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SPD-Chef Lars Klingbeil auf dem Parteitag der NRW-SPD in Duisburg.

© IMAGO/Nico Herbertz/IMAGO/Herbertz / Nico Herbertz

Update

„Tiefpunkt in der Geschichte der Sozialdemokratie“: SPD-Chef Klingbeil räumt Fehler vor Bundestagswahl ein

Am Wochenende ist Vizekanzler Lars Klingbeil auf zwei Landesparteitagen unterwegs, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Dort sind manche Genossen sehr unzufrieden mit ihm.

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Als Lars Klingbeil um 12.41 Uhr das Wort ergreift, bekommt er nur höflichen Applaus. „Liebe Genossinnen und Genossen, mir war das ein großes Anliegen, hier heute bei euch in Duisburg zu sein“, sagt Klingbeil. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn ursprünglich war es nicht geplant, dass der Parteivorsitzende auf dem Parteitag der NRW-SPD spricht.

Doch dann sorgte vor dem Parteitag der Leitantrag des NRW-Landesvorstands für Aufsehen. Es ist eine schonungslose Analyse des Debakels bei der Bundestagswahl. Eine Analyse, von der sich Klingbeil als Parteichef angesprochen fühlen muss.

Im Leitantrag ist davon die Rede, bis zum Wahltag habe die Partei sich der Hoffnung hingegeben, „dass die Bürger*innen durch all den Streit hindurch auch noch die vielen Erfolge der Ampel-Koalition sehen werden“. Die Parteispitze habe die Diskussion über die Kanzlerkandidatur „viel zu lange laufen“ gelassen, so sei die SPD „aus der Offensive direkt wieder in die Defensive geraten“.

Was war das denn sonst, wenn nicht ein Tiefpunkt in der Geschichte der Sozialdemokratie?

SPD-Chef Lars Klingbeil über die Bundestagswahl

Und der Landesverband NRW blickt noch weiter zurück in die Geschichte, auf die Zeit nach dem Wahlsieg 2021. Damals war die Rede vom Beginn eines „sozialdemokratischen Jahrzehnts“, auch Klingbeil propagierte das. Im Leitantrag heißt es nun: „Aussagen, die gar den Beginn eines sozialdemokratischen Jahrzehnts sehen wollten, wirken nicht nur aus heutiger Sicht realitätsfern.“

Realitätsfern: Das kann kein gutes Etikett sein für einen Spitzenpolitiker, der sich anschickt, als Finanzminister und Vizekanzler ein ganzes Land mit zu führen.

Klingbeil gibt sich in Duisburg dann auch einsichtig. Zur Bundestagswahl sagt er: „Was war das denn sonst, wenn nicht ein Tiefpunkt in der Geschichte der Sozialdemokratie?“ Auch er habe Fehler gemacht. „Und da müssen wir drüber reden.“

Die Niederlage der Sozialdemokraten führt Klingbeil darauf zurück, dass Industrie-Beschäftigte der SPD teilweise nicht geglaubt hätten, dass die Partei für ihre Interessen kämpfe.

In der Ampelkoalition war es der SPD zuletzt nicht mehr gelungen, für weiter sinkende Energiepreise zu sorgen. Die FDP blockierte auch das Tariftreuegesetz, wonach öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen mit Tarifverträgen gehen sollen.

Ein neues Angebot macht Klingbeil nicht

Klingbeil hofft, dass den Sozialdemokraten nun ausgerechnet im Bündnis mit der Union von Friedrich Merz die Trendwende gelingt. „Wir kämpfen um jeden Industriearbeitsplatz. Wir sind die Partei der Arbeit“, ruft er den Delegierten zu. Inhaltlich sind es die gleichen Versprechen wie im Wahlkampf, ein neues Angebot hat Klingbeil in Duisburg nicht dabei.

Auf die innerparteiliche Kritik der vergangenen Tage geht der SPD-Chef nur indirekt ein. Demonstrativ lobt er Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Ex-Entwicklungsministerin Svenja Schulze für ihre Arbeit. Vielen Sozialdemokraten war sauer aufgestoßen, dass Klingbeil mit Ausnahme von Verteidigungsminister Boris Pistorius die gesamte SPD-Ministerriege austauschte und mit Vertrauten besetzte.

Die im ersten Anlauf verpatzte Kanzlerwahl am Dienstag thematisiert Klingbeil hingegen nicht. Stattdessen attackiert er mehrmals NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin keine Rolle gespielt habe. So stimmt Klingbeil seine Genossen in NRW auf die Kommunalwahlen im September ein.

Nur weil die Parteispitze uns zur Einigkeit ermahnt, kommt diese Einigkeit nicht automatisch.

SPD-Delegierte aus dem Unterbezirk Münster

Kritik bei der Aussprache erspart sich Klingbeil damit nicht. „Wie viele letzte Schüsse gibt es eigentlich?“, fragt Nordrhein-Westfalens Juso-Chefin Nina Gaedicke. Dem Parteivorsitzenden wirft sie vor, alle Kontroversen in der Partei erfolgreich umschifft zu haben. Sie kritisiert, dass im Koalitionsvertrag im Stile der NPD gegen eine Einwanderung in Sozialsysteme gehetzt werde. „Nur weil die Parteispitze uns zur Einigkeit ermahnt, kommt diese Einigkeit nicht automatisch.“

Nach jeder Wahl höre man von einer Aufarbeitung und einem Neuanfang, sagt die Delegierte Hannah Trulsen aus Gelsenkirchen. „Gefühlt waren nicht mal alle Stimmbezirke ausgezählt und du, Lars, warst schon Fraktionsvorsitzender.“ Es sei unanständig, dass zugleich seine Co-Vorsitzende Saskia Esken abgestraft worden sei.

Am Sonntag geht es für Klingbeil weiter nach Schleswig-Holstein. Dort spricht er ebenfalls auf dem Landesparteitag.

Des Weiteren sehen wir es kritisch, dass die Doppelspitze der SPD zu einer One-Man-Show ausgeartet ist.

Aus einem Antrag der Jusos für den Landesparteitag in Schleswig-Holstein

Im Leitantrag der Nord-SPD ist von Kritik an der Parteispitze nichts zu vernehmen. Dort sind es aber standesgemäß die Jusos, die unverblümte Worte wählen: „Die Parteivorsitzenden schaffen es nicht, die Menschen zu überzeugen“, diagnostizieren sie in ihrem Antrag und fordern „einen basisdemokratischen Prozess zur Wahl der Parteivorsitzenden nach dem Vorbild von 2019“. Damals setzten sich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans durch das Votum der Basis durch.

Und die Jusos im Norden attackieren Klingbeil auch ganz direkt. Im Antrag heißt es: „Des Weiteren sehen wir es kritisch, dass die Doppelspitze der SPD zu einer One-Man-Show ausgeartet ist.“ Die Jusos fordern, auf Bundesebene den Parteivorsitz vom Fraktionsvorsitz sowie von Posten im Kabinett zu trennen.

Einem dürfte diese Idee nicht unbedingt gefallen: Lars Klingbeil.

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