommen. Deren Gesamt-Investitionssumme soll vier Billionen Dollar betragen. Immerhin sieht die „Global Gateway“ der EU bis 2027 ein Volumen von umgerechnet 336 Milliarden Dollar vor. Für die Anfangsjahre des Build Back Better World Plan rechnen die USA und die G7-Länder hingegen „nur“ mit 60 Milliarden Dollar.

Schätzungen zufolge benötigen die Schwellen- und Entwicklungsländer bis 2050 allerdings Infrastrukturinvestitionen von 40 Billionen Dollar. Chinas Projekte sind also für eine Verbesserung der Lage unverzichtbar. Bescheiden dotierte Gegenprogramme können die Länder nicht aus ihrer Abhängigkeit von Peking lösen. Wenn überhaupt, bietet nur eine enge Koordination aller Alternativen eine Erfolgschance für die Schwellen- und Entwicklungsländer. Aber wie realistisch ist eine solche Koordination?

Der Westen legt den Schwerpunkt auf Qualität und faire Bedingungen

Global Gateway“ erstreckt sich auf die Bereiche Digitalisierung, Klima und Energie, Verkehr, Gesundheit sowie Bildung und Forschung. Die Projekte sollen nachhaltig und „hochwertig“ sein, die Bedürfnisse der Partnerländer berücksichtigen und der lokalen Bevölkerung eine dauerhafte Verbesserung ihres Lebens ermöglichen. Es geht um eine „vertrauenswürdige“ Vernetzung mit Schwellen- und Entwicklungsländern unter Beachtung von Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten sowie der Einhaltung internationaler Standards bei fairen finanziellen Bedingungen.

Auch der Build Back Better World Plan, der im Juni 2021 beim G7-Treffen in Cornwall skizziert und mit der „Clean Green Initiative“ von Großbritanniens Premier Boris Johnson zusammengeführt wurde, wirkt ambitioniert: Netto-Null-Emissionen im Klimabereich, Gesundheit, Digitalisierung, Transport, Energie, Bildung und Chancengleichheit der Geschlechter stehen auf der Agenda. Privates und öffentliches Kapital sollen zusammengeführt und für die Schwellen- und Entwicklungsländer genutzt werden.

Da die Billionen-Investitionssummen der Neuen Seidenstraße ohnehin unerreichbar scheinen, legen die Alternativen den Schwerpunkt auf die Qualität der Investitionen und eine gleichberechtigte Kooperation mit den Empfängerländern. Weiter spielen Aspekte wie Gesundheit, Bildung und Forschung – anders als bei der von China forcierten Transportinfrastruktur – eine wichtige Rolle.

Würden der Westen und China bei Projekten in Schwellen- und Entwicklungsländern zusammenarbeiten, könnte das nicht nur im Sinne der beteiligten Länder sein, sondern auch die verschärften geopolitischen Spannungen als Folge des russischen Angriffskriegs verringern. Die Kooperation würde womöglich einen noch engeren Schulterschluss zwischen Peking und Moskau verhindern.

Voraussetzung dafür sind drei Faktoren: Erstens müssten die Alternativen zur Neuen Seidenstraße rasch gebündelt und unbürokratisch umgesetzt werden. Zweitens müssten beide Seiten anerkennen, dass etwa Transportinfrastruktur- und Digitalisierungs- oder Bildungsprojekte aufeinander abgestimmt in Angriff genommen werden. Das dürfte drittens nur möglich sein, wenn „gemischte“ Teams vor Ort daran arbeiten.

Alle drei Voraussetzungen scheinen im Zeichen des Ukraine-Kriegs momentan kaum realistisch zu sein. Vielleicht könnten aber in einzelnen Ländern zumindest kleine, konkrete Pilotprojekte gestartet werden. Womöglich würde daraus dann doch noch etwas Größeres entstehen.

Renate Schubert

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